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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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früheren Verhältnissen durch beständige Schlägereien auf Leben und Tod uuter
den Landleuten selbst oder mit der Gensdarmerie, Forst- und Jagdfrevel der
brutalsten Art und eine besondere Neigung zu gewaltthätigen Aneignungen frem¬
den Eigenthums, vulgo Einbruch und Straßenrand, die in Altbaiern mehr als
irgend in Deutschland, und mehr als man in Norddeutschland ahnt, floriren, sich
auszutoben pflegt. -- Für eigentliche Disciplin im vollen Sinne des Wortes
sind diese Leute unfähig, wohl aber besitzen sie eine unwandelbare Anhänglichkeit an
ihre Fahne und ihren Kriegsherrn und siud auf dem Schlachtfelde außerordentlich
tapfer und abgehärtet. Dabei kommen ihnen ihre früheren Lebensgewöhnungen sehr
zu Staaten. Sie haben sich so oft im blutigen Kampfe, wenn auch uur mit den
famosen Schlagriugeu und Mäßern oder gar mit Stuhlbeiueu und schweren stei¬
nernen Seidelkrügen versucht, daß ihnen Blut und Wunden kein physisches
Grauen mehr erregen, im Gegentheil sie erst in eine Art von freudiger Exaltation
setzen. -- Absteigend folgen dann die Oberpfälzer, die, eben so roh und gebunden
wie die Altbaiern, nichts vou ihrer Rauflust besitzen; dann die Schwaben. Na¬
mentlich in den südlichsten Gegenden, die nicht blos in ihrer landschaftlichen
Structur viele Aehnlichkeit mit der jenseits des Bodensees liegenden Schweiz
haben, wollen durchaus keine guten Soldaten gedeihen. Ich glaube aber, daß
ein vernünftiger Staat gerade aus diesen schön gewachsenen, schlanken und feurigen
Allgäueru mit ihrer Intelligenz und Weltgewandtheit die trefflichsten Soldaten
ziehen würde. Sie haben etwas von dem heißeren Blute des Südens und die
ganze Kernigkeit unseres Volkes, so daß sich aus ihnen eine höhere Potenz deö
französischen und deutschen Soldaten in ihrer besten Qualität herausarbeiten
ließe. -- Nicht besser siud die Franken, wenn anch mit merklichen Unterschieden.
Franken besitzt bekanntlich das entwickeltste System von größeren Städten, welches
sich in ganz Deutschland findet, vielleicht die Winkel zwischen Rhein, Main und
Neckar ausgenommen: Nürnberg, Fürth, Bamberg, Würzburg, Ansbach, Erlangen,
Baireuth, Eichstädt liegen alle auf dem Raume weniger Quadratmeilen zusammen¬
gedrängt, und in ihnen allen ist wenigstens so viel Großstädtisches zu finden, daß
sich ein sittlich und physisch sehr heruntergekommenes Proletariat entwickelt hat,
das seines Gleichen in Deutschland sucht. Das ist nun bei uns bekanntlich der
schlechteste Stoff, aus dem Soldaten geformt werden können, wie auch die bessern
Theile der städtischen Bevölkerung, der solide Handwerks- und Handelsstand,
wellig für den Kriegsdienst geeignet sind. Die Landbevölkerung ist durch die
Einwirkungen dieses Städtecomplexes in den meisten Theilen der Landschaft der
städtischen Bevölkerung sehr ähnlich geworden und nur im Vogelart und Fichtel¬
gebirge, der Rhön und dem Spessart dauert das naturwüchsige Bauernthum, freilich
in sehr abstoßender Gestalt, denn es fehlen alle Vorbedingungen zu materiellem
'Wohlsein noch fort. Dort giebt es auch bessere Soldaten, wenn sie nicht, wie
die auf der Rhön, von Hanse aus gar zu schlecht genährt sind. --


früheren Verhältnissen durch beständige Schlägereien auf Leben und Tod uuter
den Landleuten selbst oder mit der Gensdarmerie, Forst- und Jagdfrevel der
brutalsten Art und eine besondere Neigung zu gewaltthätigen Aneignungen frem¬
den Eigenthums, vulgo Einbruch und Straßenrand, die in Altbaiern mehr als
irgend in Deutschland, und mehr als man in Norddeutschland ahnt, floriren, sich
auszutoben pflegt. — Für eigentliche Disciplin im vollen Sinne des Wortes
sind diese Leute unfähig, wohl aber besitzen sie eine unwandelbare Anhänglichkeit an
ihre Fahne und ihren Kriegsherrn und siud auf dem Schlachtfelde außerordentlich
tapfer und abgehärtet. Dabei kommen ihnen ihre früheren Lebensgewöhnungen sehr
zu Staaten. Sie haben sich so oft im blutigen Kampfe, wenn auch uur mit den
famosen Schlagriugeu und Mäßern oder gar mit Stuhlbeiueu und schweren stei¬
nernen Seidelkrügen versucht, daß ihnen Blut und Wunden kein physisches
Grauen mehr erregen, im Gegentheil sie erst in eine Art von freudiger Exaltation
setzen. — Absteigend folgen dann die Oberpfälzer, die, eben so roh und gebunden
wie die Altbaiern, nichts vou ihrer Rauflust besitzen; dann die Schwaben. Na¬
mentlich in den südlichsten Gegenden, die nicht blos in ihrer landschaftlichen
Structur viele Aehnlichkeit mit der jenseits des Bodensees liegenden Schweiz
haben, wollen durchaus keine guten Soldaten gedeihen. Ich glaube aber, daß
ein vernünftiger Staat gerade aus diesen schön gewachsenen, schlanken und feurigen
Allgäueru mit ihrer Intelligenz und Weltgewandtheit die trefflichsten Soldaten
ziehen würde. Sie haben etwas von dem heißeren Blute des Südens und die
ganze Kernigkeit unseres Volkes, so daß sich aus ihnen eine höhere Potenz deö
französischen und deutschen Soldaten in ihrer besten Qualität herausarbeiten
ließe. — Nicht besser siud die Franken, wenn anch mit merklichen Unterschieden.
