Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

großen Lärm darüber auf, wenn dieses Nationalgefühl sich wirklich zu regen be¬
ginnt, wenn die Deutschen Franzosenfresser werden. Wie es grade seiner Lanne
bequem ist, oder wie sich eine Pointe daraus drehen läßt. Saphir, freilich
mit ungleich weniger Talent, hat genan dieselbe Manier.

Um diese Manier genauer zu charakterisiren, darf man sich nicht auf seine
politische Lyrik beschränken. -- Der eine Band seiner gesammelten Werke ent¬
hält: "Fragmente und Aphorismen". No. 1. heißt: "Minister fallen wie Butter¬
brode: gewöhnlich auf die gute Seite." No. 11: "Eine Geliebte ist Milch, eine
Braut Butter, eine Frau Käse." -- Es läßt sich dagegen nichts einwenden. --
Am berühmtesten ist No. 18. "Unter Mäßigung wird verstanden: die Einen wollen
den Tag, die Andern wollen Nacht, der Minister aber will Mondschein, um
beide Parteien zu befriedigen." Das ist schlagend, handgreiflich, leicht zu über¬
sehen, man kann es sich ausmalen, da ist kein Verstand so dumm, der das nicht
begriffe. Darum ist es tausend und aber tausendmal wiederholt, und damit ist
jeder verurtheilt, der nicht mit Robespierre oder mit dem Abb^ Maury geht, der
nicht alle Aristokraten oder alle Demokraten köpfe. Die völlige Gedankenlosigkeit
jenes Entweder-Oder kümmert die heitern Spaziergänger nicht, die nnr darum
Politik treiben, weil sie sich ans das neue Carricaturblatt in der Abendnummer
ihres Lieblingsjournals freuen. Das Entweder-Oder ist das liebste Stichwort
jenes sogenannten gesunden Menschenverstandes, als dessen Hauptvertreter sich
Börne gegen den Mysticismus der Restaurationszeit gerirte. Der gesunde Men¬
schenverstand glaubt, Alles widerlegt zu haben , was ihm Langeweile macht. Ein
ernsthaftes Studium, oder eine Tag für Tag fortgesetzte Arbeit ist ihm lang¬
weilig, und er glaubt durch diese Erklärung mit dem constitutionellen Staat nicht
minder fertig zu sein, als mit der Gelehrsamkeit. Aber dieser gesunde Menschen¬
verstand reicht nur sür den Kladderadatsch aus; auf das wirkliche Leben ange¬
wendet, geht er an seinen eignen Widersprüchen unter, die er darum nicht sieht,
weil er sich lediglich in Abstractionen bewegt, und Abstractionen kennen keinen
Widerspruch. Er spricht uur so lauge geläufig und mit Witz, als er in der
Opposition steht; am Ministertisch geht sein Witz aus, er hat von der sittlichen
Entrüstung gelebt; wenn er produciren soll, weiß er sich keinen Rath; denn in
Abstractionen zu gestalten, zu schaffen, ist eine Unmöglichkeit.

Daß dieses eintönige, polternde Pathos des gesunden Menschenverstandes
das deutsche Volk nicht ermüdete, lag an zwei Umständen. Einmal hatte es den
Anstrich eines vollen Gemüths, dann wurde es durch jene witzigen Paradoxen
gewürzt, die den Reiz eines artigen, aber nicht schweren Räthsels haben. Das
gilt ebenso von seinen Kritiken, Reiseberichten, Novelletten, die übrigens einen
wahrhaft erstaunlichen Mangel an Gestaltungskraft verrathen. In jeder einfachen
Theaterrecension ist die Totalität seiner Seele, der gesammte Weltschmerz über
Dentschlands Verwahrlosung, die trauernden Juden und die Hofräthe, und wo


großen Lärm darüber auf, wenn dieses Nationalgefühl sich wirklich zu regen be¬
ginnt, wenn die Deutschen Franzosenfresser werden. Wie es grade seiner Lanne
bequem ist, oder wie sich eine Pointe daraus drehen läßt. Saphir, freilich
mit ungleich weniger Talent, hat genan dieselbe Manier.

