Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.Menschen zuweilen vorkommt, sondern aus Furcht, so glaubt mau das uicht, und Der deutsche Gilblas. Ein komischer Roman von A. v. Sternberg. Der Roman hat mit dem vorigen insofern Aehnlichkeit, als er auch eine Der "Deutsche Gilblas" enihält übrigens nicht bloß liederliche Geschichten, Menschen zuweilen vorkommt, sondern aus Furcht, so glaubt mau das uicht, und Der deutsche Gilblas. Ein komischer Roman von A. v. Sternberg. Der Roman hat mit dem vorigen insofern Aehnlichkeit, als er auch eine Der „Deutsche Gilblas" enihält übrigens nicht bloß liederliche Geschichten, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0440" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92729"/> <p xml:id="ID_1423" prev="#ID_1422"> Menschen zuweilen vorkommt, sondern aus Furcht, so glaubt mau das uicht, und<lb/> dem Dichter hülfe es uicht, wenn dergleichen wirklich einmal vorgekommen sein<lb/> sollte, denn unwahrscheinliche Dinge soll die Kunst nicht darzustellen unternehmen.<lb/> Aehuliche Einfälle kommeu zu Hunderten vor, mitunter aber auch ein glücklicher<lb/> Zug. Einmal z.B. hat Schuock gewettet, er wolle seiue Frau Abends ausschelten.<lb/> Er weiß sich uicht anders zu helfen, als daß erste demüthig um Erlaubniß bittet.<lb/> Sie erlaubt es auch, weil er sonst bezahle» müßte, aber er wagt es doch nicht,<lb/> und fährt endlich in seiner Verzweiflung ans die Lauscher am Feuster los. —</p><lb/> <p xml:id="ID_1424"> Der deutsche Gilblas. Ein komischer Roman von A. v. Sternberg.<lb/> 1r Bd. Bremen, Schlodtmaun.</p><lb/> <p xml:id="ID_1425"> Der Roman hat mit dem vorigen insofern Aehnlichkeit, als er auch eine<lb/> Flucht aus der Teudeuzmacherei in die reflectirte Tendenzlosigkeit ausdrückt. Der<lb/> Verf. meint in der Vorrede, wir würden dnrch unsere sentimentale Prüderie corrum-<lb/> pirt, und eine lascive Geschichte sei lange nicht so unsittlich, als die steche Wollust<lb/> unserer neuen Romantik. Ich bin darin mit ihm vollkommen gleicher Meinung,<lb/> ich halte Paul de Kock für viel weniger unsittlich als Souue, den Ardinghello<lb/> für moralischer als die Lucinde, das Bordell für rechtschaffen im Vergleich mit<lb/> den Conventikeln, wo man unter Anrufung des heiligen Geistes seinen Lüsten<lb/> nachging. Aber man rechtfertigt Paul de Kock und Heinse noch lange nicht, wenn<lb/> mau uachweis't, daß es noch unsittlichere Dinge gäbe, als ihre Schriften. Jene<lb/> cynischen Schriften können nur durch die herrschende Stimmung, deren tiefge¬<lb/> fühltes Bedürfniß sie befriedigen, eine relative Berechtigung erlangen, mit dem<lb/> Aufhören der Stimmung ist auch ihr Recht dahin. Wenn Casanova hente schriebe,<lb/> so würde kein Mensch thu lesen; die bloße Liederlichkeit langweilt uns.</p><lb/> <p xml:id="ID_1426"> Der „Deutsche Gilblas" enihält übrigens nicht bloß liederliche Geschichten,<lb/> wenn anch mehr als nöthig. Er ist besser als mauche frühere Schrift desselben<lb/> Verfassers. Ein Talent kann mau Sternberg nicht absprechen, und dieses tritt<lb/> um so mehr hervor, wenn man durch die Lectüre der vorher erwähnten Romane<lb/> abgespannt ist; er weiß sehr gut zu erzählen. Er hält die Neugierde in bestän¬<lb/> diger Spannung, er trägt seiue Anekdoten und Charakterzüge auf eine so pikante<lb/> Weise vor, als mau es nur verlangt, und er hat aus dem Leben manche wirk¬<lb/> liche, bunte und lebendige Anschauung geschöpft. Das ist freilich ein subalternes<lb/> Talent, aber ein nothwendiges, und ein Talent, welches neun Zehnteln uuserer<lb/> Romanschreiber völlig abgeht. Und es kommt noch eine zweite Eigenschaft dazu,<lb/> die eben so selten ist unter den Deutschen: er ist nicht verschroben; wenn er von einer<lb/> Tasse Kaffee reden will, so macht er keine Anspielung auf die Hieroglyphe» von<lb/> Persepolis und aus die Empfindungen einer eingemauerten Nonne in den römi¬<lb/> schen Katakomben.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0440]
Menschen zuweilen vorkommt, sondern aus Furcht, so glaubt mau das uicht, und
dem Dichter hülfe es uicht, wenn dergleichen wirklich einmal vorgekommen sein
sollte, denn unwahrscheinliche Dinge soll die Kunst nicht darzustellen unternehmen.