Franken besitzt bekanntlich das entwickeltste System von größeren Städten, welches
sich in ganz Deutschland findet, vielleicht die Winkel zwischen Rhein, Main und
Neckar ausgenommen: Nürnberg, Fürth, Bamberg, Würzburg, Ansbach, Erlangen,
Baireuth, Eichstädt liegen alle auf dem Raume weniger Quadratmeilen zusammen¬
gedrängt, und in ihnen allen ist wenigstens so viel Großstädtisches zu finden, daß
sich ein sittlich und physisch sehr heruntergekommenes Proletariat entwickelt hat,
das seines Gleichen in Deutschland sucht. Das ist nun bei uns bekanntlich der
schlechteste Stoff, aus dem Soldaten geformt werden können, wie auch die bessern
Theile der städtischen Bevölkerung, der solide Handwerks- und Handelsstand,
wellig für den Kriegsdienst geeignet sind. Die Landbevölkerung ist durch die
Einwirkungen dieses Städtecomplexes in den meisten Theilen der Landschaft der
städtischen Bevölkerung sehr ähnlich geworden und nur im Vogelart und Fichtel¬
gebirge, der Rhön und dem Spessart dauert das naturwüchsige Bauernthum, freilich
in sehr abstoßender Gestalt, denn es fehlen alle Vorbedingungen zu materiellem
'Wohlsein noch fort. Dort giebt es auch bessere Soldaten, wenn sie nicht, wie
die auf der Rhön, von Hanse aus gar zu schlecht genährt sind. —


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[0382] früheren Verhältnissen durch beständige Schlägereien auf Leben und Tod uuter den Landleuten selbst oder mit der Gensdarmerie, Forst- und Jagdfrevel der brutalsten Art und eine besondere Neigung zu gewaltthätigen Aneignungen frem¬ den Eigenthums, vulgo Einbruch und Straßenrand, die in Altbaiern mehr als irgend in Deutschland, und mehr als man in Norddeutschland ahnt, floriren, sich auszutoben pflegt. — Für eigentliche Disciplin im vollen Sinne des Wortes sind diese Leute unfähig, wohl aber besitzen sie eine unwandelbare Anhänglichkeit an ihre Fahne und ihren Kriegsherrn und siud auf dem Schlachtfelde außerordentlich tapfer und abgehärtet. Dabei kommen ihnen ihre früheren Lebensgewöhnungen sehr zu Staaten. Sie haben sich so oft im blutigen Kampfe, wenn auch uur mit den famosen Schlagriugeu und Mäßern oder gar mit Stuhlbeiueu und schweren stei¬ nernen Seidelkrügen versucht, daß ihnen Blut und Wunden kein physisches Grauen mehr erregen, im Gegentheil sie erst in eine Art von freudiger Exaltation setzen. — Absteigend folgen dann die Oberpfälzer, die, eben so roh und gebunden wie die Altbaiern, nichts vou ihrer Rauflust besitzen; dann die Schwaben. Na¬ mentlich in den südlichsten Gegenden, die nicht blos in ihrer landschaftlichen Structur viele Aehnlichkeit mit der jenseits des Bodensees liegenden Schweiz haben, wollen durchaus keine guten Soldaten gedeihen. Ich glaube aber, daß ein vernünftiger Staat gerade aus diesen schön gewachsenen, schlanken und feurigen Allgäueru mit ihrer Intelligenz und Weltgewandtheit die trefflichsten Soldaten ziehen würde. Sie haben etwas von dem heißeren Blute des Südens und die ganze Kernigkeit unseres Volkes, so daß sich aus ihnen eine höhere Potenz deö französischen und deutschen Soldaten in ihrer besten Qualität herausarbeiten ließe. — Nicht besser siud die Franken, wenn anch mit merklichen Unterschieden. Franken besitzt bekanntlich das entwickeltste System von größeren Städten, welches sich in ganz Deutschland findet, vielleicht die Winkel zwischen Rhein, Main und Neckar ausgenommen: Nürnberg, Fürth, Bamberg, Würzburg, Ansbach, Erlangen, Baireuth, Eichstädt liegen alle auf dem Raume weniger Quadratmeilen zusammen¬ gedrängt, und in ihnen allen ist wenigstens so viel Großstädtisches zu finden, daß sich ein sittlich und physisch sehr heruntergekommenes Proletariat entwickelt hat, das seines Gleichen in Deutschland sucht. Das ist nun bei uns bekanntlich der schlechteste Stoff, aus dem Soldaten geformt werden können, wie auch die bessern Theile der städtischen Bevölkerung, der solide Handwerks- und Handelsstand, wellig für den Kriegsdienst geeignet sind. Die Landbevölkerung ist durch die Einwirkungen dieses Städtecomplexes in den meisten Theilen der Landschaft der städtischen Bevölkerung sehr ähnlich geworden und nur im Vogelart und Fichtel¬ gebirge, der Rhön und dem Spessart dauert das naturwüchsige Bauernthum, freilich in sehr abstoßender Gestalt, denn es fehlen alle Vorbedingungen zu materiellem 'Wohlsein noch fort. Dort giebt es auch bessere Soldaten, wenn sie nicht, wie die auf der Rhön, von Hanse aus gar zu schlecht genährt sind. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/382>, abgerufen am 22.07.2024.