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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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wohner wohl vertraut sind. In den Kongregationen übt das Volk sein Recht
der Ueberwachung der Verwaltung, so wie das Recht der Initiative wegen neuer
Einrichtungen und Reformen aus. Die Regierung als oberstes leitendes Princip
der gesammten Staatsverwaltung hat durch die jährlichen Berichterstattungen Ge¬
legenheit, etwaige Mißbräuche oder Gesetzverletzungeu zu überwache", und theils
dnrch gesetzliche Verordnungen dagegen einzuschreiten, im Widerspenstigkeitsfalle
aber durch deu Landtag die Zurechtweisung oder Züchtigung des widerspenstigen
Muuicipiums zu bewerkstelligen. -- Das Beamtenpersonal ist so klein an der
Zahl und die Kosten der Verwaltung siud so genug wie man sie kaum in
einem Lande Europa's finden dürfte, und der Gaug der Geschäfte erlitt dadurch
uur unbedeutenden Aufschub, da er uicht an jenen Schneckenweg gebunden war,
der die Bureaukratie so schwerfällig und gebrechlich macht. Die Beamten konn¬
ten jeder in seiner Sphäre das Gute fördern und das Böse hindern, ohne an
die Laune oder Pedanterie eiues übelwollenden oder mürrischen Vorgesetzten ge¬
bunden zu sein, und durften andererseits ihre Machtvollkommenheit nicht eigen¬
mächtig erweitern, da sie der Generalversammlung für ihre Handlungsweise ver¬
antwortlich waren.

Aber trotz aller dieser Vortheile hatte das ungarische Muuieivalweseu große
Mängel, und viele Uebel und Mißbräuche, besouders aber die Vernachlässigung
Ungarns in vielen Zweigen der Verwaltung sind zum großen Theil diesen Män¬
geln zuzuschreiben. Allein diese Mängel sind nicht in der Municipalverfassung
überhaupt, sondern einzig und allein in der Art und Weise, wie sie in Ungarn
im Schoße der alten Verfassung gehandhabt wurde, zu suchen; besouders aber
waren es die ausschließliche Berechtigung des Adels zur Ausübung staatsbürger¬
licher Rechte, die Steuerfreiheit des Adels und der Maugel eiuer von fremdarti¬
gen anticonstitutionellen Einflüssen freien verantwortlichen Regierung, aus welchen
fast alle Uebel des ungarischen Municipalwesens erflossen.

Das Volk, wie es vor dem März bestand, und welches man gewöhnlich
den popu1u8 Verbüoxiarms nannte, war eine privilegirte Classe, die kaum den
zehnten Theil der Bevölkerung bildete, von allen Staatslasten befreit war, und
dennoch alle politischen Rechte im Staate überhaupt und im Municipinm insbe¬
sondere ausschließlich ausübte. Die Wahl der Beamten wurde uicht durch Ur-
wähler oder durch gewählte Wahlmänner ans allen Theilen der steuerzahlenden
Bevölkerung, soudern von dem außer dem Volke stehenden Gesammtadel vorge¬
nommen. Die Wähler sowohl als die Gewählten disponirten also größtentheils



Das Pesther Comitat hatte auf eine Bevölkerung von einer halben Million Menschen
ein Beamtenpersonal von 70 Individuen (ohne Täblabiräk und Dienerschaft) und brauchte
in den Jahren nach 1840 zur Besoldung desselben nicht viel über 30,000 Gulden Münze.
Der wirkliche Mangel, der in manchen Zweigen der Verwaltung stattfand, hatte durch
Hinzufügung einiger untergeordneter Beamten leicht ersetzt werden können.

wohner wohl vertraut sind. In den Kongregationen übt das Volk sein Recht
der Ueberwachung der Verwaltung, so wie das Recht der Initiative wegen neuer
Einrichtungen und Reformen aus. Die Regierung als oberstes leitendes Princip
der gesammten Staatsverwaltung hat durch die jährlichen Berichterstattungen Ge¬
legenheit, etwaige Mißbräuche oder Gesetzverletzungeu zu überwache», und theils
dnrch gesetzliche Verordnungen dagegen einzuschreiten, im Widerspenstigkeitsfalle
aber durch deu Landtag die Zurechtweisung oder Züchtigung des widerspenstigen
Muuicipiums zu bewerkstelligen. — Das Beamtenpersonal ist so klein an der
Zahl und die Kosten der Verwaltung siud so genug wie man sie kaum in
einem Lande Europa's finden dürfte, und der Gaug der Geschäfte erlitt dadurch
uur unbedeutenden Aufschub, da er uicht an jenen Schneckenweg gebunden war,
der die Bureaukratie so schwerfällig und gebrechlich macht. Die Beamten konn¬
ten jeder in seiner Sphäre das Gute fördern und das Böse hindern, ohne an
die Laune oder Pedanterie eiues übelwollenden oder mürrischen Vorgesetzten ge¬
bunden zu sein, und durften andererseits ihre Machtvollkommenheit nicht eigen¬
mächtig erweitern, da sie der Generalversammlung für ihre Handlungsweise ver¬
antwortlich waren.

Aber trotz aller dieser Vortheile hatte das ungarische Muuieivalweseu große
Mängel, und viele Uebel und Mißbräuche, besouders aber die Vernachlässigung
Ungarns in vielen Zweigen der Verwaltung sind zum großen Theil diesen Män¬
geln zuzuschreiben. Allein diese Mängel sind nicht in der Municipalverfassung
überhaupt, sondern einzig und allein in der Art und Weise, wie sie in Ungarn
im Schoße der alten Verfassung gehandhabt wurde, zu suchen; besouders aber
waren es die ausschließliche Berechtigung des Adels zur Ausübung staatsbürger¬
licher Rechte, die Steuerfreiheit des Adels und der Maugel eiuer von fremdarti¬
gen anticonstitutionellen Einflüssen freien verantwortlichen Regierung, aus welchen
fast alle Uebel des ungarischen Municipalwesens erflossen.

Das Volk, wie es vor dem März bestand, und welches man gewöhnlich
den popu1u8 Verbüoxiarms nannte, war eine privilegirte Classe, die kaum den
zehnten Theil der Bevölkerung bildete, von allen Staatslasten befreit war, und
dennoch alle politischen Rechte im Staate überhaupt und im Municipinm insbe¬
sondere ausschließlich ausübte. Die Wahl der Beamten wurde uicht durch Ur-
wähler oder durch gewählte Wahlmänner ans allen Theilen der steuerzahlenden
Bevölkerung, soudern von dem außer dem Volke stehenden Gesammtadel vorge¬
nommen. Die Wähler sowohl als die Gewählten disponirten also größtentheils



Das Pesther Comitat hatte auf eine Bevölkerung von einer halben Million Menschen
ein Beamtenpersonal von 70 Individuen (ohne Täblabiräk und Dienerschaft) und brauchte
in den Jahren nach 1840 zur Besoldung desselben nicht viel über 30,000 Gulden Münze.
Der wirkliche Mangel, der in manchen Zweigen der Verwaltung stattfand, hatte durch
Hinzufügung einiger untergeordneter Beamten leicht ersetzt werden können.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/54>, abgerufen am 22.07.2024.