Aehuliche Einfälle kommeu zu Hunderten vor, mitunter aber auch ein glücklicher
Zug. Einmal z.B. hat Schuock gewettet, er wolle seiue Frau Abends ausschelten.
Er weiß sich uicht anders zu helfen, als daß erste demüthig um Erlaubniß bittet.
Sie erlaubt es auch, weil er sonst bezahle» müßte, aber er wagt es doch nicht,
und fährt endlich in seiner Verzweiflung ans die Lauscher am Feuster los. —
Der deutsche Gilblas. Ein komischer Roman von A. v. Sternberg.
1r Bd. Bremen, Schlodtmaun.
Der Roman hat mit dem vorigen insofern Aehnlichkeit, als er auch eine
Flucht aus der Teudeuzmacherei in die reflectirte Tendenzlosigkeit ausdrückt. Der
Verf. meint in der Vorrede, wir würden dnrch unsere sentimentale Prüderie corrum-
pirt, und eine lascive Geschichte sei lange nicht so unsittlich, als die steche Wollust
unserer neuen Romantik. Ich bin darin mit ihm vollkommen gleicher Meinung,
ich halte Paul de Kock für viel weniger unsittlich als Souue, den Ardinghello
für moralischer als die Lucinde, das Bordell für rechtschaffen im Vergleich mit
den Conventikeln, wo man unter Anrufung des heiligen Geistes seinen Lüsten
nachging. Aber man rechtfertigt Paul de Kock und Heinse noch lange nicht, wenn
mau uachweis't, daß es noch unsittlichere Dinge gäbe, als ihre Schriften. Jene
cynischen Schriften können nur durch die herrschende Stimmung, deren tiefge¬
fühltes Bedürfniß sie befriedigen, eine relative Berechtigung erlangen, mit dem
Aufhören der Stimmung ist auch ihr Recht dahin. Wenn Casanova hente schriebe,
so würde kein Mensch thu lesen; die bloße Liederlichkeit langweilt uns.
Der „Deutsche Gilblas" enihält übrigens nicht bloß liederliche Geschichten,
wenn anch mehr als nöthig. Er ist besser als mauche frühere Schrift desselben
Verfassers. Ein Talent kann mau Sternberg nicht absprechen, und dieses tritt
um so mehr hervor, wenn man durch die Lectüre der vorher erwähnten Romane
abgespannt ist; er weiß sehr gut zu erzählen. Er hält die Neugierde in bestän¬
diger Spannung, er trägt seiue Anekdoten und Charakterzüge auf eine so pikante
Weise vor, als mau es nur verlangt, und er hat aus dem Leben manche wirk¬
liche, bunte und lebendige Anschauung geschöpft. Das ist freilich ein subalternes
Talent, aber ein nothwendiges, und ein Talent, welches neun Zehnteln uuserer
Romanschreiber völlig abgeht. Und es kommt noch eine zweite Eigenschaft dazu,
die eben so selten ist unter den Deutschen: er ist nicht verschroben; wenn er von einer
Tasse Kaffee reden will, so macht er keine Anspielung auf die Hieroglyphe» von
Persepolis und aus die Empfindungen einer eingemauerten Nonne in den römi¬
schen Katakomben.
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