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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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sichtbar wurde. Die Darstellung ist populär, im besten Sinne des Wortes, kurz
und gedrängt, um deu ungeheuern Stoff in deu zweckmäßigen Raum von drei
mäßigen Bändchen zu bringen. Die Wenigsten ahnen, wie groß die Schwierig¬
keiten einer solchen kurzen Geschichtsschreibung siud, bei welcher uicht ein chrono¬
logisches Aufrechnen der Namen, Zahlen und Begebenheiten die Hauptsache ist,
sondern wo dem Leser das Verständniß der Begebenheiten und Personen eröffnet
werden soll. Die Hauptschwierigkeit liegt uicht einmal in der zweckmäßigen Ein-
theilung des Stoffes, in der Unterscheidung dessen, was erzählt werden darf und
in welcher Ausdehnung; sie liegt uoch viel mehr in dem Umstand, daß jeder Satz,
fast jede Zeile eine Charakteristik sehr complicirter Verhältnisse, ein Zusammen¬
fassen sehr weitläufiger Detailuutersnchungen sein muß. Mit drei bis vier
Worten einen Menschen zu charakterisiren, ohne seicht zu werden, in einen
Satz das Referat über den Verlauf einer politischen Verhandlung zu geben, ohne
unwahr zu sein, auf einer Seite Bilduugöverhälttnsse deö Volkes anschaulich und
eindringlich so zu geben, daß der Leser ein richtiges Bild davou erhält, das ist
unendlich schwer, oft unmöglich. Was Rückert geleistet hat, vermag man erst
dann vollständig zu würdigen, wenn man sein Werk mit den Besseren von ähn¬
lichem Umfang vergleicht; und wer Aehnliches versucht hat, wird mit Freuden sehen,
welch genaue Kenntniß der gelehrten Geschichtsforschung, der Literatur und der
Antiquitäten aus den einfachen Umrissen zu erkennen ist. War doch gerade er
dnrch seiue Studien und Persönlichkeit vorzugsweise dazu berufen. Ein ebenso
gründlicher deutscher Philolog, als Historiker, ist er gewöhnt, das Charakteristische
nicht nnr an Personen, sondern ebenso sehr in den mannigfaltigsten Lebens-
äußerungen des Volkes, seiner Sprache, Gesetzgebung und Kunst zu verstehen
und die einzelnen Helden der Geschichte zu erfassen als das, was sie für unsere
Bildung siud, als Söhne und Führer ihres Volks.

Der dritte Band, welcher das Werk beschließen soll, wird das Verständniß
des wohlangelegten Planes erleichtern und Gelegenheit geben, nochmals ans das
Unternehmen zurückzukommen. Das Werk erscheint als Anfang einer Sammlung
von deutschen Geschichtswerken, welche durch die Buchhandlung von T. O. Weigel
herausgegeben werden, und deren zweites Werk im nächsten Heft besprochenwerden soll.




Kleine Korrespondenzen.
Pariser Botschaften.
I.

Montaigne erzählt irgendwo von einem Hofe, an dem jedesmal eine Hofdame die
Hand hinhielt, so oft der König ausspülte. Die regierenden Parteien Frankreichs glei-


sichtbar wurde. Die Darstellung ist populär, im besten Sinne des Wortes, kurz
und gedrängt, um deu ungeheuern Stoff in deu zweckmäßigen Raum von drei
mäßigen Bändchen zu bringen. Die Wenigsten ahnen, wie groß die Schwierig¬
keiten einer solchen kurzen Geschichtsschreibung siud, bei welcher uicht ein chrono¬
logisches Aufrechnen der Namen, Zahlen und Begebenheiten die Hauptsache ist,
sondern wo dem Leser das Verständniß der Begebenheiten und Personen eröffnet
werden soll. Die Hauptschwierigkeit liegt uicht einmal in der zweckmäßigen Ein-
theilung des Stoffes, in der Unterscheidung dessen, was erzählt werden darf und
in welcher Ausdehnung; sie liegt uoch viel mehr in dem Umstand, daß jeder Satz,
fast jede Zeile eine Charakteristik sehr complicirter Verhältnisse, ein Zusammen¬
fassen sehr weitläufiger Detailuutersnchungen sein muß. Mit drei bis vier
Worten einen Menschen zu charakterisiren, ohne seicht zu werden, in einen
Satz das Referat über den Verlauf einer politischen Verhandlung zu geben, ohne
unwahr zu sein, auf einer Seite Bilduugöverhälttnsse deö Volkes anschaulich und
eindringlich so zu geben, daß der Leser ein richtiges Bild davou erhält, das ist
unendlich schwer, oft unmöglich. Was Rückert geleistet hat, vermag man erst
dann vollständig zu würdigen, wenn man sein Werk mit den Besseren von ähn¬
lichem Umfang vergleicht; und wer Aehnliches versucht hat, wird mit Freuden sehen,
welch genaue Kenntniß der gelehrten Geschichtsforschung, der Literatur und der
Antiquitäten aus den einfachen Umrissen zu erkennen ist. War doch gerade er
dnrch seiue Studien und Persönlichkeit vorzugsweise dazu berufen. Ein ebenso
gründlicher deutscher Philolog, als Historiker, ist er gewöhnt, das Charakteristische
nicht nnr an Personen, sondern ebenso sehr in den mannigfaltigsten Lebens-
äußerungen des Volkes, seiner Sprache, Gesetzgebung und Kunst zu verstehen
und die einzelnen Helden der Geschichte zu erfassen als das, was sie für unsere
Bildung siud, als Söhne und Führer ihres Volks.

