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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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und bunter, überraschender Intriguen und Abenteuer; einen sittlichen Gedanken
hat er nicht hineinzulegen gesucht, und an eine Motivirung seiner Geschichte dnrch
eine Charakteristik der Zeit denkt er auch nicht. -- Hebbel ist dagegen im Moti¬
viren so gründlich, daß er durch die Meuge detaillirter Figuren, welche das Bild
der Zeit ergänzen sollen, die Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch nimmt, ob¬
gleich der Hauptfaden der Begebenheit noch immer deutlich genug hervortritt. --
Die geschichtliche Grundlage, welche er seinem Drama gegeben hat, ist folgende.

Herodes ist Tyrann sowohl seiner Lage als seiner Natur nach. Seiner
Lage nach: denn er ist durch deu römischen Triumvir Antonius eingesetzt, wider
den Willen des Volks; seine Heirath mit der Erbin der alten jüdischen Könige,
der Makkabä'erinn Marianne, hat die Sache nur oberflächlich in's Geleise ge¬
bracht; denn Antonins, von dem er unbedingt abhängt, ist ein wüster Trunken¬
bold, der leicht in einem Augenblicke des Rausches, oder durch eiuen Kuß seiner
Kleopatra angeregt, ihm einmal zum Spaß das Haupt abschlagen lassen kann,
und der stets geneigt ist, den Feinden, welche Herodes im eigenen Lande hat,
williges Gehör zu leihen. An der Spitze dieser Feinde steht Marianne's Mutter,
die boshafte und intriguante Alexandra, die alle Augenblicke Meuchelmörder gegen
ihn ausschickt, und die er doch schonen muß, um seiue geliebte Gemahlin nicht zu
verletzen; steheu die Pharisäer, die in ihm deu freigeistigen Neuerer hassen, die
er durch seine Verachtung des mosaischen Gesetzes und durch den Spott
ans die messianischen Träumereien beständig verletzt, und die einflußreich genng
sind, um in jedem kritischen Augenblick den Fanatismus des Volks gegen ihn
loszulassen; stehen endlich alle Ehrgeizigen, denen er den Weg versperrt, und
die in ihm doch nicht die Majestät des erblichen Königthums zu scheuen haben. --
Wenn also seine Lage ihn zu beständigem Mißtrauen zwingt, anch gegen seine
nächsten Umgebungen, so treibt ihn seine Natur zu raschen Gewaltmaßregeln:
denn im Gefühl seines persönlichen Werths und der Erbärmlichkeit der meisten
Feinde und Freunde, in der gegründeten Verachtung des bestehenden Religionö-
und Sittensystems, in dem Bewußtsein eines festen, verständigen und unbeug¬
samen Willens, fühlt er in sich bald den Beruf, ein durchgreifender Refor¬
mator zu werden, bald das Gelüste, die Menschen zum Spielzeug seiner superis'ren
Einfälle zu machen. Es kommt noch hinzu, daß der Orient (in scharf hervorge¬
hobenen Gegensatz gegen das römische Rechtsgefühl, selbst unter dem Despotis¬
mus der Triumvirn) an Mordthaten und an Hinrichtungen ohne Urtheil und
Recht so gewöhnt ist, daß sie, selbst auf die höchsten Regionen angewendet, kein
erhebliches Befremden veranlassen.

Da Herodes also durch seine Lage wie durch seiue Natur veranlaßt ist, den
Maßstab für das sittliche Urtheil über seine Handlungsweise einzig und allein in
sich selbst zu suchen, so kann uns die Maßlosigkeit in seinen Empfindungen und
in dem Ausbruch, den er denselben verstattet, nicht befremden. Bei Tyrannen


und bunter, überraschender Intriguen und Abenteuer; einen sittlichen Gedanken
hat er nicht hineinzulegen gesucht, und an eine Motivirung seiner Geschichte dnrch
eine Charakteristik der Zeit denkt er auch nicht. — Hebbel ist dagegen im Moti¬
viren so gründlich, daß er durch die Meuge detaillirter Figuren, welche das Bild
der Zeit ergänzen sollen, die Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch nimmt, ob¬
gleich der Hauptfaden der Begebenheit noch immer deutlich genug hervortritt. —
Die geschichtliche Grundlage, welche er seinem Drama gegeben hat, ist folgende.

Herodes ist Tyrann sowohl seiner Lage als seiner Natur nach. Seiner
Lage nach: denn er ist durch deu römischen Triumvir Antonius eingesetzt, wider
den Willen des Volks; seine Heirath mit der Erbin der alten jüdischen Könige,
der Makkabä'erinn Marianne, hat die Sache nur oberflächlich in's Geleise ge¬
bracht; denn Antonins, von dem er unbedingt abhängt, ist ein wüster Trunken¬
bold, der leicht in einem Augenblicke des Rausches, oder durch eiuen Kuß seiner
Kleopatra angeregt, ihm einmal zum Spaß das Haupt abschlagen lassen kann,
und der stets geneigt ist, den Feinden, welche Herodes im eigenen Lande hat,
williges Gehör zu leihen. An der Spitze dieser Feinde steht Marianne's Mutter,
die boshafte und intriguante Alexandra, die alle Augenblicke Meuchelmörder gegen
ihn ausschickt, und die er doch schonen muß, um seiue geliebte Gemahlin nicht zu
verletzen; steheu die Pharisäer, die in ihm deu freigeistigen Neuerer hassen, die
er durch seine Verachtung des mosaischen Gesetzes und durch den Spott
ans die messianischen Träumereien beständig verletzt, und die einflußreich genng
sind, um in jedem kritischen Augenblick den Fanatismus des Volks gegen ihn
loszulassen; stehen endlich alle Ehrgeizigen, denen er den Weg versperrt, und
die in ihm doch nicht die Majestät des erblichen Königthums zu scheuen haben. —
Wenn also seine Lage ihn zu beständigem Mißtrauen zwingt, anch gegen seine
nächsten Umgebungen, so treibt ihn seine Natur zu raschen Gewaltmaßregeln:
denn im Gefühl seines persönlichen Werths und der Erbärmlichkeit der meisten
Feinde und Freunde, in der gegründeten Verachtung des bestehenden Religionö-
und Sittensystems, in dem Bewußtsein eines festen, verständigen und unbeug¬
samen Willens, fühlt er in sich bald den Beruf, ein durchgreifender Refor¬
mator zu werden, bald das Gelüste, die Menschen zum Spielzeug seiner superis'ren
Einfälle zu machen. Es kommt noch hinzu, daß der Orient (in scharf hervorge¬
hobenen Gegensatz gegen das römische Rechtsgefühl, selbst unter dem Despotis¬
mus der Triumvirn) an Mordthaten und an Hinrichtungen ohne Urtheil und
Recht so gewöhnt ist, daß sie, selbst auf die höchsten Regionen angewendet, kein
erhebliches Befremden veranlassen.

Da Herodes also durch seine Lage wie durch seiue Natur veranlaßt ist, den
Maßstab für das sittliche Urtheil über seine Handlungsweise einzig und allein in
sich selbst zu suchen, so kann uns die Maßlosigkeit in seinen Empfindungen und
in dem Ausbruch, den er denselben verstattet, nicht befremden. Bei Tyrannen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/442>, abgerufen am 24.08.2024.