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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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einfältiger als irgend ein anderer. Daher gelingt in ihm am Besten die Rede
pfiffiger Einfalt, derben Scherzes. Für die flüchtige Sentimentalität des Schlesiers,
welche im Volke allerdings ein hervorstechender Zug ist, eignet er sich wenig.
Auch in Holtei's Gedichten ist das Einbrechen weichen Gefühls in die drollige
Laune häufig, aber nicht immer von guter Wirkung.

Die Gedichte waren zum größten Theil schon früher in einer Sammlung
gedruckt, andere sind später entstanden und haben bei verschiedenen Gelegenheiten,
in großen Kreisen Frende bereitet. Ein großer Theil ist singbar, und wer je
den Genuß gehabt hat Holtet als Liedersängcr in fröhlichem Kreise zu hören, wird
bei der Lectüre der leichten liebenswürdigen Scherze den virtuosen Vortrag des
Dichters dnrch die Zeilen durchklingen hören.

Für solche Leser, welchen der schlesische Dialekt fremd ist, möge hier eines
der derben Gedichte stehen, deren Werth in der drolligen Einfalt des Inhalts
und der meisterhaft benutzten Sprache liegt. Unsere Theologen werden nicht zür¬
nen, daß das launige Gedicht grade gegen sie unartig ist. Es ist nur Scherz,
im Ernst ist der Schlesier der Theologie sehr zugethan, und wahre und falsche
Frömmigkeit ist an der Oder und im Gebirge zu Hause. -- Freilich ist das Cha¬
rakteristische .eines Dialekts durch Schriftzeichen uur höchst unvollständig wieder¬
zugeben.

ES folgt also dies Gedicht, weil es seinem Inhalt nach in jedem andern
Dialekt fast abgeschmackt wäre, während es im schlesischen ausgezeichnet klingt:


De 'Farr'n.
Giäupuersch Julchen spricht zu ihrer Mutter:
Mutterle, warum ha'u denn-t-de Juden,
Wie se noch derheeme seyn gewäsen,
Eh-b-se seyn bis nach der Schläsing' knurren,
Ihre 'Farr'n gemußt zum Opfer schlachten? Wecs denn ihchs? Dn kleenes Kümmcrgrittel?
Und was gihn denn Disch, Dn Alp, de Juden
Und der Juden ihre 'Farr'n an? Lüff' aides!
Für meinswägen ungen fisch se schlachten,
Wenn se wullen alle -nndersammen,
Judekerl und Jüdchen sammt'a Kindern. Und de Julchen dumme zu ihrem Vater:
Vaterle, wißt ihr mer'sah ärndt zu sagen? Ach, Quarkspitzen? Gib' mer weg mit sitten
Tälschen Fragen; was schiert aides der Jude?
Schuldig bihu isch keenen nischt und suste
Kan' a' aides -- mit Frieden küssen; birscht de?

einfältiger als irgend ein anderer. Daher gelingt in ihm am Besten die Rede
pfiffiger Einfalt, derben Scherzes. Für die flüchtige Sentimentalität des Schlesiers,
welche im Volke allerdings ein hervorstechender Zug ist, eignet er sich wenig.
Auch in Holtei's Gedichten ist das Einbrechen weichen Gefühls in die drollige
Laune häufig, aber nicht immer von guter Wirkung.

Die Gedichte waren zum größten Theil schon früher in einer Sammlung
gedruckt, andere sind später entstanden und haben bei verschiedenen Gelegenheiten,
in großen Kreisen Frende bereitet. Ein großer Theil ist singbar, und wer je
den Genuß gehabt hat Holtet als Liedersängcr in fröhlichem Kreise zu hören, wird
bei der Lectüre der leichten liebenswürdigen Scherze den virtuosen Vortrag des
Dichters dnrch die Zeilen durchklingen hören.

Für solche Leser, welchen der schlesische Dialekt fremd ist, möge hier eines
der derben Gedichte stehen, deren Werth in der drolligen Einfalt des Inhalts
und der meisterhaft benutzten Sprache liegt. Unsere Theologen werden nicht zür¬
nen, daß das launige Gedicht grade gegen sie unartig ist. Es ist nur Scherz,
im Ernst ist der Schlesier der Theologie sehr zugethan, und wahre und falsche
Frömmigkeit ist an der Oder und im Gebirge zu Hause. — Freilich ist das Cha¬
rakteristische .eines Dialekts durch Schriftzeichen uur höchst unvollständig wieder¬
zugeben.

ES folgt also dies Gedicht, weil es seinem Inhalt nach in jedem andern
Dialekt fast abgeschmackt wäre, während es im schlesischen ausgezeichnet klingt:


De 'Farr'n.
Giäupuersch Julchen spricht zu ihrer Mutter:
Mutterle, warum ha'u denn-t-de Juden,
Wie se noch derheeme seyn gewäsen,
Eh-b-se seyn bis nach der Schläsing' knurren,
Ihre 'Farr'n gemußt zum Opfer schlachten? Wecs denn ihchs? Dn kleenes Kümmcrgrittel?
Und was gihn denn Disch, Dn Alp, de Juden
Und der Juden ihre 'Farr'n an? Lüff' aides!
Für meinswägen ungen fisch se schlachten,
Wenn se wullen alle -nndersammen,
Judekerl und Jüdchen sammt'a Kindern. Und de Julchen dumme zu ihrem Vater:
Vaterle, wißt ihr mer'sah ärndt zu sagen? Ach, Quarkspitzen? Gib' mer weg mit sitten
Tälschen Fragen; was schiert aides der Jude?
Schuldig bihu isch keenen nischt und suste
Kan' a' aides — mit Frieden küssen; birscht de?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/496>, abgerufen am 22.07.2024.