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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Pomp vollzogen wurde. Der Tag wurde in Kassel als wahres Volksfest mit
hoffnungsvollen Jubel gefeiert. Der Kurfürst erschien zum ersten Mal seit dem
Antritt seiner Regierung in Civilkleidnng unter dem jubelnden Volke: man hoffte
nicht bloß für Dentschland segensreiche Folgen vou diesem Tag, man hoffte auch für
das eugere Vaterland auf ein inniges Znsanlmenwachsen des Fürsten mit seinem
Volke, wonach alle treuen Hessen schou so lauge sich gesehnt; doch man hoffte ver¬
gebens. Wohl snchre der Minister, dessen Hand nur zitternd noch ihren Dienst
versah, seiue alternde Kraft zu unterstützen durch Heranziehung einer jugendlichen
Arbeitskraft, des wackern und kenntnißreichen Historigraphen der hessischen
Armee, Maximilian von Ditfurth^), welcher uuter dem jetzigen Ministerium
leider wieder aus dem Kriegsministerium entfernt und durch einen Invaliden
ersetzt wordeu ist. Doch überzeugte Bardeleben sich bald, daß sein an volle Be¬
haglichkeit gewöhntes Alter mehr leibliche und geistige Ruhe erheischte, als mit
seiner neuen Stellung verträglich war. Schon nach 5 Wochen nahm er seinen
Abschied.

Ueber die Jugend des interessanten Mannes verdaute ich einem Freunde
einige charakteristische Notizen. Bardeleben, dessen Familie nicht zur hessischen
Ritterschaft gehört, sondern erst im vorigen Jahrhundert ans Preußen eingewan¬
dert ist, war der Sohn eines alten wenig bemittelten Militärs, der nach dem
siebenjährige" Kriege seinen Abschied genommen nud bei der Bewirthschaftung
eines kleinen Gutes unweit Homberg sehr thätig war, Bruder von 11 gefunden
Geschwistern. Der ernste und nicht selten heftige Vater schreckte die Kinder zu¬
rück, die liebevolle Mutter zog sie vertrauensvoll zu sich hin; ihr Bild prägte
sich dem Sohne unvergeßlich ein. Er wuchs auf als muthwilliger Laudjunge im
Besitz unbeschränkter Freiheit, der Wildeste uuter deu Wilden, und härtete sich
auf alle Weise ab. Spaziergänge nach dem nahen Eisenhammer und der benach¬
barten Bergstadt mit Ruine weckten früh einen gewissen Sinn für das Roman¬
tische. Dazu kam später eine Ader von Humor. Weit mehr, als der Unterricht
beim Magister interessirten ihn aber die Zeiuugsuachrichten aus Amerika, wo ein
vaterländisches Truppeucorps gegen die Amerikaner focht. Anfangs mit dem
Vater auf Seiten der Engländer und Hessen stehend, nahm er bald mit der
Mutter desto lebhafter Partei für die Amerikaner. Nach zurückgelegtem achten
Lebensjahr nahm ihn der mütterliche Großvater, Hannoverischer Land- und Schatz-
rath zu Erzstrup bei Hoya zu sich, ein gemüthreicher, verehruugöwürdiger Greis,



*) Maximilian von Ditfnrth ist der Sohn des in bairischen Diensten Lei Inns¬
bruck im Jahre gefallenen tapfern Obersten von Ditfnrth, von dem selbst die Tyroler
mit Bewunderung gesagt haben: er stritt, alö wollt' er allein Tyrol den Baiern erhalten!
Wie der kleine Mar und seine Mutter, die ihren Gemahl nach Innsbruck begleitet hatte,
durch den Edelmuth eines Tyrolerö der Nottöwntl) entrissen worden sind, das hat Hebel im
"Schatzkästlein" Mlter der Ueberschrift: "Rettung einer Officiersfrau" erzählt.

Pomp vollzogen wurde. Der Tag wurde in Kassel als wahres Volksfest mit
hoffnungsvollen Jubel gefeiert. Der Kurfürst erschien zum ersten Mal seit dem
Antritt seiner Regierung in Civilkleidnng unter dem jubelnden Volke: man hoffte
nicht bloß für Dentschland segensreiche Folgen vou diesem Tag, man hoffte auch für
das eugere Vaterland auf ein inniges Znsanlmenwachsen des Fürsten mit seinem
Volke, wonach alle treuen Hessen schou so lauge sich gesehnt; doch man hoffte ver¬
gebens. Wohl snchre der Minister, dessen Hand nur zitternd noch ihren Dienst
versah, seiue alternde Kraft zu unterstützen durch Heranziehung einer jugendlichen
Arbeitskraft, des wackern und kenntnißreichen Historigraphen der hessischen
Armee, Maximilian von Ditfurth^), welcher uuter dem jetzigen Ministerium
leider wieder aus dem Kriegsministerium entfernt und durch einen Invaliden
ersetzt wordeu ist. Doch überzeugte Bardeleben sich bald, daß sein an volle Be¬
haglichkeit gewöhntes Alter mehr leibliche und geistige Ruhe erheischte, als mit
seiner neuen Stellung verträglich war. Schon nach 5 Wochen nahm er seinen
Abschied.

