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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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erst ausgeschrieben werden sollten, sondern es war ein rein revolutionärer Ach
eine Suspension der Steuererhebung, eine Aufforderung ans Volk, die bereits
ausgeschriebenen Steuern nicht zu zahlen.

Die Berliner Versammlung besaß gar nicht das Recht der Bewilligung von
Steuern, sie konnte also auch nicht solche verweigern. Die Steuern, deren Er¬
hebung sie dnrch jenen Beschluß zu suspendiren versuchte, waren von der Regie-
rung ausgeschrieben kraft eiues Rechtes, welches ihr damals noch unbeschränkt
zustand. Ein Recht der Volksvertretung, die Erhebung bereits ausgeschriebener
Steuern zu suspendiren, kennt überhaupt das constitutionelle Staatsrecht nicht.

Der Beschluß der kurhessischeu Volksvertretung, gegen den der angebliche
Bnndesbeschluß sich richtet, ist ebenfalls keine eigentliche Steuerverweigernna.
Die aufgelöste Kammer hatte beschlossen, die Forterhebnng der Steuern für die
nächste Zeit zu bewilligen, nur aber deren Auslieferung an die Veransgabnngs-
stelle so lauge zu suspendiren, bis die Regierung die verfassungsmäßige Vorbe¬
dingung einer jeden Steuerbewilligung, die in H. 1-44 der kurhessischen Ver-
fassungsurkunde ihr ausdrücklich auferlegte Pflicht der Vorlegung eines Voranschlags
der Ausgaben und Einnahmen erfüllt haben würde.

Die knrhesfische Volksvertretung übte also nur ihr verfassungsmäßiges Recht
und ihre verfassungsmäßige Pflicht, wenn sie ihre Zustimmung zu Verwendung
der Abgaben auf so lange zurückhielt, bis sie in den Stand gesetzt sein würde,
die Nothwendigkeit des Bedürfnisses gewissenhaft ans Grund verfassungsmäßiger
Unterlagen zu prüfen. Sie ging dabei mit Mäßigung zu Werke, sie that Alles,
was sie ohne Verletzung ihrer Pflicht thun konnte, um ihrerseits nicht zu einer
Störung des Staatshaushalts Veranlassung zu geben; daß eine solche gleichwohl
eintrat, war lediglich Schuld der Regierung, die, ihre Verpflichtungen nach
§. 144 zu erfüllen, beharrlich sich weigerte.

Der Beschluß der Berliner Versammlung war also wirklich, wie ihn die
Nationalversammlung bezeichnete, ein "rechtswidriger;" er "gefährdete die Staats-
gesellschaft" indem er die Grundlagen aller Staatsordnung erschütterte, allen
Rechtsbestand unsicher machte.

Der Beschluß der kurhessischeu Volksvertretung war ein durchaus legaler,
verfassungsmäßiger Aar; er war nothwendig zur Sicherung des Rechtszustandes,
den die Negierung unsicher machte, indem sie sich außerhalb der Verfassung stellte
und Rechte beanspruchte, ohne die entsprechenden Pflichten zu erfüllen.

Daher ist es denn auch gekommen, daß der sogenannte Steuerverweigerungs¬
beschluß der Berliner Versammlung, weit entfernt, den Erfolg zu haben, den man
sich davon versprochen haben mochte, vielmehr die ganz entgegengesetzte Wirkung
hervorbrachte, die Sympathien im Lande für die Versammlung zum größten
Theil vernichtete, einen Umschlag der öffentlichen Meinung uach der andern Seite


erst ausgeschrieben werden sollten, sondern es war ein rein revolutionärer Ach
eine Suspension der Steuererhebung, eine Aufforderung ans Volk, die bereits
ausgeschriebenen Steuern nicht zu zahlen.

Die Berliner Versammlung besaß gar nicht das Recht der Bewilligung von
Steuern, sie konnte also auch nicht solche verweigern. Die Steuern, deren Er¬
hebung sie dnrch jenen Beschluß zu suspendiren versuchte, waren von der Regie-
rung ausgeschrieben kraft eiues Rechtes, welches ihr damals noch unbeschränkt
zustand. Ein Recht der Volksvertretung, die Erhebung bereits ausgeschriebener
Steuern zu suspendiren, kennt überhaupt das constitutionelle Staatsrecht nicht.

Der Beschluß der kurhessischeu Volksvertretung, gegen den der angebliche
Bnndesbeschluß sich richtet, ist ebenfalls keine eigentliche Steuerverweigernna.
Die aufgelöste Kammer hatte beschlossen, die Forterhebnng der Steuern für die
nächste Zeit zu bewilligen, nur aber deren Auslieferung an die Veransgabnngs-
stelle so lauge zu suspendiren, bis die Regierung die verfassungsmäßige Vorbe¬
dingung einer jeden Steuerbewilligung, die in H. 1-44 der kurhessischen Ver-
fassungsurkunde ihr ausdrücklich auferlegte Pflicht der Vorlegung eines Voranschlags
der Ausgaben und Einnahmen erfüllt haben würde.