Der dritte Band, welcher das Werk beschließen soll, wird das Verständniß
des wohlangelegten Planes erleichtern und Gelegenheit geben, nochmals ans das
Unternehmen zurückzukommen. Das Werk erscheint als Anfang einer Sammlung
von deutschen Geschichtswerken, welche durch die Buchhandlung von T. O. Weigel
herausgegeben werden, und deren zweites Werk im nächsten Heft besprochenwerden soll.




Kleine Korrespondenzen.
Pariser Botschaften.
I.

Montaigne erzählt irgendwo von einem Hofe, an dem jedesmal eine Hofdame die
Hand hinhielt, so oft der König ausspülte. Die regierenden Parteien Frankreichs glei-


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[0402] sichtbar wurde. Die Darstellung ist populär, im besten Sinne des Wortes, kurz und gedrängt, um deu ungeheuern Stoff in deu zweckmäßigen Raum von drei mäßigen Bändchen zu bringen. Die Wenigsten ahnen, wie groß die Schwierig¬ keiten einer solchen kurzen Geschichtsschreibung siud, bei welcher uicht ein chrono¬ logisches Aufrechnen der Namen, Zahlen und Begebenheiten die Hauptsache ist, sondern wo dem Leser das Verständniß der Begebenheiten und Personen eröffnet werden soll. Die Hauptschwierigkeit liegt uicht einmal in der zweckmäßigen Ein- theilung des Stoffes, in der Unterscheidung dessen, was erzählt werden darf und in welcher Ausdehnung; sie liegt uoch viel mehr in dem Umstand, daß jeder Satz, fast jede Zeile eine Charakteristik sehr complicirter Verhältnisse, ein Zusammen¬ fassen sehr weitläufiger Detailuutersnchungen sein muß. Mit drei bis vier Worten einen Menschen zu charakterisiren, ohne seicht zu werden, in einen Satz das Referat über den Verlauf einer politischen Verhandlung zu geben, ohne unwahr zu sein, auf einer Seite Bilduugöverhälttnsse deö Volkes anschaulich und eindringlich so zu geben, daß der Leser ein richtiges Bild davou erhält, das ist unendlich schwer, oft unmöglich. Was Rückert geleistet hat, vermag man erst dann vollständig zu würdigen, wenn man sein Werk mit den Besseren von ähn¬ lichem Umfang vergleicht; und wer Aehnliches versucht hat, wird mit Freuden sehen, welch genaue Kenntniß der gelehrten Geschichtsforschung, der Literatur und der Antiquitäten aus den einfachen Umrissen zu erkennen ist. War doch gerade er dnrch seiue Studien und Persönlichkeit vorzugsweise dazu berufen. Ein ebenso gründlicher deutscher Philolog, als Historiker, ist er gewöhnt, das Charakteristische nicht nnr an Personen, sondern ebenso sehr in den mannigfaltigsten Lebens- äußerungen des Volkes, seiner Sprache, Gesetzgebung und Kunst zu verstehen und die einzelnen Helden der Geschichte zu erfassen als das, was sie für unsere Bildung siud, als Söhne und Führer ihres Volks. Der dritte Band, welcher das Werk beschließen soll, wird das Verständniß des wohlangelegten Planes erleichtern und Gelegenheit geben, nochmals ans das Unternehmen zurückzukommen. Das Werk erscheint als Anfang einer Sammlung von deutschen Geschichtswerken, welche durch die Buchhandlung von T. O. Weigel herausgegeben werden, und deren zweites Werk im nächsten Heft besprochenwerden soll. Kleine Korrespondenzen. Pariser Botschaften. I. Montaigne erzählt irgendwo von einem Hofe, an dem jedesmal eine Hofdame die Hand hinhielt, so oft der König ausspülte. Die regierenden Parteien Frankreichs glei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/402>, abgerufen am 22.07.2024.