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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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ficht auf Kleidung und Bewaffnung uicht verglichen werdeu kaun. Von den
6 Jahren Dienst auf dem Papier gehen in der Wirklichkeit durch periodischen
Urlaub 4 ab, bei Infanterie und Artillerie oft auch noch mehr. Es ist aber
ganz natürlich, daß man in drei Jahren, von denen höchstens eines für deu Ur¬
laub abzurechnen sein wird, einen Soldaten nachhaltiger ausbilden kann, als in
den kurzen Fristen der Einberufung, die, auf 6 lauge Jahre vertheilt, fast ver¬
schwinden, wenn sie auch zusammen zwei volle Jahre ausmachen. -- Außerdem
fehlt im Volke aller echt militärische Geist. Die Rauflust des Gebirgsjägers
und Senners ist das gerade Gegentheil davon, und in den übrigen Landstrichen
sieht es uicht besser aus. Es gilt auch überall uoch uicht etwa sür ein nothwen¬
diges Uebel, vielmehr für einen absonderlichen Unstern, wenn Jemand deu blauen
Nock anziehen muß. So gerne mau in Baiern überall mit deu 76,000 oder
gar 100,000 Mann prahlt, die mau angeblich in's Feld schicken kauu, so ungerne
möchte man doch selbst der 76,000 und erste sein, der dabei mit aufzöge, und
nicht etwa aus purer Bequemlichkeit und materiellen Rücksichten, sondern anch
weil man in letzter Instanz die ganze Militärwirlhschaft von oben bis unter haßt
und verachtet. Nur wenn der Particularismus der verschiedene" Landschaften
und Individuen vou außen her gereizt wird, dann ballt mau die Fäuste und
droht mit dem Heere. --

Die Güte und Brauchbarkeit der bairischen Truppen ist, so weit sie über¬
haupt vorhanden ist, wesentlich abhängig von ihrer Heimath. In einer größeren
und von echt militärischem Geiste durchdrungenen Armee, z. B. in der französischen,
preußischen, englischen, im gewissen Sinne auch in der östreichischen, werden diese
localen Verschiedenheiten bekanntlich sehr wohl in Rechnung gebracht, doch ver¬
schwinden sie schließlich vor dem Gesammtbewußtseiu des Heeres, vor dem streng
durchgeführten System der Ausbildung und dem Corpsgeiste der gesammten Be¬
fehlenden. Hier dagegen spielen sie eine große Rolle. Im Allgemeinen gilt der
echte Altbaier für den besten Soldaten aller Waffengattungen. Der Grund liegt
weniger in seiner physischen Beschaffenheit, wie man in Baiern selbst anzu¬
nehmen pflegt, als weil in deu gesegneten Gauen vou Freising, Passau, Diugol-
siug die Seele des Volkes gebundener ist, als in irgend einem andern Theile von
Deutschland (Oestreich natürlich ausgenommen, wie ich überhaupt immer bei
"Deutschland" dieses ausgenommen denke). Diese aus rein mittelalterlich barba¬
rischen Zuständen herausgerissenen Leute beißen zuerst am heftigsten wider die
Kette, indeß da sie das dunkle Bewußtsein haben, daß sie einmal für eine Kette
geboren sind, so gewöhnt sich auch bald ihr ganzes Wesen vou innen heraus
darau, sie kommen über die bloße äußerliche Zucht und Disciplin zu einer Art
von Andacht und Hingebung gegen ihren neuen Berus, die in andern Armeen
durch einen ganz andern geistigen Proceß geboren wird. Dabei fehlt es natür¬
lich nicht an gelegentlichen Ausbrüchen des alten tollen Naturells, das in seinen


ficht auf Kleidung und Bewaffnung uicht verglichen werdeu kaun. Von den
6 Jahren Dienst auf dem Papier gehen in der Wirklichkeit durch periodischen
Urlaub 4 ab, bei Infanterie und Artillerie oft auch noch mehr. Es ist aber
ganz natürlich, daß man in drei Jahren, von denen höchstens eines für deu Ur¬
laub abzurechnen sein wird, einen Soldaten nachhaltiger ausbilden kann, als in
den kurzen Fristen der Einberufung, die, auf 6 lauge Jahre vertheilt, fast ver¬
schwinden, wenn sie auch zusammen zwei volle Jahre ausmachen. — Außerdem
fehlt im Volke aller echt militärische Geist. Die Rauflust des Gebirgsjägers
und Senners ist das gerade Gegentheil davon, und in den übrigen Landstrichen
sieht es uicht besser aus. Es gilt auch überall uoch uicht etwa sür ein nothwen¬
diges Uebel, vielmehr für einen absonderlichen Unstern, wenn Jemand deu blauen
Nock anziehen muß. So gerne mau in Baiern überall mit deu 76,000 oder
gar 100,000 Mann prahlt, die mau angeblich in's Feld schicken kauu, so ungerne
möchte man doch selbst der 76,000 und erste sein, der dabei mit aufzöge, und
nicht etwa aus purer Bequemlichkeit und materiellen Rücksichten, sondern anch
weil man in letzter Instanz die ganze Militärwirlhschaft von oben bis unter haßt
und verachtet. Nur wenn der Particularismus der verschiedene« Landschaften
und Individuen vou außen her gereizt wird, dann ballt mau die Fäuste und
droht mit dem Heere. —

Die Güte und Brauchbarkeit der bairischen Truppen ist, so weit sie über¬
haupt vorhanden ist, wesentlich abhängig von ihrer Heimath. In einer größeren
und von echt militärischem Geiste durchdrungenen Armee, z. B. in der französischen,
preußischen, englischen, im gewissen Sinne auch in der östreichischen, werden diese
localen Verschiedenheiten bekanntlich sehr wohl in Rechnung gebracht, doch ver¬
schwinden sie schließlich vor dem Gesammtbewußtseiu des Heeres, vor dem streng
durchgeführten System der Ausbildung und dem Corpsgeiste der gesammten Be¬
fehlenden. Hier dagegen spielen sie eine große Rolle. Im Allgemeinen gilt der
echte Altbaier für den besten Soldaten aller Waffengattungen. Der Grund liegt
weniger in seiner physischen Beschaffenheit, wie man in Baiern selbst anzu¬
nehmen pflegt, als weil in deu gesegneten Gauen vou Freising, Passau, Diugol-
siug die Seele des Volkes gebundener ist, als in irgend einem andern Theile von
Deutschland (Oestreich natürlich ausgenommen, wie ich überhaupt immer bei
„Deutschland" dieses ausgenommen denke). Diese aus rein mittelalterlich barba¬
rischen Zuständen herausgerissenen Leute beißen zuerst am heftigsten wider die
Kette, indeß da sie das dunkle Bewußtsein haben, daß sie einmal für eine Kette
geboren sind, so gewöhnt sich auch bald ihr ganzes Wesen vou innen heraus
darau, sie kommen über die bloße äußerliche Zucht und Disciplin zu einer Art
von Andacht und Hingebung gegen ihren neuen Berus, die in andern Armeen
durch einen ganz andern geistigen Proceß geboren wird. Dabei fehlt es natür¬
lich nicht an gelegentlichen Ausbrüchen des alten tollen Naturells, das in seinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/381>, abgerufen am 22.07.2024.