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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Töne des Stnrmmarsches vernehmen, und das "Hurrah," welches von dorther
klang, machte uns unruhig und ließ uns fürchten, daß wir zu spät kommen, daß
Andere vor uus in die Stadt dringen würden. Da tönte das "Vorwärts" un¬
seres Commandeurs durch die Luft und setzte sich in der langen Linie von Rotte
zu Rotte fort. Schnell ging es vor, aber plötzlich prallte die Linie zurück.
Schon waren wir an einem, von uns nicht gesehenen Graben angelangt, der
längs unserer ganzen Schützenkette entlang lief. "Wir waten durch," rief ein enthu¬
siastischer Unterofficier. "Vorwärts, Leute; was schadet's, wenn wir hente nasse
Füße kriegen." "Gahn Se man voran," sagte in meiner Nähe ein dicker Hol¬
steiner mit ironischem Lächeln, und noch hatte er nicht ausgesprochen, so saß
schon der Unterofficier bis an die Arme im Graben und rief, da er in dem
Schlamm zu versinken fürchtete, nach Hilfe. Da war denn auch der Dicke der
Erste und schellte nicht, bis an den Leib in'S Wasser zu gehen, um dem Armen
heransznhelfen. So ging es nicht; ein anderer Uebergang mußte gesucht werden.
Den fanden wir denn auch uach langen Suchen; es war an einer Stelle eine
Vorrichtung, um durch Ueberlegen von Brettern eine Brücke zu bilden. Dort
gelang es uns hinüberzuspringen. Wieder wurde in einer langen regelmäßigen
Linie ausgeschwärmt, wieder trafen wir ans einen ebenso breiten Graben, an dem
wir wieder hernmirrten und einen Uebergangspunkt fanden, nachdem wir einige
welliger breite Quergräben passirt hatten. An diesem sammelten wir uns in
einen Haufen, bis wir alle einzeln hinübergekommcn waren. Die Kugeln aller
Art, besonders die Spitzkugeln pfiffen scholl ganz bedenklich um uns herum, doch
verlor sich der Humor noch nicht. Die hergebrachten Witze von der Unvorsich¬
tigkeit Hanemann's, der mit dem Gewehr so sorglos umgehe und bei seinem
Schießen gar uicht bedeute, daß hier Leute ständen u. dergl. mehr, wurden auch in
dieser sonderbaren Situation vorgebracht und belacht. Andere dagegen starrten in
das Flammenmeer vor uns, wie in ein Bild. Das Feiler war noch immer im
Wachsen und erschien jetzt bei der größeren Nahe noch fürchterlicher, anch das
Mitgefühl für die unglücklichen Fricdrichstädter wurde rege, als ihr Jammer¬
geschrei kalte und vernehmlich an unser Ohr draug. Welch ein Schmerzensruf
dnrchklang die Luft, als eine Bombe in die Kirche schlug, die als Lazareth be¬
nutzt zu werden schien, oder als der brennende Thurm mit hoch aufschlagender
Lohe zusammenstürzte. In solchen Momenten stockte denn unsere kleine Schaar
auf ihrem dunkeln und schlüpfrigen Wege, bis ein "Vorwärts" des Führers sie
weiter trieb. Schon hatten wir so manchen Graben passirt und waren den
feindlichen Schanzen und Blockhäusern nahe gekommen; da standen wir abermals
an einem Graben, breiter als alle früheren; und vergebens irrten wir rechts
und links, ein Uebergangspunkt war nicht zu siudeu. "Auf die Chaussee," hieß
das Commando, "dort müssen wir hinüberkommen." Allein dort war auch keine
Hilfe, denn der Damm war, als wir nach mancher Mühe dort ankamen, gerade


