Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.-- Gewiß bei einem radicalen Organe, nach Ihren Aeußerungen zu schließen, be¬ -- Das gerade nicht, erhielt ich zur Antwort, es ist der "Soldatenfreund", das Wir hielten gerade im Wiener Bahnhöfe, die Aufmerksamkeit der Herren Offiziere Ich ließ mir kaum so viel Zeit, mich bei einem Freunde, bei dem ich einkehrte, — Gewiß bei einem radicalen Organe, nach Ihren Aeußerungen zu schließen, be¬ — Das gerade nicht, erhielt ich zur Antwort, es ist der „Soldatenfreund", das Wir hielten gerade im Wiener Bahnhöfe, die Aufmerksamkeit der Herren Offiziere Ich ließ mir kaum so viel Zeit, mich bei einem Freunde, bei dem ich einkehrte, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0042" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92331"/> <p xml:id="ID_97"> — Gewiß bei einem radicalen Organe, nach Ihren Aeußerungen zu schließen, be¬<lb/> merkte ich in meiner Unschuld.</p><lb/> <p xml:id="ID_98"> — Das gerade nicht, erhielt ich zur Antwort, es ist der „Soldatenfreund", das<lb/> Blatt ist schwarz-gelb bis in den Nachen, doch das Geschäft bringt's mit sich.</p><lb/> <p xml:id="ID_99"> Wir hielten gerade im Wiener Bahnhöfe, die Aufmerksamkeit der Herren Offiziere<lb/> wurde von einigen Bekannten in Anspruch genommen, die an die Waggonsfenster traten,<lb/> und so kann ich als gewissenhafter Erzähler nicht den Eindruck meiner nahrhaften, ver¬<lb/> bürgten Geschichte berichten. Ich war froh, angelangt zu sein, und rüttelte nach Leibes¬<lb/> kräften an der Thüre, um dem Couducteur ein Zeichen zum schnellern Oeffnen zu geben.<lb/> Doch vergebens, die Thüre blieb geschlossen, weil ein Beamter von Waggon zu Waggon<lb/> ging, die Pässe in Empfang zu nehmen, und Niemand herausgelassen werden durste, bis<lb/> diese übergeben waren.</p><lb/> <p xml:id="ID_100" next="#ID_101"> Ich ließ mir kaum so viel Zeit, mich bei einem Freunde, bei dem ich einkehrte,<lb/> umzukleiden, um nur rasch einen Gang durch die Stadt zu machen, die ich in der höchsten<lb/> Aufregung der Octobertage verlassen hatte. Ich rieb mir die Augen, ich kniff mir in<lb/> den Arm, um mich zu überzeugen, ob ich wache oder träume. Es war das alte Wien,<lb/> das gute, gemüthliche Backhändlwien, wie ich es vor einer langen Reihe von Jahren in<lb/> meinem kümmerlichen, aber immer schönen Studentenleben kennen gelernt hatte. Die<lb/> letzte, verhäugnißschwere Zeit war rein weggewischt, es war, als ob man aus dem hei¬<lb/> mischen Wohnzimmer, wo man ein Haustheater mit Brettern, Fernsichten und Coulissen<lb/> aufgeführt hatte, all diesen fremden Plunder wegräumt, und die langgewohnten Meubel,<lb/> das Bild der Großmutter im Erker, der lederne Großvaterstuhl in der Ecke und die alte<lb/> Wanduhr mit ihrem schnarrenden Pendel wieder zum Borschein kommen. Ich sah keine<lb/> Nationalgarten und keine Legionäre mehr, die, ich will's nur offen gestehen, im Jahre<lb/> 18-48 selbst, wo alle Leute, die nüchternsten sogar einen kleinen Dusel im Kopfe hatten,<lb/> mir wie linkische Statisten vorgekommen waren, die, mit einem Male zu wirkenden Artisten<lb/> erhoben, sich in die ihnen zugetheilten Rollen gar nicht zu finden wissen. Ich sah mich<lb/> an der Ferdinandsbrücke vergebens nach fliegenden Buchhändlern mit gedruckten Unsterb¬<lb/> lichkeiten um, wie nach deren verbrüderten Genossen, den Proletariern, die immer die<lb/> Hände auf dem Rücken und die Nase in der Luft hielten, als ob sie das Nevolutions-<lb/> wetter riechen wollten. Mein Blick siel auf die Mauer am rothen Thurmthore und ich<lb/> spähete umsonst nach ellenlangen Placaten, die Essenz aller demokratischen Gelüste, ge¬<lb/> zeichnet: „ein Nationalgarde oder Legionär dieser oder jener Abtheilung." Die<lb/> Theaterzettel stechen mir in die Augen, und mein Herz jubelt laut auf; die beiden<lb/> Klingsberg wurden im Burg- und Nationaltheater gegeben. August von Kotzebue, der<lb/> Abgott meiner Kindheit, den geringzuschätzen mir in den reifern Jahren am meisten Mühe,<lb/> ja Schmerz gekostet, August von Kotzebue paradirt wieder auf dem Repertoir des ersten<lb/> Theaters der ersten deutschen Stadt. Ich stürmte in die Stadt hinein und blickte mit<lb/> einem kleinen Erstannen auf die überall sich bewegende Munieipalgarde, die mir mit ihrer<lb/> grünen Uniform und rothen Aufschlägen nicht recht in die auferstandene alte Zeit hinein¬<lb/> paßte. Doch die Jugend denkt nicht lange nach, und ich war ja wieder jung geworden und<lb/> hatte fünfzehn Jahre wie eine unnütze Bürde von mir abgeschüttelt. Auf dem Stephans-<lb/> platze begrüßte ich den ehrwürdigen Dom wie einen guten, alten Bekannten, und es<lb/> schien mir, als ob auch er sich verjüngt und ans das lustige Betreibe zu seinen Füßen<lb/> mit dem heitern Auge des kräftigen Alters blicke, dem es Freude macht, wenn die Jugend</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0042]
— Gewiß bei einem radicalen Organe, nach Ihren Aeußerungen zu schließen, be¬
merkte ich in meiner Unschuld.