Um diese Manier genauer zu charakterisiren, darf man sich nicht auf seine
politische Lyrik beschränken. — Der eine Band seiner gesammelten Werke ent¬
hält: „Fragmente und Aphorismen". No. 1. heißt: „Minister fallen wie Butter¬
brode: gewöhnlich auf die gute Seite." No. 11: „Eine Geliebte ist Milch, eine
Braut Butter, eine Frau Käse." — Es läßt sich dagegen nichts einwenden. —
Am berühmtesten ist No. 18. „Unter Mäßigung wird verstanden: die Einen wollen
den Tag, die Andern wollen Nacht, der Minister aber will Mondschein, um
beide Parteien zu befriedigen." Das ist schlagend, handgreiflich, leicht zu über¬
sehen, man kann es sich ausmalen, da ist kein Verstand so dumm, der das nicht
begriffe. Darum ist es tausend und aber tausendmal wiederholt, und damit ist
jeder verurtheilt, der nicht mit Robespierre oder mit dem Abb^ Maury geht, der
nicht alle Aristokraten oder alle Demokraten köpfe. Die völlige Gedankenlosigkeit
jenes Entweder-Oder kümmert die heitern Spaziergänger nicht, die nnr darum
Politik treiben, weil sie sich ans das neue Carricaturblatt in der Abendnummer
ihres Lieblingsjournals freuen. Das Entweder-Oder ist das liebste Stichwort
jenes sogenannten gesunden Menschenverstandes, als dessen Hauptvertreter sich
Börne gegen den Mysticismus der Restaurationszeit gerirte. Der gesunde Men¬
schenverstand glaubt, Alles widerlegt zu haben , was ihm Langeweile macht. Ein
ernsthaftes Studium, oder eine Tag für Tag fortgesetzte Arbeit ist ihm lang¬
weilig, und er glaubt durch diese Erklärung mit dem constitutionellen Staat nicht
minder fertig zu sein, als mit der Gelehrsamkeit. Aber dieser gesunde Menschen¬
verstand reicht nur sür den Kladderadatsch aus; auf das wirkliche Leben ange¬
wendet, geht er an seinen eignen Widersprüchen unter, die er darum nicht sieht,
weil er sich lediglich in Abstractionen bewegt, und Abstractionen kennen keinen
Widerspruch. Er spricht uur so lauge geläufig und mit Witz, als er in der
Opposition steht; am Ministertisch geht sein Witz aus, er hat von der sittlichen
Entrüstung gelebt; wenn er produciren soll, weiß er sich keinen Rath; denn in
Abstractionen zu gestalten, zu schaffen, ist eine Unmöglichkeit.

Daß dieses eintönige, polternde Pathos des gesunden Menschenverstandes
das deutsche Volk nicht ermüdete, lag an zwei Umständen. Einmal hatte es den
Anstrich eines vollen Gemüths, dann wurde es durch jene witzigen Paradoxen
gewürzt, die den Reiz eines artigen, aber nicht schweren Räthsels haben. Das
gilt ebenso von seinen Kritiken, Reiseberichten, Novelletten, die übrigens einen
wahrhaft erstaunlichen Mangel an Gestaltungskraft verrathen. In jeder einfachen
Theaterrecension ist die Totalität seiner Seele, der gesammte Weltschmerz über
Dentschlands Verwahrlosung, die trauernden Juden und die Hofräthe, und wo


