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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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pfiuduugsweise seines Stammes. Nur dunkle Ahnungen hatte man früher in der
Außenwelt von dem schlesischen Gemüth: dem allerliebsten Gemisch von polnischer
Lebhaftigkeit und altsächsischer Bedächtigkeit, von gutmüthiger Einfalt und calcu-
lirendem Scharfsinn, von sentimentaler Weichheit und reflectirender Ironie; von
lauter Fröhlichkeit und andächtigem Ernst. Wer unterhält seiue Kameraden auf
der Geselleubauk? Der Schlesier. Wer weint mit seiner Geliebten im Monden¬
schein? Der Schlesier. Wer wischt sich diese Thränen mit dem Tabaksbeutel ab
und denkt zuletzt: "Es ist alles Wurst?" Der Schlesier. Wem steigt der Wein
am schnellsten zu Kopf und wer hält doch am längsten beim Becher aus? Wieder
der Schlesier. Wer verzückt sich am tiefsten in mystischer Gottseligkeit und wer
conversirt am gleichgültigsten mit dem Teufel? Immer der Schlesier. Alles was
man auf Erden nur werden kann, wird der Schlesier mit Leichtigkeit: Engländer
und Nüsse, Minister und Seiltänzer, Posaune und Klapphorn, fromm und gott¬
los, reich und arm. Am liebsten wird er allerdings Poet, weil ihm das die
Einseitigkeit erspart, irgend etwas specielles zu werden.

Der deutsche Dialekt, welcher sich in diesen: Stamme allmälig ans dem Zu¬
sammenstoß schwäbischer, hessischer und sächsischer Colonistensprache mit slavischen
Lauten gebildet hat, ist so wunderlich, wie die Anlage des Volkes. Bald dehnt
er phlegmatisch kurze Vocale zu unerhörter Länge, bald schnellt er ungeduldig
lauge Silben als kurze heraus; platt und behaglich drückr er die Worte zwischen
Zunge und Lippen, dunkle Doppelvocale macht er hell, er dröhnt nicht aus der
Brust und rollt uicht aus der Kehle, souderu bildet sich die Laute zur Vermei¬
dung vou Anstrengungen im Vordertheil des Mundes mit breiter Zunge und sehr
beweglichem Munde. Er ist, wie die Dialekte in alleil spät colonisirten Ländern,
fast auf jeder Quadratmeile ein anderer, und doch haben alle diese verschiedenen
Sprechweisen so viel Gemeinsames, daß sie dem Hörer den Eindruck derselben
Individualität machen. Holtei hat vortrefflich verstanden, dies Gemeinsame deö
Dialekts in der Schrift zu fixiren und poetisch zu verwenden.

Auch das Wesen des Schlesiers, seine Art zu fühlen, zu reflectiren und zu
handeln ist von ihm in den vorliegenden Gedichten gut wiedergegeben, so weit
es überhaupt möglich ist, im Dialekt des Volkes die charakteristischen Eigenthüm¬
lichkeiten des Volkes auszudrücken. Denn der Dialekt eines Landes ist zwar selbst
ans der individuellen Anlage seines Stammes hervorgegangen, aber als Gegen¬
satz zur gebildeten Sprache ist er doch nur im Stande, einzelne, wenige Kreise
von Empfindungen zweckmäßig darzustellen, ungefähr wie die verschiedenen Ton¬
arten in der Musik jede uur gewissen Reihen vou musikalischen Empfindungen
Ausdruck geben können. Der schlesische Dialekt steht seinem Charakter, nicht sei¬
nen Lauten nach, etwa zwischen dem plattdeutschen und dem alemannischen, zwischen
der derben trockenen Laune des Nordens und der gefühlvollen Beweglichkeit des
Südens. Er klingt breit und behaglich, aber auch kindlich und schelmisch, und


pfiuduugsweise seines Stammes. Nur dunkle Ahnungen hatte man früher in der
Außenwelt von dem schlesischen Gemüth: dem allerliebsten Gemisch von polnischer
Lebhaftigkeit und altsächsischer Bedächtigkeit, von gutmüthiger Einfalt und calcu-
lirendem Scharfsinn, von sentimentaler Weichheit und reflectirender Ironie; von
lauter Fröhlichkeit und andächtigem Ernst. Wer unterhält seiue Kameraden auf
der Geselleubauk? Der Schlesier. Wer weint mit seiner Geliebten im Monden¬
schein? Der Schlesier. Wer wischt sich diese Thränen mit dem Tabaksbeutel ab
und denkt zuletzt: „Es ist alles Wurst?" Der Schlesier. Wem steigt der Wein
am schnellsten zu Kopf und wer hält doch am längsten beim Becher aus? Wieder
der Schlesier. Wer verzückt sich am tiefsten in mystischer Gottseligkeit und wer
conversirt am gleichgültigsten mit dem Teufel? Immer der Schlesier. Alles was
man auf Erden nur werden kann, wird der Schlesier mit Leichtigkeit: Engländer
und Nüsse, Minister und Seiltänzer, Posaune und Klapphorn, fromm und gott¬
los, reich und arm. Am liebsten wird er allerdings Poet, weil ihm das die
Einseitigkeit erspart, irgend etwas specielles zu werden.

