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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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und Entschiedenheit auszuführen, was die Masse in dunkelm Instinct begehrt. --
Am häßlichsten macht sich die sophistische Bildung in der Unsicherheit des sittlichen
Gefühls geltend. Wenn z. B. Dahlmann, als seine persönliche Existenz durch
seinen Protest in der hannöverschen Sache im höchsten Grade gefährdet ist, an
die Königsberger schreibt: "Das ist ein beklagenswertes Ereigniß, welches die
Geschichte unnützer Weise verlängert und von ihrem wahren Ziel ablenkt!", und
Herr Walter bemerkt: "Es liegt so viel Uuiuteressirtheit in diesem Satz,
daß man dem Schreiber nicht böse werden kann! Ein Professor der Ge¬
schichte, der doch bei jeder Verlängerung derselben nur gewinnen kann, be¬
trauert sie aus reinem Gefühl für das Wohl seiner Mitmenschen!" -- so liegt
in diesem Witz bei einer solchen Gelegenheit so viel Jndisches, trotz der christlich¬
germanischen Abkunft des Herrn Walter, daß er kaum in den Kladderadatsch
gehört.

Der Nihilismus des Verfassers wird offenbar, wenn man das Büchlein in
seiner Totalität übersieht. Sämmtliche dargestellte Personen: Gerlach, Stahl,
Walter, Nadowitz, Dahlmann, Camphausen, Simson, Hansemann, Vincke, erscheinen
als vollkommene Schwachköpfe; die Männer der Linken, die "Staats.Demokraten"^
werden, wenn sich der Verfasser irgend consequent bleibt, uicht besser wegkommen.
Blos dem Wauwau "Volk", d. h. den Choristen ohne Namen, ohne gesellschaftliche
Stellung, ohne eignen Willen und ohne Bildung wird beiläufig gehuldigt, was
nichts weiter sagen will, als eine eüpwtio denovolentiae an das Publicum. Wenn
man nnn fragt, was denn noch eigentlich für Menschen übrig bleiben, ans welche
Deutschland die Hoffnung seiner Erlösung setzen kann, abgesehen von den Herren
Prince Smith, Faucher und N. Walter, deren Abendpost leider nicht so viel Abon¬
nenten finden konnte, um die Caution zu decken, so kann.man in der That nnr
finden -- die Gelehrten des Kladderadatsch! So lange dieses Blatt noch nicht
verboten ist, darf das Vaterland nicht verzweifeln.




Wir knüpfen die ernsthafte Betrachtung, zu welcher uns die gegenwärtige
Situation Preußens und Deutschlands treibt, gleichfalls an das besprochene Büch¬
lein an. Unter den Helden desselben sigurirt eiuer, dessen Einfluß auf diese
Situation im Augenblick vou unermeßlicher Bedeutung ist: Joseph vou Nadowitz.
Der Versasser stellt ihn als völligen, noch dazu geistig sehr unbedeutenden Char-
latan dar, der deu einzigen Zweck habe, Fortune zu machen. Wenn wir unserer¬
seits auch ein gutes Theil kalte Schwärmerei und skeptischen Dogmatismus --
diese Widersprüche muß man bei Nadowitz hinnehmen -- in ihm finden, so wird
doch im Wesentlichen unsere Ansicht auf dasselbe herauskommen; und es siud uicht
allem die Blätter uuserer Partei, die so urtheilen, soudern mich die demokratischen
und die reactionären. Die Kreuzzeitung z. B. brachte bei Gelegenheit der Er-


Grenzbotett. IV. 1850. 73

und Entschiedenheit auszuführen, was die Masse in dunkelm Instinct begehrt. —
Am häßlichsten macht sich die sophistische Bildung in der Unsicherheit des sittlichen
Gefühls geltend. Wenn z. B. Dahlmann, als seine persönliche Existenz durch
seinen Protest in der hannöverschen Sache im höchsten Grade gefährdet ist, an
die Königsberger schreibt: „Das ist ein beklagenswertes Ereigniß, welches die
Geschichte unnützer Weise verlängert und von ihrem wahren Ziel ablenkt!", und
Herr Walter bemerkt: „Es liegt so viel Uuiuteressirtheit in diesem Satz,
daß man dem Schreiber nicht böse werden kann! Ein Professor der Ge¬
schichte, der doch bei jeder Verlängerung derselben nur gewinnen kann, be¬
trauert sie aus reinem Gefühl für das Wohl seiner Mitmenschen!" — so liegt
in diesem Witz bei einer solchen Gelegenheit so viel Jndisches, trotz der christlich¬
germanischen Abkunft des Herrn Walter, daß er kaum in den Kladderadatsch
gehört.

Der Nihilismus des Verfassers wird offenbar, wenn man das Büchlein in
seiner Totalität übersieht. Sämmtliche dargestellte Personen: Gerlach, Stahl,
Walter, Nadowitz, Dahlmann, Camphausen, Simson, Hansemann, Vincke, erscheinen
als vollkommene Schwachköpfe; die Männer der Linken, die „Staats.Demokraten"^
werden, wenn sich der Verfasser irgend consequent bleibt, uicht besser wegkommen.
Blos dem Wauwau „Volk", d. h. den Choristen ohne Namen, ohne gesellschaftliche
Stellung, ohne eignen Willen und ohne Bildung wird beiläufig gehuldigt, was
nichts weiter sagen will, als eine eüpwtio denovolentiae an das Publicum. Wenn
man nnn fragt, was denn noch eigentlich für Menschen übrig bleiben, ans welche
Deutschland die Hoffnung seiner Erlösung setzen kann, abgesehen von den Herren
Prince Smith, Faucher und N. Walter, deren Abendpost leider nicht so viel Abon¬
nenten finden konnte, um die Caution zu decken, so kann.man in der That nnr
finden — die Gelehrten des Kladderadatsch! So lange dieses Blatt noch nicht
verboten ist, darf das Vaterland nicht verzweifeln.




Wir knüpfen die ernsthafte Betrachtung, zu welcher uns die gegenwärtige
Situation Preußens und Deutschlands treibt, gleichfalls an das besprochene Büch¬
lein an. Unter den Helden desselben sigurirt eiuer, dessen Einfluß auf diese
Situation im Augenblick vou unermeßlicher Bedeutung ist: Joseph vou Nadowitz.
Der Versasser stellt ihn als völligen, noch dazu geistig sehr unbedeutenden Char-
latan dar, der deu einzigen Zweck habe, Fortune zu machen. Wenn wir unserer¬
seits auch ein gutes Theil kalte Schwärmerei und skeptischen Dogmatismus —
diese Widersprüche muß man bei Nadowitz hinnehmen — in ihm finden, so wird
doch im Wesentlichen unsere Ansicht auf dasselbe herauskommen; und es siud uicht
allem die Blätter uuserer Partei, die so urtheilen, soudern mich die demokratischen
und die reactionären. Die Kreuzzeitung z. B. brachte bei Gelegenheit der Er-


Grenzbotett. IV. 1850. 73
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/65>, abgerufen am 28.07.2024.