Töne des Stnrmmarsches vernehmen, und das „Hurrah," welches von dorther
klang, machte uns unruhig und ließ uns fürchten, daß wir zu spät kommen, daß
Andere vor uus in die Stadt dringen würden. Da tönte das „Vorwärts" un¬
seres Commandeurs durch die Luft und setzte sich in der langen Linie von Rotte
zu Rotte fort. Schnell ging es vor, aber plötzlich prallte die Linie zurück.
Schon waren wir an einem, von uns nicht gesehenen Graben angelangt, der
längs unserer ganzen Schützenkette entlang lief. „Wir waten durch," rief ein enthu¬
siastischer Unterofficier. „Vorwärts, Leute; was schadet's, wenn wir hente nasse
Füße kriegen." „Gahn Se man voran," sagte in meiner Nähe ein dicker Hol¬
steiner mit ironischem Lächeln, und noch hatte er nicht ausgesprochen, so saß
schon der Unterofficier bis an die Arme im Graben und rief, da er in dem
Schlamm zu versinken fürchtete, nach Hilfe. Da war denn auch der Dicke der
Erste und schellte nicht, bis an den Leib in'S Wasser zu gehen, um dem Armen
heransznhelfen. So ging es nicht; ein anderer Uebergang mußte gesucht werden.
Den fanden wir denn auch uach langen Suchen; es war an einer Stelle eine
Vorrichtung, um durch Ueberlegen von Brettern eine Brücke zu bilden. Dort
gelang es uns hinüberzuspringen. Wieder wurde in einer langen regelmäßigen
Linie ausgeschwärmt, wieder trafen wir ans einen ebenso breiten Graben, an dem
wir wieder hernmirrten und einen Uebergangspunkt fanden, nachdem wir einige
welliger breite Quergräben passirt hatten. An diesem sammelten wir uns in
einen Haufen, bis wir alle einzeln hinübergekommcn waren. Die Kugeln aller
Art, besonders die Spitzkugeln pfiffen scholl ganz bedenklich um uns herum, doch
verlor sich der Humor noch nicht. Die hergebrachten Witze von der Unvorsich¬
tigkeit Hanemann's, der mit dem Gewehr so sorglos umgehe und bei seinem
Schießen gar uicht bedeute, daß hier Leute ständen u. dergl. mehr, wurden auch in
dieser sonderbaren Situation vorgebracht und belacht. Andere dagegen starrten in
das Flammenmeer vor uns, wie in ein Bild. Das Feiler war noch immer im
Wachsen und erschien jetzt bei der größeren Nahe noch fürchterlicher, anch das
Mitgefühl für die unglücklichen Fricdrichstädter wurde rege, als ihr Jammer¬
geschrei kalte und vernehmlich an unser Ohr draug. Welch ein Schmerzensruf
dnrchklang die Luft, als eine Bombe in die Kirche schlug, die als Lazareth be¬
nutzt zu werden schien, oder als der brennende Thurm mit hoch aufschlagender
Lohe zusammenstürzte. In solchen Momenten stockte denn unsere kleine Schaar
auf ihrem dunkeln und schlüpfrigen Wege, bis ein „Vorwärts" des Führers sie
weiter trieb. Schon hatten wir so manchen Graben passirt und waren den
feindlichen Schanzen und Blockhäusern nahe gekommen; da standen wir abermals
an einem Graben, breiter als alle früheren; und vergebens irrten wir rechts
und links, ein Uebergangspunkt war nicht zu siudeu. „Auf die Chaussee," hieß
das Commando, „dort müssen wir hinüberkommen." Allein dort war auch keine
Hilfe, denn der Damm war, als wir nach mancher Mühe dort ankamen, gerade


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[0464] Töne des Stnrmmarsches vernehmen, und das „Hurrah," welches von dorther klang, machte uns unruhig und ließ uns fürchten, daß wir zu spät kommen, daß Andere vor uus in die Stadt dringen würden. Da tönte das „Vorwärts" un¬ seres Commandeurs durch die Luft und setzte sich in der langen Linie von Rotte zu Rotte fort. Schnell ging es vor, aber plötzlich prallte die Linie zurück. Schon waren wir an einem, von uns nicht gesehenen Graben angelangt, der längs unserer ganzen Schützenkette entlang lief. „Wir waten durch," rief ein enthu¬ siastischer Unterofficier. „Vorwärts, Leute; was schadet's, wenn wir hente nasse Füße kriegen." „Gahn Se man voran," sagte in meiner Nähe ein dicker Hol¬ steiner mit ironischem Lächeln, und noch hatte er nicht ausgesprochen, so saß schon der Unterofficier bis an die Arme im Graben und rief, da er in dem Schlamm zu versinken fürchtete, nach Hilfe. Da war denn auch der Dicke der Erste und schellte nicht, bis an den Leib in'S Wasser zu gehen, um dem Armen heransznhelfen. So ging es nicht; ein anderer Uebergang mußte gesucht werden. Den fanden wir denn auch uach langen Suchen; es war an einer Stelle eine Vorrichtung, um durch Ueberlegen von Brettern eine Brücke zu bilden. Dort gelang es uns hinüberzuspringen. Wieder wurde in einer langen regelmäßigen Linie ausgeschwärmt, wieder trafen wir ans einen ebenso breiten Graben, an dem wir wieder hernmirrten und einen Uebergangspunkt fanden, nachdem wir einige welliger breite Quergräben passirt hatten. An diesem sammelten wir uns in einen Haufen, bis wir alle einzeln hinübergekommcn waren. Die Kugeln aller Art, besonders die Spitzkugeln pfiffen scholl ganz bedenklich um uns herum, doch verlor sich der Humor noch nicht. Die hergebrachten Witze von der Unvorsich¬ tigkeit Hanemann's, der mit dem Gewehr so sorglos umgehe und bei seinem Schießen gar uicht bedeute, daß hier Leute ständen u. dergl. mehr, wurden auch in dieser sonderbaren Situation vorgebracht und belacht. Andere dagegen starrten in das Flammenmeer vor uns, wie in ein Bild. Das Feiler war noch immer im Wachsen und erschien jetzt bei der größeren Nahe noch fürchterlicher, anch das Mitgefühl für die unglücklichen Fricdrichstädter wurde rege, als ihr Jammer¬ geschrei kalte und vernehmlich an unser Ohr draug. Welch ein Schmerzensruf dnrchklang die Luft, als eine Bombe in die Kirche schlug, die als Lazareth be¬ nutzt zu werden schien, oder als der brennende Thurm mit hoch aufschlagender Lohe zusammenstürzte. In solchen Momenten stockte denn unsere kleine Schaar auf ihrem dunkeln und schlüpfrigen Wege, bis ein „Vorwärts" des Führers sie weiter trieb. Schon hatten wir so manchen Graben passirt und waren den feindlichen Schanzen und Blockhäusern nahe gekommen; da standen wir abermals an einem Graben, breiter als alle früheren; und vergebens irrten wir rechts und links, ein Uebergangspunkt war nicht zu siudeu. „Auf die Chaussee," hieß das Commando, „dort müssen wir hinüberkommen." Allein dort war auch keine Hilfe, denn der Damm war, als wir nach mancher Mühe dort ankamen, gerade

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/464>, abgerufen am 22.07.2024.