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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Nennung des Generallieutenant zum Minister der auswärtigen Angelegenheiten einen
Artikel, deu wir vollständig unterschreiben könnten. -- Und dieser Mann, der seit
langer Zeit in sicherer Verborgenheit die Krcmäe poMiquo Preußens geleitet hat,
zum Spott ziemlich aller Parteien, tritt nun officiell an die Spitze der Geschäfte,
in dem Augenblick, wo es sich um eine Frage handelt, die man nicht, wie die
principielle der Union und des Bundestages, auf eine unbestimmte Zukunft hinaus¬
schieben kann, sondern die unmittelbar zur Entscheidung drängt.

Seine erste Thätigkeit macht nicht einen sehr erhebenden Eindruck. Es siud
dem Fürsteucollegium drei preußische Noten in der kurhessischeu Frage vorgelegt;
die beideu erstell (vom 12. und 21. September) noch vom Grafen Brandenburg,
die 3. (vom 26. September), die gegen alle diplomatische Convenienz direct an
die kurfürstliche Regierung gerichtet ist, vou Radowitz unterzeichnet. Alle drei
haben augenscheinlich denselben Verfasser, und es kauu uicht zweifelhaft sein, wo
dieser zu suchen ist. Aber während Nadowitz als Privatmann die Regierung eine
sehr eruste und energische Sprache führen läßt, tritt er als Minister schon ent¬
schuldigend ans, vergißt bei seinem Protest, der in deu beideu vorigen Noten uoch
eventuell gehalten sein konnte, jetzt, wo der Fall eingetreten ist, die Hauptsache,
nämlich die Andeutung, auf welche Weise Preußen das Einschreiten des Bundes¬
tags zu verhindern gedenke, und scheint mit großer Ostentation das Hauptgewicht
seiner Erd'läruug aus deu Umstand zu legen, daß es seiner Regierung lediglich
darauf ankomme, die fürstliche Autorität in Kassel wiederherzustellen. -- Das können
freilich bloße Formeln sein, aber sie sind nicht geeignet, bedeutende Hoffnungen zu
erregen.

Die Sachlage ist in deu beideu ersten Noten sehr richtig formulirt. Preußen
hat nicht blos im Namen der Union, deren Rechtstitel durch die Unschlüssig-
keit der Regierung sehr zweifelhaft geworden siud, souderu durch seiue geogra¬
phische Lage das Recht und die Verpflichtung, eine Unterwerfung Kassels uuter
das Spielwerk Oestreichs zu verhindern. Denn so steht die Sache. Mit
deu einfältigen Sophismen, durch die mau sie in das weite Capitel der Rechts-
verdrehungen zu bringen sucht, ist nichts gethan; der Vergleich mit der Lage
Preußens im November 18-58 ist lächerlich. In Preußen war durch einen Hand¬
streich eine Partei an's Ruder gekommen, gegen welche die Majorität -- ich will
uicht gerade sagen, des Volks, aber jedenfalls derjenigen, die einen unmittelbaren
Alltheil am Staatsleben hatten -- empört war; im Namen und mit der Unter¬
stützung dieser Majorität hat das Novenlbcrlninisterinm den Staat regiert. In
Kassel ist aber das gesammte Volk, die Behörden und die Aristokratie mit einbe¬
griffen, gegell die Clique, welche sich zum Hohn alles Staatsrechts Regierung
nennt. Um eine solche Stellung anzufechten, bedarf mau tenter constitutionellen
Theorie; es ist auch im absoluten Staat unmöglich. Es ist nur möglich in einer
eroberten Provinz. Dazu soll Kassel gemacht werdeu, und uicht blos Kassel allem,


Nennung des Generallieutenant zum Minister der auswärtigen Angelegenheiten einen
Artikel, deu wir vollständig unterschreiben könnten. — Und dieser Mann, der seit
langer Zeit in sicherer Verborgenheit die Krcmäe poMiquo Preußens geleitet hat,
zum Spott ziemlich aller Parteien, tritt nun officiell an die Spitze der Geschäfte,
in dem Augenblick, wo es sich um eine Frage handelt, die man nicht, wie die
principielle der Union und des Bundestages, auf eine unbestimmte Zukunft hinaus¬
schieben kann, sondern die unmittelbar zur Entscheidung drängt.

Seine erste Thätigkeit macht nicht einen sehr erhebenden Eindruck. Es siud
dem Fürsteucollegium drei preußische Noten in der kurhessischeu Frage vorgelegt;
die beideu erstell (vom 12. und 21. September) noch vom Grafen Brandenburg,
die 3. (vom 26. September), die gegen alle diplomatische Convenienz direct an
die kurfürstliche Regierung gerichtet ist, vou Radowitz unterzeichnet. Alle drei
haben augenscheinlich denselben Verfasser, und es kauu uicht zweifelhaft sein, wo
dieser zu suchen ist. Aber während Nadowitz als Privatmann die Regierung eine
sehr eruste und energische Sprache führen läßt, tritt er als Minister schon ent¬
schuldigend ans, vergißt bei seinem Protest, der in deu beideu vorigen Noten uoch
eventuell gehalten sein konnte, jetzt, wo der Fall eingetreten ist, die Hauptsache,
nämlich die Andeutung, auf welche Weise Preußen das Einschreiten des Bundes¬
tags zu verhindern gedenke, und scheint mit großer Ostentation das Hauptgewicht
seiner Erd'läruug aus deu Umstand zu legen, daß es seiner Regierung lediglich
darauf ankomme, die fürstliche Autorität in Kassel wiederherzustellen. — Das können
freilich bloße Formeln sein, aber sie sind nicht geeignet, bedeutende Hoffnungen zu
erregen.

Die Sachlage ist in deu beideu ersten Noten sehr richtig formulirt. Preußen
hat nicht blos im Namen der Union, deren Rechtstitel durch die Unschlüssig-
keit der Regierung sehr zweifelhaft geworden siud, souderu durch seiue geogra¬
phische Lage das Recht und die Verpflichtung, eine Unterwerfung Kassels uuter
das Spielwerk Oestreichs zu verhindern. Denn so steht die Sache. Mit
deu einfältigen Sophismen, durch die mau sie in das weite Capitel der Rechts-
verdrehungen zu bringen sucht, ist nichts gethan; der Vergleich mit der Lage
Preußens im November 18-58 ist lächerlich. In Preußen war durch einen Hand¬
streich eine Partei an's Ruder gekommen, gegen welche die Majorität — ich will
uicht gerade sagen, des Volks, aber jedenfalls derjenigen, die einen unmittelbaren
Alltheil am Staatsleben hatten — empört war; im Namen und mit der Unter¬
stützung dieser Majorität hat das Novenlbcrlninisterinm den Staat regiert. In
Kassel ist aber das gesammte Volk, die Behörden und die Aristokratie mit einbe¬
griffen, gegell die Clique, welche sich zum Hohn alles Staatsrechts Regierung
nennt. Um eine solche Stellung anzufechten, bedarf mau tenter constitutionellen
Theorie; es ist auch im absoluten Staat unmöglich. Es ist nur möglich in einer
eroberten Provinz. Dazu soll Kassel gemacht werdeu, und uicht blos Kassel allem,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/66>, abgerufen am 27.07.2024.