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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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der sein praktischer Religionslehrer wurde. Dieser hätte gern einen Juristen ans
ihm gemacht; aber die erste Reise nach Kassel, eine große Parade, später ein
Manöver bei Minden, dem Friedrich der Große selbst beiwohnte, zogen ihn zum
Militärstand hin. Er behauptete damals auch die kriegerischen Entbehrungen der
Spartaner versucht zu haben, doch selten mit Glück; denn nur, wenn er satt war,
hielt er die schwarze Suppe für hinreichend. 1787 begleitete er seinen Großvater
als Deputirten der Landschaft zum funfzigjährigen Jubiläum der Universität
Göttingen, wo Feste an Feste sich reiheten. Den 1. April 1788 trat er in's
Cadetteuhaus zu Kassel ein. Er hatte seinen Beruf erkannt.

Von Ingend auf abgesagter Feind jeder Lüge, ist er bis in sein Alter
Feind aller conventionellen Formalitäten geblieben, so weit sie nicht wirklicher
Ausdruck der Gesinnung sind. Ebenso haßt er alle Prüderie; dagegen liebt er
derbe, naturwüchsige Späße, wenn auch die Grazien dabei ihr Ohr bisweilen
verschließen müssen. Ueberhaupt ist der vou Natur lebhafte Maun munter und
lebensfroh geblieben, obwohl nicht verschont von den Launen des Alters.

Neben seinen Fachwissenschaften haben ihn besonders historische und ästhetische
Studien angezogen. Don Quixote wurde des Jünglings und blieb des Greises
Lieblingslectüre. Auch sein eigner Humor ist uicht immer mit attischem Salz,
sondern bisweilen mit spanischem Pfeffer gewürzt. Als militärischer Befehlshaber
hielt er bei seinen Untergebenen streng auf Disciplin und erwarb sich in Hanau,
wo er eine Zeit lang in Garnison lag, den Beinamen des "Pascha von drei
Noßschweifen." Indessen muß es der gestrenge "Pascha" mit seinen Leuten gut
gemeint haben; sonst würden nicht so viele jüngere Kameraden mit so großer
Liebe und Verehrung an ihm hangen. Namentlich rühmen sie seine altgermanische,
ächtkameradschaftliche Gastfreiheit.

Ju seine Stelle trat von der Mitte September 1848 an Oberst d'Orville
aus Offenbach, seit 1814 als Freiwilliger im Ysenburgischen Militärdienst stehend,
1816 von Kurhessen übernommen. Er gilt für einen klugen, in seinem Fach wohl¬
unterrichteten Mann. Uuter seiner Amtsführung fanden die wichtigsten, auf das
Militärwesen bezüglichen legislativen Aenderungen statt, worauf wir unter zurück¬
kommen werden. Allein obgleich durch ein Gesetz vom 26. Oct. 1848 sogar der
"oberste Militärchef" aus der Verfassungsurkunde beseitigt wurde*), wodurch die
Stellung des Kriegsministers wesentlich erleichtert schien, so konnte doch auch
d'Orville sich uicht lange halten und nahm "aus Gesundheitsrücksichten" seine
Entlassung.



Einige Tage vorher hatte die N. H. Z- erklärt: Der oberste Militärchef muß noch
vor Ablauf dieser Sitzungsperiode (31. Oct. 1848) fallen, und wäre er mit Ketten an den
Himmel gebunden. Er fiel. Einige Woche später, nachdem der Umschlag in Berlin erfolgt
war, wurde die Streichung dieses Verfassungsparagraphen unter keiner Bedingung mehr
durchzusetzen gewesen sein.

der sein praktischer Religionslehrer wurde. Dieser hätte gern einen Juristen ans
ihm gemacht; aber die erste Reise nach Kassel, eine große Parade, später ein
Manöver bei Minden, dem Friedrich der Große selbst beiwohnte, zogen ihn zum
Militärstand hin. Er behauptete damals auch die kriegerischen Entbehrungen der
Spartaner versucht zu haben, doch selten mit Glück; denn nur, wenn er satt war,
hielt er die schwarze Suppe für hinreichend. 1787 begleitete er seinen Großvater
als Deputirten der Landschaft zum funfzigjährigen Jubiläum der Universität
Göttingen, wo Feste an Feste sich reiheten. Den 1. April 1788 trat er in's
Cadetteuhaus zu Kassel ein. Er hatte seinen Beruf erkannt.

Von Ingend auf abgesagter Feind jeder Lüge, ist er bis in sein Alter
Feind aller conventionellen Formalitäten geblieben, so weit sie nicht wirklicher
Ausdruck der Gesinnung sind. Ebenso haßt er alle Prüderie; dagegen liebt er
derbe, naturwüchsige Späße, wenn auch die Grazien dabei ihr Ohr bisweilen
verschließen müssen. Ueberhaupt ist der vou Natur lebhafte Maun munter und
lebensfroh geblieben, obwohl nicht verschont von den Launen des Alters.

Neben seinen Fachwissenschaften haben ihn besonders historische und ästhetische
Studien angezogen. Don Quixote wurde des Jünglings und blieb des Greises
Lieblingslectüre. Auch sein eigner Humor ist uicht immer mit attischem Salz,
sondern bisweilen mit spanischem Pfeffer gewürzt. Als militärischer Befehlshaber
hielt er bei seinen Untergebenen streng auf Disciplin und erwarb sich in Hanau,
wo er eine Zeit lang in Garnison lag, den Beinamen des „Pascha von drei
Noßschweifen." Indessen muß es der gestrenge „Pascha" mit seinen Leuten gut
gemeint haben; sonst würden nicht so viele jüngere Kameraden mit so großer
Liebe und Verehrung an ihm hangen. Namentlich rühmen sie seine altgermanische,
ächtkameradschaftliche Gastfreiheit.

Ju seine Stelle trat von der Mitte September 1848 an Oberst d'Orville
aus Offenbach, seit 1814 als Freiwilliger im Ysenburgischen Militärdienst stehend,
1816 von Kurhessen übernommen. Er gilt für einen klugen, in seinem Fach wohl¬
unterrichteten Mann. Uuter seiner Amtsführung fanden die wichtigsten, auf das
Militärwesen bezüglichen legislativen Aenderungen statt, worauf wir unter zurück¬
kommen werden. Allein obgleich durch ein Gesetz vom 26. Oct. 1848 sogar der
„oberste Militärchef" aus der Verfassungsurkunde beseitigt wurde*), wodurch die
Stellung des Kriegsministers wesentlich erleichtert schien, so konnte doch auch
d'Orville sich uicht lange halten und nahm „aus Gesundheitsrücksichten" seine
Entlassung.



Einige Tage vorher hatte die N. H. Z- erklärt: Der oberste Militärchef muß noch
vor Ablauf dieser Sitzungsperiode (31. Oct. 1848) fallen, und wäre er mit Ketten an den
Himmel gebunden. Er fiel. Einige Woche später, nachdem der Umschlag in Berlin erfolgt
war, wurde die Streichung dieses Verfassungsparagraphen unter keiner Bedingung mehr
durchzusetzen gewesen sein.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/431>, abgerufen am 25.07.2024.