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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Politik.

Parlamentarische Größen. Von N. Walter. sister Bd.: die Conservativen (Ger¬
lach. Stahl. Walter. Nadowitz. Dahlnumn. Ccimphausen. Simson. Hansemann.
Vincke.) 1850. Berlin, Hofmann.

Die gegenwärtige Lage unserer Politik zwingt uns zu einigen ernsten und un¬
erfreulichen Betrachtungen, die wir dadurch zu mildern suchen, daß wir ihnen
eine heitere Einleitung vorausschicken. Dazu giebt uns die Besprechung des ge¬
nannten Buchs Veranlassung.

Die Nationalzeitnng bezeichnet es als das Werk eines der geistreichsten Män¬
ner ihrer Partei, desselben, der die Portraits der Berliner Nationalversammlung
in den Grenzboten gezeichnet. Für einen, der diese Portraits gesehen, muß
es eine nicht geringe Ueberraschung sein, daß der Verfasser derselben zur Partei
der Nationalzeitnng gehört. Die Schilderungen, die er von Waldeck, Jung,
Berg, Held, Dierschte, Weichsel u. s. w. gab, waren nicht geeignet, das ver¬
muthen zu lassen. Aber die Nationalzeitung ist in dem eifrigen Bemühen, die
zersprengten Fähnlein der sogenannten Demokratie zu sammeln, nicht sehr wäh¬
lerisch; sie fordert nichts als das Schiboleth ihrer Partei, das Nichtwählen,
im Uebrigen nimmt sie Jeden ans, der nnr "recht weit geht," wenn er auch so
weit geht, die gesammte Partei der Nationalzeitnng und des passivem Wider¬
standes -- die "Staats-Demot'ratie" -- für einfältig zu erklären.

Wenn wir uns erlauben dürfen, uns über den politischen Standpunkt des
Verfassers ein Urtheil zu bilden, so wäre es folgendes. Im Jahr 18-58, als
er jene Schilderungen in den Grenzboten schrieb, war er, wie die meisten Ber¬
liner, die nicht Minister waren, nicht in der Nationalversammlung saßen, und
nicht Emeuten machten, -- und auch unter diesen noch viele -- mehr Tourist
(Bummler) als Politiker. "Der Bummler steht ans einer höhern Warte, als auf
den Zinnen der Partei." Ich muß übrigens dabei hinzusetzen, ganz wie er
selber, als er die Gothaer "Wetterfahnen" nennt: diese Bezeichnung soll nicht
die geringste sittliche Entrüstung enthalten. -- Das Interesse deö Touristen an
den Narrheiten der Volksvertreter war ein ästhetisches, objectives; ohne alle
Beimischung eines politischen Interesse. Im Gegentheil diente das gravitätische
Kopfschütteln, das hin und wieder die muntere Erzählung unterbrach, nnr dazu,
den Neiz des Humors zu erhöhen. -- Wir hatten freilich ein anderes Interesse
dabei; wir wollten diese Versammlung, deren wüstes Treiben den Staat an den
Rand des Unterganges brachte, wenigstens ärgern, da wir ihr nicht mit stärkern
Waffen entgegentreten konnten.

Seitdem hat Herr Walter allerdings einen politischen Standpunkt gefunden.
Es ist der Standpunkt der Abendpost, des Freihandels und der Staatlvsigkeit,


Politik.

Parlamentarische Größen. Von N. Walter. sister Bd.: die Conservativen (Ger¬
lach. Stahl. Walter. Nadowitz. Dahlnumn. Ccimphausen. Simson. Hansemann.
Vincke.) 1850. Berlin, Hofmann.

Die gegenwärtige Lage unserer Politik zwingt uns zu einigen ernsten und un¬
erfreulichen Betrachtungen, die wir dadurch zu mildern suchen, daß wir ihnen
eine heitere Einleitung vorausschicken. Dazu giebt uns die Besprechung des ge¬
nannten Buchs Veranlassung.

Die Nationalzeitnng bezeichnet es als das Werk eines der geistreichsten Män¬
ner ihrer Partei, desselben, der die Portraits der Berliner Nationalversammlung
in den Grenzboten gezeichnet. Für einen, der diese Portraits gesehen, muß
es eine nicht geringe Ueberraschung sein, daß der Verfasser derselben zur Partei
der Nationalzeitnng gehört. Die Schilderungen, die er von Waldeck, Jung,
Berg, Held, Dierschte, Weichsel u. s. w. gab, waren nicht geeignet, das ver¬
muthen zu lassen. Aber die Nationalzeitung ist in dem eifrigen Bemühen, die
zersprengten Fähnlein der sogenannten Demokratie zu sammeln, nicht sehr wäh¬
lerisch; sie fordert nichts als das Schiboleth ihrer Partei, das Nichtwählen,
im Uebrigen nimmt sie Jeden ans, der nnr „recht weit geht," wenn er auch so
weit geht, die gesammte Partei der Nationalzeitnng und des passivem Wider¬
standes — die „Staats-Demot'ratie" — für einfältig zu erklären.

