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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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' Die schlechtesten Soldaten stellt die Rheinpfalz. Sie sind aller und jeder
kriegerischen Eigenschaften baar, und es fragt sich sehr, ob sie in dem besten
Heerwesen der Welt je zur Brauchbarkeit herangebildet werden könnten. An einer
gewissen Keckheit fehlt es ihnen nicht, es ist aber lauter Schöpplesbegeisterung,
die nicht auf die nächste Minute vorhält. An Disciplin sind sie schwerer zu ge-
wöhnen als alle andern, weil das ganze Leben drüben eine grenzenlose Nonchalence
angenommen hat. Der Fremde fühlt sich, wenn er nicht über den Verkehr der
Wirthshäuser und Wein- und Biergärten hinauskommt, allerdings von dieser
ungebundenen Gemüthlichkeit bestens angesprochen, aber wehe ihm, wenn der
Ernst des Lebens ihn mit den Brüdern und Vettern Herrn Wühlhubers zusammen¬
führt! Ein Staat, der ebeu uur eruste Dinge von den Leuten verlangt, mit
denen er in Berührung kommt, ist vollends übel daran, besonders dann, wenn
er seiue rigoroseste Seite herauskehren muß, wie das beim Militärwesen der Fall ist.

Der bairische Officier ist im Durchschnitt ein Mann von anständigeren
und bescheideneren äußern Auftreten, als mancher seiner nordischen Kameraden.
Der exclustve Corpsgeist ist nur in sehr beschränktem Maße vorhanden/ noch
weniger verbindet sich damit die Exklusivität eiues seit vielen Generationen uuter
deu Lieutenantsepauletten ergrauten Junkerthums. Im Ganzen ist der sonst sehr
zahlreiche bairische Adel unverhältnißmäßig schwach in der Armee vertreten. Nur
der altbairische pflegt die jüngern Söhne, für die die Pfründen sehr spärlich ge-
worden sind, in den Münchner Regimentern, auch wohl bei einigen Corps der
Cavallerie versorgen zu lassen. Der Adel der andern Landestheile lebt entweder
außer aller unmittelbaren Beziehung zu Staat und Heer oder er schlägt lieber
eine juristische oder sonst wissenschaftliche Carriöre ein. Dies und die ganze
Stimmung des süddeutschen geselligen Lebens gibt den bairischen Officieren jenen
mehr bürgerlichen Anstrich, der schon manchen norddeutschen Culturmüden zum
warmen Lobredner des bairischen Militärwesens gemacht hat. In neuerer Zeit
beginnt sich indessen auch hier ein ganz exclusiver Lieuteuantston zu entwickeln,
der hauptsächlich vou deu massenweis in den letzten Jahren hereingeworfenen
jüngern und jüngsten Officieren ausgeht. Als 1848 der Bestand der Armee etwa
um ein Drittel erhöht und zugleich durch eine umfassende Pensionirung sehr viele
ältere Officiere entfernt wurden, sah man sich genöthigt, zu deu ersten besten selbst
nach bairischen Maße nnr halbwegs qualisicirten Leuten Zuflucht zu nehmen, die
jetzt ihre etwas unmilitärische Vergangenheit durch desto größern Corpsgeist zu
sühnen bestrebt sind. Damals vertauschten nicht nnr viele durch die Revolution
brodlos gewordene Künstler Meißel und Pinsel mit den Epauletten, sondern auch
Candidaten, Studenten aller Facultäten und Landsmannschaften, nicht weniger
was sich als letzte Ausläufer an die gebildeten Stände anschließt, Handlungs-
diener, Chirurgen und wirkliche Barbiere fanden Zugang zu den freilich niemals
sehr prüde abgeschlossenen Reihen des bairischen Officiercorps.


' Die schlechtesten Soldaten stellt die Rheinpfalz. Sie sind aller und jeder
kriegerischen Eigenschaften baar, und es fragt sich sehr, ob sie in dem besten
Heerwesen der Welt je zur Brauchbarkeit herangebildet werden könnten. An einer
gewissen Keckheit fehlt es ihnen nicht, es ist aber lauter Schöpplesbegeisterung,
die nicht auf die nächste Minute vorhält. An Disciplin sind sie schwerer zu ge-
wöhnen als alle andern, weil das ganze Leben drüben eine grenzenlose Nonchalence
angenommen hat. Der Fremde fühlt sich, wenn er nicht über den Verkehr der
Wirthshäuser und Wein- und Biergärten hinauskommt, allerdings von dieser
ungebundenen Gemüthlichkeit bestens angesprochen, aber wehe ihm, wenn der
Ernst des Lebens ihn mit den Brüdern und Vettern Herrn Wühlhubers zusammen¬
führt! Ein Staat, der ebeu uur eruste Dinge von den Leuten verlangt, mit
denen er in Berührung kommt, ist vollends übel daran, besonders dann, wenn
er seiue rigoroseste Seite herauskehren muß, wie das beim Militärwesen der Fall ist.

