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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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teil, die nothwendig einen Gedanken der Vermittelung in sich schließt, als eitel
erscheinen.

So ist es anch Herrn Walter gegangen. Aber davon abgesehen, ist in den
neuen Portraits ein großer Fortschritt. Sein Styl ist besser geworden, und der
Umfang seiner Beobachtungen reicher. Zwar ist noch Manier darin, z. B. die
schlechte Art, am Schlich die Geschilderten zu apostrophiren. "Nein, Herr Han-
semann, mit Ihrem Grundsatz ist es nichts, gehen Sie weg" u. s. w., "nein,
Herr Camphausen" n. s. w.; zwar führt ihn das Prineip zuweilen auf eine
solche Höhe, daß ihn: der Verstand ausgeht, wie den Luftschiffern der Athem, wenn
er z. B. mitleidig über die Verblendung der Constitutionellen lächelt, die noch
an die Existenz der englischen Verfassung glauben. Aber im Allgemeinen sind
die Portraits nicht uur brillant ausgeführt, sondern anch zum Theil sehr gut ge¬
troffen -- freilich getroffen, wie die Bilder des Punch, des Kladderadatsch, des
Charivari -- man erkennt sie sogleich, aber es sind Carricaturen.

Oder wenn dieser Vergleich zu wenig schmeichelhaft sein sollte, so will ich
mich dazu verstehen, sie den Schilderungen des Herrn von Cormenin an die Seite
zu stellen. Wer die portraitirten Personen kennt, wird durch einzelne frappant
getroffene Züge an sie erinnert werden; wer sie aber erst ans den Portraits ken¬
nen lernen will, wird em falsches Bild von ihnen bekommen. Denn gerade wie
im Punch sind einzelne, besonders hervorspringende Züge wiedergegeben, aber die
Verhältnisse verändert und die verbindenden Glieder ausgelassen. Wellington's
große Nase und Kinn, sein Feldherrnhütchen darauf und ein Paar kleine Bein¬
chen daran, wird wohl an Wellington erinnern, aber es ist kein Abbild.

Am besten werden daher solche Portraits gelingen, deren Originale schon an
sich Carricaturen sind. Bei Herrn v. Gerlach z. B. ist es einerlei, ob man ihn
aus den Kopf oder auf die Beine stellt, es bleibt immer der nämliche Hanswurst.
Am schlechtesten kräftige, naturwüchsige Figuren, wie Vincke, den der Verfasser
dadurch lächerlich zu machen sucht, daß er nachweist, er sei kein Philosoph; wo¬
für den edlen Freiherrn noch Niemand gehalten hat. Denn daß nur durch
kräftige, eigensinnige, einseitige Charaktere, mie Vincke, die Große Englands,
Amerika'S, aller freien Staaten möglich geworden ist, dieser Gesichtspunkt ist dem
nihilistischen Dogmatiker zu gemein. Ans eine ähnliche Weise wird anch sonst
die Lage der Dinge verdreht, z. B. Camphausen wird vorzüglich deshalb ange¬
griffen, weil er immer der Ausdruck des Massenbewnßtseins gewesen sei -- was
uicht einmal wahr ist. Ein solcher Vorwurf ist das höchste Lob für den Staats¬
mann ; uur dadurch ist Robert Peel groß geworden, denn die Masse ist nicht im
Handeln respectabel, wie der Verfasser mit einem falschen Citat Goethe sagen
läßt (Goethe spricht vom Zuschlagen), sie hat zum Handeln kein Organ, sie
ist eben das Bleigewicht, dessen Beistimmung den Thaten der Staatsmänner
Dauer giebt. Die großen Individuen haben klar zu erkennen und mit Plan


teil, die nothwendig einen Gedanken der Vermittelung in sich schließt, als eitel
erscheinen.

So ist es anch Herrn Walter gegangen. Aber davon abgesehen, ist in den
neuen Portraits ein großer Fortschritt. Sein Styl ist besser geworden, und der
Umfang seiner Beobachtungen reicher. Zwar ist noch Manier darin, z. B. die
schlechte Art, am Schlich die Geschilderten zu apostrophiren. „Nein, Herr Han-
semann, mit Ihrem Grundsatz ist es nichts, gehen Sie weg" u. s. w., „nein,
Herr Camphausen" n. s. w.; zwar führt ihn das Prineip zuweilen auf eine
solche Höhe, daß ihn: der Verstand ausgeht, wie den Luftschiffern der Athem, wenn
er z. B. mitleidig über die Verblendung der Constitutionellen lächelt, die noch
an die Existenz der englischen Verfassung glauben. Aber im Allgemeinen sind
die Portraits nicht uur brillant ausgeführt, sondern anch zum Theil sehr gut ge¬
troffen — freilich getroffen, wie die Bilder des Punch, des Kladderadatsch, des
Charivari — man erkennt sie sogleich, aber es sind Carricaturen.

Oder wenn dieser Vergleich zu wenig schmeichelhaft sein sollte, so will ich
mich dazu verstehen, sie den Schilderungen des Herrn von Cormenin an die Seite
zu stellen. Wer die portraitirten Personen kennt, wird durch einzelne frappant
getroffene Züge an sie erinnert werden; wer sie aber erst ans den Portraits ken¬
nen lernen will, wird em falsches Bild von ihnen bekommen. Denn gerade wie
im Punch sind einzelne, besonders hervorspringende Züge wiedergegeben, aber die
Verhältnisse verändert und die verbindenden Glieder ausgelassen. Wellington's
große Nase und Kinn, sein Feldherrnhütchen darauf und ein Paar kleine Bein¬
chen daran, wird wohl an Wellington erinnern, aber es ist kein Abbild.

Am besten werden daher solche Portraits gelingen, deren Originale schon an
sich Carricaturen sind. Bei Herrn v. Gerlach z. B. ist es einerlei, ob man ihn
aus den Kopf oder auf die Beine stellt, es bleibt immer der nämliche Hanswurst.
Am schlechtesten kräftige, naturwüchsige Figuren, wie Vincke, den der Verfasser
dadurch lächerlich zu machen sucht, daß er nachweist, er sei kein Philosoph; wo¬
für den edlen Freiherrn noch Niemand gehalten hat. Denn daß nur durch
kräftige, eigensinnige, einseitige Charaktere, mie Vincke, die Große Englands,
Amerika'S, aller freien Staaten möglich geworden ist, dieser Gesichtspunkt ist dem
nihilistischen Dogmatiker zu gemein. Ans eine ähnliche Weise wird anch sonst
die Lage der Dinge verdreht, z. B. Camphausen wird vorzüglich deshalb ange¬
griffen, weil er immer der Ausdruck des Massenbewnßtseins gewesen sei — was
uicht einmal wahr ist. Ein solcher Vorwurf ist das höchste Lob für den Staats¬
mann ; uur dadurch ist Robert Peel groß geworden, denn die Masse ist nicht im
Handeln respectabel, wie der Verfasser mit einem falschen Citat Goethe sagen
läßt (Goethe spricht vom Zuschlagen), sie hat zum Handeln kein Organ, sie
ist eben das Bleigewicht, dessen Beistimmung den Thaten der Staatsmänner
Dauer giebt. Die großen Individuen haben klar zu erkennen und mit Plan


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/64>, abgerufen am 28.07.2024.