Ueber die Jugend des interessanten Mannes verdaute ich einem Freunde
einige charakteristische Notizen. Bardeleben, dessen Familie nicht zur hessischen
Ritterschaft gehört, sondern erst im vorigen Jahrhundert ans Preußen eingewan¬
dert ist, war der Sohn eines alten wenig bemittelten Militärs, der nach dem
siebenjährige» Kriege seinen Abschied genommen nud bei der Bewirthschaftung
eines kleinen Gutes unweit Homberg sehr thätig war, Bruder von 11 gefunden
Geschwistern. Der ernste und nicht selten heftige Vater schreckte die Kinder zu¬
rück, die liebevolle Mutter zog sie vertrauensvoll zu sich hin; ihr Bild prägte
sich dem Sohne unvergeßlich ein. Er wuchs auf als muthwilliger Laudjunge im
Besitz unbeschränkter Freiheit, der Wildeste uuter deu Wilden, und härtete sich
auf alle Weise ab. Spaziergänge nach dem nahen Eisenhammer und der benach¬
barten Bergstadt mit Ruine weckten früh einen gewissen Sinn für das Roman¬
tische. Dazu kam später eine Ader von Humor. Weit mehr, als der Unterricht
beim Magister interessirten ihn aber die Zeiuugsuachrichten aus Amerika, wo ein
vaterländisches Truppeucorps gegen die Amerikaner focht. Anfangs mit dem
Vater auf Seiten der Engländer und Hessen stehend, nahm er bald mit der
Mutter desto lebhafter Partei für die Amerikaner. Nach zurückgelegtem achten
Lebensjahr nahm ihn der mütterliche Großvater, Hannoverischer Land- und Schatz-
rath zu Erzstrup bei Hoya zu sich, ein gemüthreicher, verehruugöwürdiger Greis,



*) Maximilian von Ditfnrth ist der Sohn des in bairischen Diensten Lei Inns¬
bruck im Jahre gefallenen tapfern Obersten von Ditfnrth, von dem selbst die Tyroler
mit Bewunderung gesagt haben: er stritt, alö wollt' er allein Tyrol den Baiern erhalten!
Wie der kleine Mar und seine Mutter, die ihren Gemahl nach Innsbruck begleitet hatte,
durch den Edelmuth eines Tyrolerö der Nottöwntl) entrissen worden sind, das hat Hebel im
„Schatzkästlein" Mlter der Ueberschrift: „Rettung einer Officiersfrau" erzählt.
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[0430] Pomp vollzogen wurde. Der Tag wurde in Kassel als wahres Volksfest mit hoffnungsvollen Jubel gefeiert. Der Kurfürst erschien zum ersten Mal seit dem Antritt seiner Regierung in Civilkleidnng unter dem jubelnden Volke: man hoffte nicht bloß für Dentschland segensreiche Folgen vou diesem Tag, man hoffte auch für das eugere Vaterland auf ein inniges Znsanlmenwachsen des Fürsten mit seinem Volke, wonach alle treuen Hessen schou so lauge sich gesehnt; doch man hoffte ver¬ gebens. Wohl snchre der Minister, dessen Hand nur zitternd noch ihren Dienst versah, seiue alternde Kraft zu unterstützen durch Heranziehung einer jugendlichen Arbeitskraft, des wackern und kenntnißreichen Historigraphen der hessischen Armee, Maximilian von Ditfurth^), welcher uuter dem jetzigen Ministerium leider wieder aus dem Kriegsministerium entfernt und durch einen Invaliden ersetzt wordeu ist. Doch überzeugte Bardeleben sich bald, daß sein an volle Be¬ haglichkeit gewöhntes Alter mehr leibliche und geistige Ruhe erheischte, als mit seiner neuen Stellung verträglich war. Schon nach 5 Wochen nahm er seinen Abschied. Ueber die Jugend des interessanten Mannes verdaute ich einem Freunde einige charakteristische Notizen. Bardeleben, dessen Familie nicht zur hessischen Ritterschaft gehört, sondern erst im vorigen Jahrhundert ans Preußen eingewan¬ dert ist, war der Sohn eines alten wenig bemittelten Militärs, der nach dem siebenjährige» Kriege seinen Abschied genommen nud bei der Bewirthschaftung eines kleinen Gutes unweit Homberg sehr thätig war, Bruder von 11 gefunden Geschwistern. Der ernste und nicht selten heftige Vater schreckte die Kinder zu¬ rück, die liebevolle Mutter zog sie vertrauensvoll zu sich hin; ihr Bild prägte sich dem Sohne unvergeßlich ein. Er wuchs auf als muthwilliger Laudjunge im Besitz unbeschränkter Freiheit, der Wildeste uuter deu Wilden, und härtete sich auf alle Weise ab. Spaziergänge nach dem nahen Eisenhammer und der benach¬ barten Bergstadt mit Ruine weckten früh einen gewissen Sinn für das Roman¬ tische. Dazu kam später eine Ader von Humor. Weit mehr, als der Unterricht beim Magister interessirten ihn aber die Zeiuugsuachrichten aus Amerika, wo ein vaterländisches Truppeucorps gegen die Amerikaner focht. Anfangs mit dem Vater auf Seiten der Engländer und Hessen stehend, nahm er bald mit der Mutter desto lebhafter Partei für die Amerikaner. Nach zurückgelegtem achten Lebensjahr nahm ihn der mütterliche Großvater, Hannoverischer Land- und Schatz- rath zu Erzstrup bei Hoya zu sich, ein gemüthreicher, verehruugöwürdiger Greis, *) Maximilian von Ditfnrth ist der Sohn des in bairischen Diensten Lei Inns¬ bruck im Jahre gefallenen tapfern Obersten von Ditfnrth, von dem selbst die Tyroler mit Bewunderung gesagt haben: er stritt, alö wollt' er allein Tyrol den Baiern erhalten! Wie der kleine Mar und seine Mutter, die ihren Gemahl nach Innsbruck begleitet hatte, durch den Edelmuth eines Tyrolerö der Nottöwntl) entrissen worden sind, das hat Hebel im „Schatzkästlein" Mlter der Ueberschrift: „Rettung einer Officiersfrau" erzählt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/430>, abgerufen am 25.07.2024.