Der bairische Officier ist im Durchschnitt ein Mann von anständigeren
und bescheideneren äußern Auftreten, als mancher seiner nordischen Kameraden.
Der exclustve Corpsgeist ist nur in sehr beschränktem Maße vorhanden/ noch
weniger verbindet sich damit die Exklusivität eiues seit vielen Generationen uuter
deu Lieutenantsepauletten ergrauten Junkerthums. Im Ganzen ist der sonst sehr
zahlreiche bairische Adel unverhältnißmäßig schwach in der Armee vertreten. Nur
der altbairische pflegt die jüngern Söhne, für die die Pfründen sehr spärlich ge-
worden sind, in den Münchner Regimentern, auch wohl bei einigen Corps der
Cavallerie versorgen zu lassen. Der Adel der andern Landestheile lebt entweder
außer aller unmittelbaren Beziehung zu Staat und Heer oder er schlägt lieber
eine juristische oder sonst wissenschaftliche Carriöre ein. Dies und die ganze
Stimmung des süddeutschen geselligen Lebens gibt den bairischen Officieren jenen
mehr bürgerlichen Anstrich, der schon manchen norddeutschen Culturmüden zum
warmen Lobredner des bairischen Militärwesens gemacht hat. In neuerer Zeit
beginnt sich indessen auch hier ein ganz exclusiver Lieuteuantston zu entwickeln,
der hauptsächlich vou deu massenweis in den letzten Jahren hereingeworfenen
jüngern und jüngsten Officieren ausgeht. Als 1848 der Bestand der Armee etwa
um ein Drittel erhöht und zugleich durch eine umfassende Pensionirung sehr viele
ältere Officiere entfernt wurden, sah man sich genöthigt, zu deu ersten besten selbst
nach bairischen Maße nnr halbwegs qualisicirten Leuten Zuflucht zu nehmen, die
jetzt ihre etwas unmilitärische Vergangenheit durch desto größern Corpsgeist zu
sühnen bestrebt sind. Damals vertauschten nicht nnr viele durch die Revolution
brodlos gewordene Künstler Meißel und Pinsel mit den Epauletten, sondern auch
Candidaten, Studenten aller Facultäten und Landsmannschaften, nicht weniger
was sich als letzte Ausläufer an die gebildeten Stände anschließt, Handlungs-
diener, Chirurgen und wirkliche Barbiere fanden Zugang zu den freilich niemals
sehr prüde abgeschlossenen Reihen des bairischen Officiercorps.


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[0383] ' Die schlechtesten Soldaten stellt die Rheinpfalz. Sie sind aller und jeder kriegerischen Eigenschaften baar, und es fragt sich sehr, ob sie in dem besten Heerwesen der Welt je zur Brauchbarkeit herangebildet werden könnten. An einer gewissen Keckheit fehlt es ihnen nicht, es ist aber lauter Schöpplesbegeisterung, die nicht auf die nächste Minute vorhält. An Disciplin sind sie schwerer zu ge- wöhnen als alle andern, weil das ganze Leben drüben eine grenzenlose Nonchalence angenommen hat. Der Fremde fühlt sich, wenn er nicht über den Verkehr der Wirthshäuser und Wein- und Biergärten hinauskommt, allerdings von dieser ungebundenen Gemüthlichkeit bestens angesprochen, aber wehe ihm, wenn der Ernst des Lebens ihn mit den Brüdern und Vettern Herrn Wühlhubers zusammen¬ führt! Ein Staat, der ebeu uur eruste Dinge von den Leuten verlangt, mit denen er in Berührung kommt, ist vollends übel daran, besonders dann, wenn er seiue rigoroseste Seite herauskehren muß, wie das beim Militärwesen der Fall ist. Der bairische Officier ist im Durchschnitt ein Mann von anständigeren und bescheideneren äußern Auftreten, als mancher seiner nordischen Kameraden. Der exclustve Corpsgeist ist nur in sehr beschränktem Maße vorhanden/ noch weniger verbindet sich damit die Exklusivität eiues seit vielen Generationen uuter deu Lieutenantsepauletten ergrauten Junkerthums. Im Ganzen ist der sonst sehr zahlreiche bairische Adel unverhältnißmäßig schwach in der Armee vertreten. Nur der altbairische pflegt die jüngern Söhne, für die die Pfründen sehr spärlich ge- worden sind, in den Münchner Regimentern, auch wohl bei einigen Corps der Cavallerie versorgen zu lassen. Der Adel der andern Landestheile lebt entweder außer aller unmittelbaren Beziehung zu Staat und Heer oder er schlägt lieber eine juristische oder sonst wissenschaftliche Carriöre ein. Dies und die ganze Stimmung des süddeutschen geselligen Lebens gibt den bairischen Officieren jenen mehr bürgerlichen Anstrich, der schon manchen norddeutschen Culturmüden zum warmen Lobredner des bairischen Militärwesens gemacht hat. In neuerer Zeit beginnt sich indessen auch hier ein ganz exclusiver Lieuteuantston zu entwickeln, der hauptsächlich vou deu massenweis in den letzten Jahren hereingeworfenen jüngern und jüngsten Officieren ausgeht. Als 1848 der Bestand der Armee etwa um ein Drittel erhöht und zugleich durch eine umfassende Pensionirung sehr viele ältere Officiere entfernt wurden, sah man sich genöthigt, zu deu ersten besten selbst nach bairischen Maße nnr halbwegs qualisicirten Leuten Zuflucht zu nehmen, die jetzt ihre etwas unmilitärische Vergangenheit durch desto größern Corpsgeist zu sühnen bestrebt sind. Damals vertauschten nicht nnr viele durch die Revolution brodlos gewordene Künstler Meißel und Pinsel mit den Epauletten, sondern auch Candidaten, Studenten aller Facultäten und Landsmannschaften, nicht weniger was sich als letzte Ausläufer an die gebildeten Stände anschließt, Handlungs- diener, Chirurgen und wirkliche Barbiere fanden Zugang zu den freilich niemals sehr prüde abgeschlossenen Reihen des bairischen Officiercorps.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/383>, abgerufen am 22.07.2024.