Wenn wir uns erlauben dürfen, uns über den politischen Standpunkt des
Verfassers ein Urtheil zu bilden, so wäre es folgendes. Im Jahr 18-58, als
er jene Schilderungen in den Grenzboten schrieb, war er, wie die meisten Ber¬
liner, die nicht Minister waren, nicht in der Nationalversammlung saßen, und
nicht Emeuten machten, — und auch unter diesen noch viele — mehr Tourist
(Bummler) als Politiker. „Der Bummler steht ans einer höhern Warte, als auf
den Zinnen der Partei." Ich muß übrigens dabei hinzusetzen, ganz wie er
selber, als er die Gothaer „Wetterfahnen" nennt: diese Bezeichnung soll nicht
die geringste sittliche Entrüstung enthalten. — Das Interesse deö Touristen an
den Narrheiten der Volksvertreter war ein ästhetisches, objectives; ohne alle
Beimischung eines politischen Interesse. Im Gegentheil diente das gravitätische
Kopfschütteln, das hin und wieder die muntere Erzählung unterbrach, nnr dazu,
den Neiz des Humors zu erhöhen. — Wir hatten freilich ein anderes Interesse
dabei; wir wollten diese Versammlung, deren wüstes Treiben den Staat an den
Rand des Unterganges brachte, wenigstens ärgern, da wir ihr nicht mit stärkern
Waffen entgegentreten konnten.

Seitdem hat Herr Walter allerdings einen politischen Standpunkt gefunden.
Es ist der Standpunkt der Abendpost, des Freihandels und der Staatlvsigkeit,


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[0062] Politik. Parlamentarische Größen. Von N. Walter. sister Bd.: die Conservativen (Ger¬ lach. Stahl. Walter. Nadowitz. Dahlnumn. Ccimphausen. Simson. Hansemann. Vincke.) 1850. Berlin, Hofmann. Die gegenwärtige Lage unserer Politik zwingt uns zu einigen ernsten und un¬ erfreulichen Betrachtungen, die wir dadurch zu mildern suchen, daß wir ihnen eine heitere Einleitung vorausschicken. Dazu giebt uns die Besprechung des ge¬ nannten Buchs Veranlassung. Die Nationalzeitnng bezeichnet es als das Werk eines der geistreichsten Män¬ ner ihrer Partei, desselben, der die Portraits der Berliner Nationalversammlung in den Grenzboten gezeichnet. Für einen, der diese Portraits gesehen, muß es eine nicht geringe Ueberraschung sein, daß der Verfasser derselben zur Partei der Nationalzeitnng gehört. Die Schilderungen, die er von Waldeck, Jung, Berg, Held, Dierschte, Weichsel u. s. w. gab, waren nicht geeignet, das ver¬ muthen zu lassen. Aber die Nationalzeitung ist in dem eifrigen Bemühen, die zersprengten Fähnlein der sogenannten Demokratie zu sammeln, nicht sehr wäh¬ lerisch; sie fordert nichts als das Schiboleth ihrer Partei, das Nichtwählen, im Uebrigen nimmt sie Jeden ans, der nnr „recht weit geht," wenn er auch so weit geht, die gesammte Partei der Nationalzeitnng und des passivem Wider¬ standes — die „Staats-Demot'ratie" — für einfältig zu erklären. Wenn wir uns erlauben dürfen, uns über den politischen Standpunkt des Verfassers ein Urtheil zu bilden, so wäre es folgendes. Im Jahr 18-58, als er jene Schilderungen in den Grenzboten schrieb, war er, wie die meisten Ber¬ liner, die nicht Minister waren, nicht in der Nationalversammlung saßen, und nicht Emeuten machten, — und auch unter diesen noch viele — mehr Tourist (Bummler) als Politiker. „Der Bummler steht ans einer höhern Warte, als auf den Zinnen der Partei." Ich muß übrigens dabei hinzusetzen, ganz wie er selber, als er die Gothaer „Wetterfahnen" nennt: diese Bezeichnung soll nicht die geringste sittliche Entrüstung enthalten. — Das Interesse deö Touristen an den Narrheiten der Volksvertreter war ein ästhetisches, objectives; ohne alle Beimischung eines politischen Interesse. Im Gegentheil diente das gravitätische Kopfschütteln, das hin und wieder die muntere Erzählung unterbrach, nnr dazu, den Neiz des Humors zu erhöhen. — Wir hatten freilich ein anderes Interesse dabei; wir wollten diese Versammlung, deren wüstes Treiben den Staat an den Rand des Unterganges brachte, wenigstens ärgern, da wir ihr nicht mit stärkern Waffen entgegentreten konnten. Seitdem hat Herr Walter allerdings einen politischen Standpunkt gefunden. Es ist der Standpunkt der Abendpost, des Freihandels und der Staatlvsigkeit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/62>, abgerufen am 28.07.2024.