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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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sind Sprünge in der Leidenschaft und ein gewisses Raffinement in Liebe und
Haß zu begreifen. -- Eine andere Frage ist es freilich, ob das Drama, welches
uns doch die allgemeine menschliche Natur darstellen soll, das Recht hat, Tyran¬
nen zu seinem Gegenstand zu machen; eine Frage, die wir hier dahingestellt sein
lassen, da sie sich vollständig nnr beantworten läßt, wenn wir die Berechtigung
des historischen Drama's überhaupt untersuchen.

Diese allgemeinen Voraussetzungen des Schicksals, welches uns beschäftigen
soll, erhalten nun durch ein Ereigniß, welches in der Entwickelung jener Con¬
flicte nothwendig begründet ist, eine bestimmte Form. Wer die eigentlichen
Führer der Mißvergnügten sind, wissen wir bereits; das gefährlichste Werkzeug
derselben ist aber der letzte Mcckkabäer, Marianne'S Bruder, der schöne Hohe¬
priester AristoboluS. Um sich seiner zu entledigen, läßt ihn Herodes umbringen.
ES ist das ein öffentliches Geheimniß, das nur des Anstandes wegen durch, den
leichten Schleier eiues zufälligen Todes bedeckt wird.

Die Mutter des Ermordeten verklagt deu Mörder vor dem Triumvir An-
tonius. Da sie aber auf sein Rechtsgefühl nicht viel vertraut, sucht sie außer¬
dem uoch seine Lüste rege zu machen; sie schickt ihm das Bildniß des Aristobo¬
luS, der seiner Schwester auffallend ähnlich sieht, um die Begierde nach ihrem
Besitz, und damit den Wunsch, sich ihres Gemahls zu entledigen, in ihm rege
zu machen.

Das Stück wird eröffnet dnrch eine übermüthige Botschaft von Seiten des
Antonius, der den Herodes vor seinen Richterstuhl citirt. Herodes wird gehor¬
chen, denn er weiß, daß es am sichersten ist, der Gefahr dreist entgegenzugehen,
aber er muß sich sagen, daß seine Rückkehr höchst zweifelhaft ist. Er will daher
zunächst seine häuslichen Angelegenheiten ordnen.

Marianne hat dem Mörder ihres Bruders ihre Thür verschlossen. Aber
theils haben sie die demüthigen Beweise seiner fortdauernden Liebe gerührt, theils
ist ihre Zuneigung und ihre Achtung vor dem Charakter ihres Gemahls so groß,
daß sie fürchtet, von seinem Standpunkt aus billigen zu müssen, was ihr Gefühl
verdammt. Sie versöhnt sich mit ihm. Er forscht sie aus, ob ihre Liebe groß
genug sei, sie zum Selbstmord zu bestimmen, im Fall er unterginge; er fordert
einen Eid. Sie weigert sich, deun so ein Opfer könne nur ans dem freien
Entschluß entspringen, und ihr Eid gäbe ihm keine größere Bürgschaft, als die
Einsicht in ihr Wesen, die von der Liebe unzertrennlich sei. Er scheidet unbe¬
friedigt, und bestellt, vou der Eifersucht gestachelt, einen Mörder, in dessen In¬
teresse ihr Tod liegen muß; er bedroht ihn selbst mit dem Tode, im Fall er ihn
verräth.

Nach seiner Abreise gesteht Marianne ihrer Mutter, die darüber sehr auf¬
gebracht ist, sie sei entschlossen, im Fall eines unglücklichen Ausgangs sich selbst
zu tödten. Mittlerweile verbreitet sich das Gerücht, daß Herodes todt sei. Der


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sind Sprünge in der Leidenschaft und ein gewisses Raffinement in Liebe und
Haß zu begreifen. — Eine andere Frage ist es freilich, ob das Drama, welches
uns doch die allgemeine menschliche Natur darstellen soll, das Recht hat, Tyran¬
nen zu seinem Gegenstand zu machen; eine Frage, die wir hier dahingestellt sein
lassen, da sie sich vollständig nnr beantworten läßt, wenn wir die Berechtigung
des historischen Drama's überhaupt untersuchen.

Diese allgemeinen Voraussetzungen des Schicksals, welches uns beschäftigen
soll, erhalten nun durch ein Ereigniß, welches in der Entwickelung jener Con¬
flicte nothwendig begründet ist, eine bestimmte Form. Wer die eigentlichen
Führer der Mißvergnügten sind, wissen wir bereits; das gefährlichste Werkzeug
derselben ist aber der letzte Mcckkabäer, Marianne'S Bruder, der schöne Hohe¬
priester AristoboluS. Um sich seiner zu entledigen, läßt ihn Herodes umbringen.
ES ist das ein öffentliches Geheimniß, das nur des Anstandes wegen durch, den
leichten Schleier eiues zufälligen Todes bedeckt wird.

Die Mutter des Ermordeten verklagt deu Mörder vor dem Triumvir An-
tonius. Da sie aber auf sein Rechtsgefühl nicht viel vertraut, sucht sie außer¬
dem uoch seine Lüste rege zu machen; sie schickt ihm das Bildniß des Aristobo¬
luS, der seiner Schwester auffallend ähnlich sieht, um die Begierde nach ihrem
Besitz, und damit den Wunsch, sich ihres Gemahls zu entledigen, in ihm rege
zu machen.