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0335" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92624"/>
          <p xml:id="ID_1059" prev="#ID_1058"> großen Lärm darüber auf, wenn dieses Nationalgefühl sich wirklich zu regen be¬<lb/>
ginnt, wenn die Deutschen Franzosenfresser werden. Wie es grade seiner Lanne<lb/>
bequem ist, oder wie sich eine Pointe daraus drehen läßt. Saphir, freilich<lb/>
mit ungleich weniger Talent, hat genan dieselbe Manier.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1060"> Um diese Manier genauer zu charakterisiren, darf man sich nicht auf seine<lb/>
politische Lyrik beschränken. &#x2014; Der eine Band seiner gesammelten Werke ent¬<lb/>
hält: &#x201E;Fragmente und Aphorismen". No. 1. heißt: &#x201E;Minister fallen wie Butter¬<lb/>
brode: gewöhnlich auf die gute Seite." No. 11: &#x201E;Eine Geliebte ist Milch, eine<lb/>
Braut Butter, eine Frau Käse." &#x2014; Es läßt sich dagegen nichts einwenden. &#x2014;<lb/>
Am berühmtesten ist No. 18. &#x201E;Unter Mäßigung wird verstanden: die Einen wollen<lb/>
den Tag, die Andern wollen Nacht, der Minister aber will Mondschein, um<lb/>
beide Parteien zu befriedigen." Das ist schlagend, handgreiflich, leicht zu über¬<lb/>
sehen, man kann es sich ausmalen, da ist kein Verstand so dumm, der das nicht<lb/>
begriffe. Darum ist es tausend und aber tausendmal wiederholt, und damit ist<lb/>
jeder verurtheilt, der nicht mit Robespierre oder mit dem Abb^ Maury geht, der<lb/>
nicht alle Aristokraten oder alle Demokraten köpfe. Die völlige Gedankenlosigkeit<lb/>
jenes Entweder-Oder kümmert die heitern Spaziergänger nicht, die nnr darum<lb/>
Politik treiben, weil sie sich ans das neue Carricaturblatt in der Abendnummer<lb/>
ihres Lieblingsjournals freuen. Das Entweder-Oder ist das liebste Stichwort<lb/>
jenes sogenannten gesunden Menschenverstandes, als dessen Hauptvertreter sich<lb/>
Börne gegen den Mysticismus der Restaurationszeit gerirte. Der gesunde Men¬<lb/>
schenverstand glaubt, Alles widerlegt zu haben , was ihm Langeweile macht. Ein<lb/>
ernsthaftes Studium, oder eine Tag für Tag fortgesetzte Arbeit ist ihm lang¬<lb/>
weilig, und er glaubt durch diese Erklärung mit dem constitutionellen Staat nicht<lb/>
minder fertig zu sein, als mit der Gelehrsamkeit. Aber dieser gesunde Menschen¬<lb/>
verstand reicht nur sür den Kladderadatsch aus; auf das wirkliche Leben ange¬<lb/>
wendet, geht er an seinen eignen Widersprüchen unter, die er darum nicht sieht,<lb/>
weil er sich lediglich in Abstractionen bewegt, und Abstractionen kennen keinen<lb/>
Widerspruch. Er spricht uur so lauge geläufig und mit Witz, als er in der<lb/>
Opposition steht; am Ministertisch geht sein Witz aus, er hat von der sittlichen<lb/>
Entrüstung gelebt; wenn er produciren soll, weiß er sich keinen Rath; denn in<lb/>
Abstractionen zu gestalten, zu schaffen, ist eine Unmöglichkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1061" next="#ID_1062"> Daß dieses eintönige, polternde Pathos des gesunden Menschenverstandes<lb/>
das deutsche Volk nicht ermüdete, lag an zwei Umständen. Einmal hatte es den<lb/>
Anstrich eines vollen Gemüths, dann wurde es durch jene witzigen Paradoxen<lb/>
gewürzt, die den Reiz eines artigen, aber nicht schweren Räthsels haben. Das<lb/>
gilt ebenso von seinen Kritiken, Reiseberichten, Novelletten, die übrigens einen<lb/>
wahrhaft erstaunlichen Mangel an Gestaltungskraft verrathen. In jeder einfachen<lb/>
