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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Plagiats beschuldigen, denn er hat öaS Thema der Feigheit durch andere Einfälle
variirt, aber auf dieselbe Weise konnte nnn wieder ein Dritter kommen und neue
Variationen erfinden, und Duplicate sind, wie die Vorrede zur Maria Magdalena
ganz richtig sagt, in der Kunst ein Ueberfluß.

Schröck ist bereits 5837 geschrieben, und gehört in die Reihe jener theo-
phrastischen Charakterstudien, die ich bereits in Heft 45 vollständig geschildert habe.
Von seiner Manier wird man sich ein Bild machen, wenn ich folgenden Zug an¬
führe, den Schröck von seiner geizigen Gattin erzählt. "Sie ging zuletzt so weit,
daß sie ihre ökonomischen Rücksichten auf meinen eignen Körper ausdehnte und
mir die unnütze Anstrengung desselben, wie sie sich ausdrückte, verbot, mir z. B.
die Erfüllung der ehelichen Pflichten nnr selten verstattete; vermuthlich, weil sie
die Kosten einer Umarmung uach Heller und Pfennig abzuschätzen verstand und
weil sie nur calculirte, daß ich meine Kräfte nützlicher und fruchtbringender im
Handwerk anlegen könne, als in der Liebe." -- Ich tadle an dieser Stelle nicht
den Cynismus an sich, sondern das Neflectirte, Gesuchte und Unnatürliche des
Cynismus; ein Fehler, in den Jean Paul ebenso oft verfällt, als Hebbel, nnr
daß, wie es stets zu geschehen pflegt, der Nachahmer das Vorbild noch über¬
bietet.

Zu einem niederländischen Gemälde, oder, was hier dasselbe sagen will, zu einem
humoristischen Gedichte, gehört vor allen Dingen Heiterkeit und Behagen, Freude
an der Realität und Reichthum der Farben. Humor im Lapidarstil ist geradezu
unerträglich; wir können uns an ihm nur erfreuen, wenn er in einer behaglichen
Breite ausgemalt wird. Jean Paul läßt einmal einen seiner Lieblingshelden
eine Anekdote vortragen, und bemerkt dann ganz mit Recht, der Zuhörer habe
sie erst in seine Sprache übersetzen, sie sich im Stillen ausführlicher erzählen
müssen, ehe er den Spaß empfinden und darüber lachen konnte. Dieser Tadel
trifft die ganze Darstellungsweise Jean Paul's und seines Schülers: sie haben
mitunter sehr komische Einfälle, aber man wird davon nicht ergrissen, weil sie
nicht zu erzählen verstehn; sie sind zu reflectirt, zu unruhig, zu abstract; man merkt
überall die Absicht.

Dabei gerathen sie noch gar zu leicht in den Fehler der Uebertreibung, die
durch Aufhebung der Wahrheit alles verdirbt. Die Feigheit ist in ihrer Erschei-
nung an sich etwas Lächerliches, Hebbel hat aber den Eindruck uoch dadurch ver¬
stärken zu müssen geglaubt, daß er sie mit einem riesenstarken Körper in Verbin¬
dung gesetzt hat. Schröck ist "breitschultrig, vou gewaltigem Knochenbau, aber
mit einem Gesicht, worauf das erste Kindergreinen über empfangene Nuthcustreiche
versteinert zu sein schien; ein Bär mit einer Kaninchenphysiognomie." Wenn
man von so einem Mann hört, daß ersieh von einem kleinen, schwächlichen Menschen,
den er mit der Hand zerdrücken könnte, prügeln, zur Erde werfen, mit den
Füßen treten läßt, nicht aus Gutmüthigkeit oder Faulheit, wie es bei großen


Plagiats beschuldigen, denn er hat öaS Thema der Feigheit durch andere Einfälle
variirt, aber auf dieselbe Weise konnte nnn wieder ein Dritter kommen und neue
Variationen erfinden, und Duplicate sind, wie die Vorrede zur Maria Magdalena
ganz richtig sagt, in der Kunst ein Ueberfluß.

Schröck ist bereits 5837 geschrieben, und gehört in die Reihe jener theo-
phrastischen Charakterstudien, die ich bereits in Heft 45 vollständig geschildert habe.
Von seiner Manier wird man sich ein Bild machen, wenn ich folgenden Zug an¬
führe, den Schröck von seiner geizigen Gattin erzählt. „Sie ging zuletzt so weit,
daß sie ihre ökonomischen Rücksichten auf meinen eignen Körper ausdehnte und
mir die unnütze Anstrengung desselben, wie sie sich ausdrückte, verbot, mir z. B.
die Erfüllung der ehelichen Pflichten nnr selten verstattete; vermuthlich, weil sie
die Kosten einer Umarmung uach Heller und Pfennig abzuschätzen verstand und
weil sie nur calculirte, daß ich meine Kräfte nützlicher und fruchtbringender im
Handwerk anlegen könne, als in der Liebe." — Ich tadle an dieser Stelle nicht
den Cynismus an sich, sondern das Neflectirte, Gesuchte und Unnatürliche des
Cynismus; ein Fehler, in den Jean Paul ebenso oft verfällt, als Hebbel, nnr
daß, wie es stets zu geschehen pflegt, der Nachahmer das Vorbild noch über¬
bietet.

Zu einem niederländischen Gemälde, oder, was hier dasselbe sagen will, zu einem
humoristischen Gedichte, gehört vor allen Dingen Heiterkeit und Behagen, Freude
an der Realität und Reichthum der Farben. Humor im Lapidarstil ist geradezu
unerträglich; wir können uns an ihm nur erfreuen, wenn er in einer behaglichen
Breite ausgemalt wird. Jean Paul läßt einmal einen seiner Lieblingshelden
eine Anekdote vortragen, und bemerkt dann ganz mit Recht, der Zuhörer habe
sie erst in seine Sprache übersetzen, sie sich im Stillen ausführlicher erzählen
müssen, ehe er den Spaß empfinden und darüber lachen konnte. Dieser Tadel
trifft die ganze Darstellungsweise Jean Paul's und seines Schülers: sie haben
mitunter sehr komische Einfälle, aber man wird davon nicht ergrissen, weil sie
nicht zu erzählen verstehn; sie sind zu reflectirt, zu unruhig, zu abstract; man merkt
überall die Absicht.

Dabei gerathen sie noch gar zu leicht in den Fehler der Uebertreibung, die
durch Aufhebung der Wahrheit alles verdirbt. Die Feigheit ist in ihrer Erschei-
nung an sich etwas Lächerliches, Hebbel hat aber den Eindruck uoch dadurch ver¬
stärken zu müssen geglaubt, daß er sie mit einem riesenstarken Körper in Verbin¬
dung gesetzt hat. Schröck ist „breitschultrig, vou gewaltigem Knochenbau, aber
mit einem Gesicht, worauf das erste Kindergreinen über empfangene Nuthcustreiche
versteinert zu sein schien; ein Bär mit einer Kaninchenphysiognomie." Wenn
man von so einem Mann hört, daß ersieh von einem kleinen, schwächlichen Menschen,
den er mit der Hand zerdrücken könnte, prügeln, zur Erde werfen, mit den
Füßen treten läßt, nicht aus Gutmüthigkeit oder Faulheit, wie es bei großen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/439>, abgerufen am 25.08.2024.