Das Stück wird eröffnet dnrch eine übermüthige Botschaft von Seiten des
Antonius, der den Herodes vor seinen Richterstuhl citirt. Herodes wird gehor¬
chen, denn er weiß, daß es am sichersten ist, der Gefahr dreist entgegenzugehen,
aber er muß sich sagen, daß seine Rückkehr höchst zweifelhaft ist. Er will daher
zunächst seine häuslichen Angelegenheiten ordnen.

Marianne hat dem Mörder ihres Bruders ihre Thür verschlossen. Aber
theils haben sie die demüthigen Beweise seiner fortdauernden Liebe gerührt, theils
ist ihre Zuneigung und ihre Achtung vor dem Charakter ihres Gemahls so groß,
daß sie fürchtet, von seinem Standpunkt aus billigen zu müssen, was ihr Gefühl
verdammt. Sie versöhnt sich mit ihm. Er forscht sie aus, ob ihre Liebe groß
genug sei, sie zum Selbstmord zu bestimmen, im Fall er unterginge; er fordert
einen Eid. Sie weigert sich, deun so ein Opfer könne nur ans dem freien
Entschluß entspringen, und ihr Eid gäbe ihm keine größere Bürgschaft, als die
Einsicht in ihr Wesen, die von der Liebe unzertrennlich sei. Er scheidet unbe¬
friedigt, und bestellt, vou der Eifersucht gestachelt, einen Mörder, in dessen In¬
teresse ihr Tod liegen muß; er bedroht ihn selbst mit dem Tode, im Fall er ihn
verräth.

Nach seiner Abreise gesteht Marianne ihrer Mutter, die darüber sehr auf¬
gebracht ist, sie sei entschlossen, im Fall eines unglücklichen Ausgangs sich selbst
zu tödten. Mittlerweile verbreitet sich das Gerücht, daß Herodes todt sei. Der


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[0443] sind Sprünge in der Leidenschaft und ein gewisses Raffinement in Liebe und Haß zu begreifen. — Eine andere Frage ist es freilich, ob das Drama, welches uns doch die allgemeine menschliche Natur darstellen soll, das Recht hat, Tyran¬ nen zu seinem Gegenstand zu machen; eine Frage, die wir hier dahingestellt sein lassen, da sie sich vollständig nnr beantworten läßt, wenn wir die Berechtigung des historischen Drama's überhaupt untersuchen. Diese allgemeinen Voraussetzungen des Schicksals, welches uns beschäftigen soll, erhalten nun durch ein Ereigniß, welches in der Entwickelung jener Con¬ flicte nothwendig begründet ist, eine bestimmte Form. Wer die eigentlichen Führer der Mißvergnügten sind, wissen wir bereits; das gefährlichste Werkzeug derselben ist aber der letzte Mcckkabäer, Marianne'S Bruder, der schöne Hohe¬ priester AristoboluS. Um sich seiner zu entledigen, läßt ihn Herodes umbringen. ES ist das ein öffentliches Geheimniß, das nur des Anstandes wegen durch, den leichten Schleier eiues zufälligen Todes bedeckt wird. Die Mutter des Ermordeten verklagt deu Mörder vor dem Triumvir An- tonius. Da sie aber auf sein Rechtsgefühl nicht viel vertraut, sucht sie außer¬ dem uoch seine Lüste rege zu machen; sie schickt ihm das Bildniß des Aristobo¬ luS, der seiner Schwester auffallend ähnlich sieht, um die Begierde nach ihrem Besitz, und damit den Wunsch, sich ihres Gemahls zu entledigen, in ihm rege zu machen. Das Stück wird eröffnet dnrch eine übermüthige Botschaft von Seiten des Antonius, der den Herodes vor seinen Richterstuhl citirt. Herodes wird gehor¬ chen, denn er weiß, daß es am sichersten ist, der Gefahr dreist entgegenzugehen, aber er muß sich sagen, daß seine Rückkehr höchst zweifelhaft ist. Er will daher zunächst seine häuslichen Angelegenheiten ordnen. Marianne hat dem Mörder ihres Bruders ihre Thür verschlossen. Aber theils haben sie die demüthigen Beweise seiner fortdauernden Liebe gerührt, theils ist ihre Zuneigung und ihre Achtung vor dem Charakter ihres Gemahls so groß, daß sie fürchtet, von seinem Standpunkt aus billigen zu müssen, was ihr Gefühl verdammt. Sie versöhnt sich mit ihm. Er forscht sie aus, ob ihre Liebe groß genug sei, sie zum Selbstmord zu bestimmen, im Fall er unterginge; er fordert einen Eid. Sie weigert sich, deun so ein Opfer könne nur ans dem freien Entschluß entspringen, und ihr Eid gäbe ihm keine größere Bürgschaft, als die Einsicht in ihr Wesen, die von der Liebe unzertrennlich sei. Er scheidet unbe¬ friedigt, und bestellt, vou der Eifersucht gestachelt, einen Mörder, in dessen In¬ teresse ihr Tod liegen muß; er bedroht ihn selbst mit dem Tode, im Fall er ihn verräth. Nach seiner Abreise gesteht Marianne ihrer Mutter, die darüber sehr auf¬ gebracht ist, sie sei entschlossen, im Fall eines unglücklichen Ausgangs sich selbst zu tödten. Mittlerweile verbreitet sich das Gerücht, daß Herodes todt sei. Der 120"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/443>, abgerufen am 25.08.2024.