Theaterrecension ist die Totalität seiner Seele, der gesammte Weltschmerz über<lb/>
Dentschlands Verwahrlosung, die trauernden Juden und die Hofräthe, und wo</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0335] großen Lärm darüber auf, wenn dieses Nationalgefühl sich wirklich zu regen be¬ ginnt, wenn die Deutschen Franzosenfresser werden. Wie es grade seiner Lanne bequem ist, oder wie sich eine Pointe daraus drehen läßt. Saphir, freilich mit ungleich weniger Talent, hat genan dieselbe Manier. Um diese Manier genauer zu charakterisiren, darf man sich nicht auf seine politische Lyrik beschränken. — Der eine Band seiner gesammelten Werke ent¬ hält: „Fragmente und Aphorismen". No. 1. heißt: „Minister fallen wie Butter¬ brode: gewöhnlich auf die gute Seite." No. 11: „Eine Geliebte ist Milch, eine Braut Butter, eine Frau Käse." — Es läßt sich dagegen nichts einwenden. — Am berühmtesten ist No. 18. „Unter Mäßigung wird verstanden: die Einen wollen den Tag, die Andern wollen Nacht, der Minister aber will Mondschein, um beide Parteien zu befriedigen." Das ist schlagend, handgreiflich, leicht zu über¬ sehen, man kann es sich ausmalen, da ist kein Verstand so dumm, der das nicht begriffe. Darum ist es tausend und aber tausendmal wiederholt, und damit ist jeder verurtheilt, der nicht mit Robespierre oder mit dem Abb^ Maury geht, der nicht alle Aristokraten oder alle Demokraten köpfe. Die völlige Gedankenlosigkeit jenes Entweder-Oder kümmert die heitern Spaziergänger nicht, die nnr darum Politik treiben, weil sie sich ans das neue Carricaturblatt in der Abendnummer ihres Lieblingsjournals freuen. Das Entweder-Oder ist das liebste Stichwort jenes sogenannten gesunden Menschenverstandes, als dessen Hauptvertreter sich Börne gegen den Mysticismus der Restaurationszeit gerirte. Der gesunde Men¬ schenverstand glaubt, Alles widerlegt zu haben , was ihm Langeweile macht. Ein ernsthaftes Studium, oder eine Tag für Tag fortgesetzte Arbeit ist ihm lang¬ weilig, und er glaubt durch diese Erklärung mit dem constitutionellen Staat nicht minder fertig zu sein, als mit der Gelehrsamkeit. Aber dieser gesunde Menschen¬ verstand reicht nur sür den Kladderadatsch aus; auf das wirkliche Leben ange¬ wendet, geht er an seinen eignen Widersprüchen unter, die er darum nicht sieht, weil er sich lediglich in Abstractionen bewegt, und Abstractionen kennen keinen Widerspruch. Er spricht uur so lauge geläufig und mit Witz, als er in der Opposition steht; am Ministertisch geht sein Witz aus, er hat von der sittlichen Entrüstung gelebt; wenn er produciren soll, weiß er sich keinen Rath; denn in Abstractionen zu gestalten, zu schaffen, ist eine Unmöglichkeit. Daß dieses eintönige, polternde Pathos des gesunden Menschenverstandes das deutsche Volk nicht ermüdete, lag an zwei Umständen. Einmal hatte es den Anstrich eines vollen Gemüths, dann wurde es durch jene witzigen Paradoxen gewürzt, die den Reiz eines artigen, aber nicht schweren Räthsels haben. Das gilt ebenso von seinen Kritiken, Reiseberichten, Novelletten, die übrigens einen wahrhaft erstaunlichen Mangel an Gestaltungskraft verrathen. In jeder einfachen Theaterrecension ist die Totalität seiner Seele, der gesammte Weltschmerz über Dentschlands Verwahrlosung, die trauernden Juden und die Hofräthe, und wo

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/335
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/335>, abgerufen am 22.07.2024.