— Das gerade nicht, erhielt ich zur Antwort, es ist der „Soldatenfreund", das
Blatt ist schwarz-gelb bis in den Nachen, doch das Geschäft bringt's mit sich.
Wir hielten gerade im Wiener Bahnhöfe, die Aufmerksamkeit der Herren Offiziere
wurde von einigen Bekannten in Anspruch genommen, die an die Waggonsfenster traten,
und so kann ich als gewissenhafter Erzähler nicht den Eindruck meiner nahrhaften, ver¬
bürgten Geschichte berichten. Ich war froh, angelangt zu sein, und rüttelte nach Leibes¬
kräften an der Thüre, um dem Couducteur ein Zeichen zum schnellern Oeffnen zu geben.
Doch vergebens, die Thüre blieb geschlossen, weil ein Beamter von Waggon zu Waggon
ging, die Pässe in Empfang zu nehmen, und Niemand herausgelassen werden durste, bis
diese übergeben waren.
Ich ließ mir kaum so viel Zeit, mich bei einem Freunde, bei dem ich einkehrte,
umzukleiden, um nur rasch einen Gang durch die Stadt zu machen, die ich in der höchsten
Aufregung der Octobertage verlassen hatte. Ich rieb mir die Augen, ich kniff mir in
den Arm, um mich zu überzeugen, ob ich wache oder träume. Es war das alte Wien,
das gute, gemüthliche Backhändlwien, wie ich es vor einer langen Reihe von Jahren in
meinem kümmerlichen, aber immer schönen Studentenleben kennen gelernt hatte. Die
letzte, verhäugnißschwere Zeit war rein weggewischt, es war, als ob man aus dem hei¬
mischen Wohnzimmer, wo man ein Haustheater mit Brettern, Fernsichten und Coulissen
aufgeführt hatte, all diesen fremden Plunder wegräumt, und die langgewohnten Meubel,
das Bild der Großmutter im Erker, der lederne Großvaterstuhl in der Ecke und die alte
Wanduhr mit ihrem schnarrenden Pendel wieder zum Borschein kommen. Ich sah keine
Nationalgarten und keine Legionäre mehr, die, ich will's nur offen gestehen, im Jahre
18-48 selbst, wo alle Leute, die nüchternsten sogar einen kleinen Dusel im Kopfe hatten,
mir wie linkische Statisten vorgekommen waren, die, mit einem Male zu wirkenden Artisten
erhoben, sich in die ihnen zugetheilten Rollen gar nicht zu finden wissen. Ich sah mich
an der Ferdinandsbrücke vergebens nach fliegenden Buchhändlern mit gedruckten Unsterb¬
lichkeiten um, wie nach deren verbrüderten Genossen, den Proletariern, die immer die
Hände auf dem Rücken und die Nase in der Luft hielten, als ob sie das Nevolutions-
wetter riechen wollten. Mein Blick siel auf die Mauer am rothen Thurmthore und ich
spähete umsonst nach ellenlangen Placaten, die Essenz aller demokratischen Gelüste, ge¬
zeichnet: „ein Nationalgarde oder Legionär dieser oder jener Abtheilung." Die
Theaterzettel stechen mir in die Augen, und mein Herz jubelt laut auf; die beiden
Klingsberg wurden im Burg- und Nationaltheater gegeben. August von Kotzebue, der
Abgott meiner Kindheit, den geringzuschätzen mir in den reifern Jahren am meisten Mühe,
ja Schmerz gekostet, August von Kotzebue paradirt wieder auf dem Repertoir des ersten
Theaters der ersten deutschen Stadt. Ich stürmte in die Stadt hinein und blickte mit
einem kleinen Erstannen auf die überall sich bewegende Munieipalgarde, die mir mit ihrer
grünen Uniform und rothen Aufschlägen nicht recht in die auferstandene alte Zeit hinein¬
paßte. Doch die Jugend denkt nicht lange nach, und ich war ja wieder jung geworden und
hatte fünfzehn Jahre wie eine unnütze Bürde von mir abgeschüttelt. Auf dem Stephans-
platze begrüßte ich den ehrwürdigen Dom wie einen guten, alten Bekannten, und es
schien mir, als ob auch er sich verjüngt und ans das lustige Betreibe zu seinen Füßen
mit dem heitern Auge des kräftigen Alters blicke, dem es Freude macht, wenn die Jugend
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