Die knrhesfische Volksvertretung übte also nur ihr verfassungsmäßiges Recht
und ihre verfassungsmäßige Pflicht, wenn sie ihre Zustimmung zu Verwendung
der Abgaben auf so lange zurückhielt, bis sie in den Stand gesetzt sein würde,
die Nothwendigkeit des Bedürfnisses gewissenhaft ans Grund verfassungsmäßiger
Unterlagen zu prüfen. Sie ging dabei mit Mäßigung zu Werke, sie that Alles,
was sie ohne Verletzung ihrer Pflicht thun konnte, um ihrerseits nicht zu einer
Störung des Staatshaushalts Veranlassung zu geben; daß eine solche gleichwohl
eintrat, war lediglich Schuld der Regierung, die, ihre Verpflichtungen nach
§. 144 zu erfüllen, beharrlich sich weigerte.

Der Beschluß der Berliner Versammlung war also wirklich, wie ihn die
Nationalversammlung bezeichnete, ein „rechtswidriger;" er „gefährdete die Staats-
gesellschaft" indem er die Grundlagen aller Staatsordnung erschütterte, allen
Rechtsbestand unsicher machte.

Der Beschluß der kurhessischeu Volksvertretung war ein durchaus legaler,
verfassungsmäßiger Aar; er war nothwendig zur Sicherung des Rechtszustandes,
den die Negierung unsicher machte, indem sie sich außerhalb der Verfassung stellte
und Rechte beanspruchte, ohne die entsprechenden Pflichten zu erfüllen.

Daher ist es denn auch gekommen, daß der sogenannte Steuerverweigerungs¬
beschluß der Berliner Versammlung, weit entfernt, den Erfolg zu haben, den man
sich davon versprochen haben mochte, vielmehr die ganz entgegengesetzte Wirkung
hervorbrachte, die Sympathien im Lande für die Versammlung zum größten
Theil vernichtete, einen Umschlag der öffentlichen Meinung uach der andern Seite


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[0068] erst ausgeschrieben werden sollten, sondern es war ein rein revolutionärer Ach eine Suspension der Steuererhebung, eine Aufforderung ans Volk, die bereits ausgeschriebenen Steuern nicht zu zahlen. Die Berliner Versammlung besaß gar nicht das Recht der Bewilligung von Steuern, sie konnte also auch nicht solche verweigern. Die Steuern, deren Er¬ hebung sie dnrch jenen Beschluß zu suspendiren versuchte, waren von der Regie- rung ausgeschrieben kraft eiues Rechtes, welches ihr damals noch unbeschränkt zustand. Ein Recht der Volksvertretung, die Erhebung bereits ausgeschriebener Steuern zu suspendiren, kennt überhaupt das constitutionelle Staatsrecht nicht. Der Beschluß der kurhessischeu Volksvertretung, gegen den der angebliche Bnndesbeschluß sich richtet, ist ebenfalls keine eigentliche Steuerverweigernna. Die aufgelöste Kammer hatte beschlossen, die Forterhebnng der Steuern für die nächste Zeit zu bewilligen, nur aber deren Auslieferung an die Veransgabnngs- stelle so lauge zu suspendiren, bis die Regierung die verfassungsmäßige Vorbe¬ dingung einer jeden Steuerbewilligung, die in H. 1-44 der kurhessischen Ver- fassungsurkunde ihr ausdrücklich auferlegte Pflicht der Vorlegung eines Voranschlags der Ausgaben und Einnahmen erfüllt haben würde. Die knrhesfische Volksvertretung übte also nur ihr verfassungsmäßiges Recht und ihre verfassungsmäßige Pflicht, wenn sie ihre Zustimmung zu Verwendung der Abgaben auf so lange zurückhielt, bis sie in den Stand gesetzt sein würde, die Nothwendigkeit des Bedürfnisses gewissenhaft ans Grund verfassungsmäßiger Unterlagen zu prüfen. Sie ging dabei mit Mäßigung zu Werke, sie that Alles, was sie ohne Verletzung ihrer Pflicht thun konnte, um ihrerseits nicht zu einer Störung des Staatshaushalts Veranlassung zu geben; daß eine solche gleichwohl eintrat, war lediglich Schuld der Regierung, die, ihre Verpflichtungen nach §. 144 zu erfüllen, beharrlich sich weigerte. Der Beschluß der Berliner Versammlung war also wirklich, wie ihn die Nationalversammlung bezeichnete, ein „rechtswidriger;" er „gefährdete die Staats- gesellschaft" indem er die Grundlagen aller Staatsordnung erschütterte, allen Rechtsbestand unsicher machte. Der Beschluß der kurhessischeu Volksvertretung war ein durchaus legaler, verfassungsmäßiger Aar; er war nothwendig zur Sicherung des Rechtszustandes, den die Negierung unsicher machte, indem sie sich außerhalb der Verfassung stellte und Rechte beanspruchte, ohne die entsprechenden Pflichten zu erfüllen. Daher ist es denn auch gekommen, daß der sogenannte Steuerverweigerungs¬ beschluß der Berliner Versammlung, weit entfernt, den Erfolg zu haben, den man sich davon versprochen haben mochte, vielmehr die ganz entgegengesetzte Wirkung hervorbrachte, die Sympathien im Lande für die Versammlung zum größten Theil vernichtete, einen Umschlag der öffentlichen Meinung uach der andern Seite

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/68>, abgerufen am 27.07.2024.