Der deutsche Dialekt, welcher sich in diesen: Stamme allmälig ans dem Zu¬
sammenstoß schwäbischer, hessischer und sächsischer Colonistensprache mit slavischen
Lauten gebildet hat, ist so wunderlich, wie die Anlage des Volkes. Bald dehnt
er phlegmatisch kurze Vocale zu unerhörter Länge, bald schnellt er ungeduldig
lauge Silben als kurze heraus; platt und behaglich drückr er die Worte zwischen
Zunge und Lippen, dunkle Doppelvocale macht er hell, er dröhnt nicht aus der
Brust und rollt uicht aus der Kehle, souderu bildet sich die Laute zur Vermei¬
dung vou Anstrengungen im Vordertheil des Mundes mit breiter Zunge und sehr
beweglichem Munde. Er ist, wie die Dialekte in alleil spät colonisirten Ländern,
fast auf jeder Quadratmeile ein anderer, und doch haben alle diese verschiedenen
Sprechweisen so viel Gemeinsames, daß sie dem Hörer den Eindruck derselben
Individualität machen. Holtei hat vortrefflich verstanden, dies Gemeinsame deö
Dialekts in der Schrift zu fixiren und poetisch zu verwenden.

Auch das Wesen des Schlesiers, seine Art zu fühlen, zu reflectiren und zu
handeln ist von ihm in den vorliegenden Gedichten gut wiedergegeben, so weit
es überhaupt möglich ist, im Dialekt des Volkes die charakteristischen Eigenthüm¬
lichkeiten des Volkes auszudrücken. Denn der Dialekt eines Landes ist zwar selbst
ans der individuellen Anlage seines Stammes hervorgegangen, aber als Gegen¬
satz zur gebildeten Sprache ist er doch nur im Stande, einzelne, wenige Kreise
von Empfindungen zweckmäßig darzustellen, ungefähr wie die verschiedenen Ton¬
arten in der Musik jede uur gewissen Reihen vou musikalischen Empfindungen
Ausdruck geben können. Der schlesische Dialekt steht seinem Charakter, nicht sei¬
nen Lauten nach, etwa zwischen dem plattdeutschen und dem alemannischen, zwischen
der derben trockenen Laune des Nordens und der gefühlvollen Beweglichkeit des
Südens. Er klingt breit und behaglich, aber auch kindlich und schelmisch, und


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[0495] pfiuduugsweise seines Stammes. Nur dunkle Ahnungen hatte man früher in der Außenwelt von dem schlesischen Gemüth: dem allerliebsten Gemisch von polnischer Lebhaftigkeit und altsächsischer Bedächtigkeit, von gutmüthiger Einfalt und calcu- lirendem Scharfsinn, von sentimentaler Weichheit und reflectirender Ironie; von lauter Fröhlichkeit und andächtigem Ernst. Wer unterhält seiue Kameraden auf der Geselleubauk? Der Schlesier. Wer weint mit seiner Geliebten im Monden¬ schein? Der Schlesier. Wer wischt sich diese Thränen mit dem Tabaksbeutel ab und denkt zuletzt: „Es ist alles Wurst?" Der Schlesier. Wem steigt der Wein am schnellsten zu Kopf und wer hält doch am längsten beim Becher aus? Wieder der Schlesier. Wer verzückt sich am tiefsten in mystischer Gottseligkeit und wer conversirt am gleichgültigsten mit dem Teufel? Immer der Schlesier. Alles was man auf Erden nur werden kann, wird der Schlesier mit Leichtigkeit: Engländer und Nüsse, Minister und Seiltänzer, Posaune und Klapphorn, fromm und gott¬ los, reich und arm. Am liebsten wird er allerdings Poet, weil ihm das die Einseitigkeit erspart, irgend etwas specielles zu werden. Der deutsche Dialekt, welcher sich in diesen: Stamme allmälig ans dem Zu¬ sammenstoß schwäbischer, hessischer und sächsischer Colonistensprache mit slavischen Lauten gebildet hat, ist so wunderlich, wie die Anlage des Volkes. Bald dehnt er phlegmatisch kurze Vocale zu unerhörter Länge, bald schnellt er ungeduldig lauge Silben als kurze heraus; platt und behaglich drückr er die Worte zwischen Zunge und Lippen, dunkle Doppelvocale macht er hell, er dröhnt nicht aus der Brust und rollt uicht aus der Kehle, souderu bildet sich die Laute zur Vermei¬ dung vou Anstrengungen im Vordertheil des Mundes mit breiter Zunge und sehr beweglichem Munde. Er ist, wie die Dialekte in alleil spät colonisirten Ländern, fast auf jeder Quadratmeile ein anderer, und doch haben alle diese verschiedenen Sprechweisen so viel Gemeinsames, daß sie dem Hörer den Eindruck derselben Individualität machen. Holtei hat vortrefflich verstanden, dies Gemeinsame deö Dialekts in der Schrift zu fixiren und poetisch zu verwenden. Auch das Wesen des Schlesiers, seine Art zu fühlen, zu reflectiren und zu handeln ist von ihm in den vorliegenden Gedichten gut wiedergegeben, so weit es überhaupt möglich ist, im Dialekt des Volkes die charakteristischen Eigenthüm¬ lichkeiten des Volkes auszudrücken. Denn der Dialekt eines Landes ist zwar selbst ans der individuellen Anlage seines Stammes hervorgegangen, aber als Gegen¬ satz zur gebildeten Sprache ist er doch nur im Stande, einzelne, wenige Kreise von Empfindungen zweckmäßig darzustellen, ungefähr wie die verschiedenen Ton¬ arten in der Musik jede uur gewissen Reihen vou musikalischen Empfindungen Ausdruck geben können. Der schlesische Dialekt steht seinem Charakter, nicht sei¬ nen Lauten nach, etwa zwischen dem plattdeutschen und dem alemannischen, zwischen der derben trockenen Laune des Nordens und der gefühlvollen Beweglichkeit des Südens. Er klingt breit und behaglich, aber auch kindlich und schelmisch, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/495>, abgerufen am 22.07.2024.