Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

haben ihren Charivari, die Engländer ihren Punch, sie amusiren sich daran,
ohne daß es ihnen einfiele, dort die Quelle politischer Weisheit zu suchen.
Bei uns gibt es aber ganze Kreise, denen der Kladderadatsch ein Evangelium
ist, wie früher Held's Locomotive. Beides ist nichts als breitgetretencr Börne.
-- Und das hat nicht allein den Nachtheil, daß man in allen politischen Dingen
ein schiefes Urtheil erhält, ein Urtheil, das lediglich auf epigrammatische Knall¬
effecte begründet ist, sondern den viel schlimmeren, daß man mit diesem Urtheil
eine That gethan zu haben glaubt, und sich vollständig damit befriedigt. Wenn
der Berliner Demokrat ans die Gothaer Würste oder auf deu Pater Nadowitz einen
Witz gemacht hat, so hat er seine Seele gerettet, und freut sich seines Lebens
wie nach wohlgelungenen Tagewerk"

Ueber dem Haschen nach Contrasten, die er zu irgend einem komischen oder
sentimentalen Effect combinirt, verliert der Witz den Sinn und das Verständniß
für die Thatsachen; mit ein Paar Formeln, deren man mit leichter Mühe in
ein Paar Tagen Herr werden kann, ist er über alles Detail der Staatswissen-
schaft Hinalls. Alle praktische Politik ist ihm zuwider, denu er bewegt sich im
Unbedingten, im Entweder-Oder, und für das Unbedingte hat das reale Staats¬
leben keinen Raum. Er speculirt lediglich auf den Knalleffect der Revolution, ein
Zauberwort, welches die Formel enthält, daS Unmögliche wirklich zu machen, wie der
Himmel des mit der Erde unzufriedenen Christen; der glorreiche Vorbehalt, mit
welchem man sein Gewissen salvirt, wenn man hienieden fünf gerade sein läßt. Diese
permanente sittliche Entrüstung, dieser fixirte Hohn gegell die allgemeine Schlech¬
tigkeit der Welt, dieser faule Pessimismus verdreht nicht nur den Verstand, er
corrumpirt auch die Gesinnung. Denn da täglich ein Effect Herallsgetrieben
werden muß, wenn man heikler Pflicht genügen will, so wechseln die Gesichts¬
punkte mit reißender Schnelligkeit, jedes Heute straft das Gestern Lügen.

Es ist wunderbar, daß Börne's Verehrer nicht dnrch die handgreiflichen Fehl¬
griffe außer Fassung gesetzt sind, die er jedesmal macht, wo er sich ans einen be¬
stimmten Fall einläßt, was freilich selten geschieht, denn im Ganzen besteht seine
Politik in Variationen ans das Thema: Hofrath, Wohlgeboren, Allerhöchstdie-
selben u. s. w. Das stimmt alles sehr gut, sobald er aber ans Odilon Barrot,
oder die constitutionelle Verfassung, oder die Einrichtung der Gerichte u. s. w.
zu sprechen kommt, wird jedesmal ein Unsinn daraus, denn von allen diesen Dillgen
hat er soviel Kenntniß, wie ein neugebornes^Kind. Der souveräne Witz hat
nicht nöthig, die Gegenstände zu kennen, mit denen er spielen will, im Gegen¬
theil würde er dadurch all Grazie verlieren. Aber am tollsten macht er es mit
den Widersprüchen in seinen Wünschen und Idealen. Heute poltert er darüber,
daß die Deutschen nicht ein Nationalgefühl haben, wie andere Völker, daß man
sie ungestraft beleidigen kann, während die Franzosen sogar für die Ehre ihres
Klima's auf die Mensur zu gehen geneigt sind, morgen schlägt er einen ebenso


haben ihren Charivari, die Engländer ihren Punch, sie amusiren sich daran,
ohne daß es ihnen einfiele, dort die Quelle politischer Weisheit zu suchen.
Bei uns gibt es aber ganze Kreise, denen der Kladderadatsch ein Evangelium
ist, wie früher Held's Locomotive. Beides ist nichts als breitgetretencr Börne.
— Und das hat nicht allein den Nachtheil, daß man in allen politischen Dingen
ein schiefes Urtheil erhält, ein Urtheil, das lediglich auf epigrammatische Knall¬
effecte begründet ist, sondern den viel schlimmeren, daß man mit diesem Urtheil
eine That gethan zu haben glaubt, und sich vollständig damit befriedigt. Wenn
der Berliner Demokrat ans die Gothaer Würste oder auf deu Pater Nadowitz einen
Witz gemacht hat, so hat er seine Seele gerettet, und freut sich seines Lebens
wie nach wohlgelungenen Tagewerk»

Ueber dem Haschen nach Contrasten, die er zu irgend einem komischen oder
sentimentalen Effect combinirt, verliert der Witz den Sinn und das Verständniß
für die Thatsachen; mit ein Paar Formeln, deren man mit leichter Mühe in
ein Paar Tagen Herr werden kann, ist er über alles Detail der Staatswissen-
schaft Hinalls. Alle praktische Politik ist ihm zuwider, denu er bewegt sich im
Unbedingten, im Entweder-Oder, und für das Unbedingte hat das reale Staats¬
leben keinen Raum. Er speculirt lediglich auf den Knalleffect der Revolution, ein
Zauberwort, welches die Formel enthält, daS Unmögliche wirklich zu machen, wie der
Himmel des mit der Erde unzufriedenen Christen; der glorreiche Vorbehalt, mit
welchem man sein Gewissen salvirt, wenn man hienieden fünf gerade sein läßt. Diese
permanente sittliche Entrüstung, dieser fixirte Hohn gegell die allgemeine Schlech¬
tigkeit der Welt, dieser faule Pessimismus verdreht nicht nur den Verstand, er
corrumpirt auch die Gesinnung. Denn da täglich ein Effect Herallsgetrieben
werden muß, wenn man heikler Pflicht genügen will, so wechseln die Gesichts¬
punkte mit reißender Schnelligkeit, jedes Heute straft das Gestern Lügen.

Es ist wunderbar, daß Börne's Verehrer nicht dnrch die handgreiflichen Fehl¬
griffe außer Fassung gesetzt sind, die er jedesmal macht, wo er sich ans einen be¬
stimmten Fall einläßt, was freilich selten geschieht, denn im Ganzen besteht seine
Politik in Variationen ans das Thema: Hofrath, Wohlgeboren, Allerhöchstdie-
selben u. s. w. Das stimmt alles sehr gut, sobald er aber ans Odilon Barrot,
oder die constitutionelle Verfassung, oder die Einrichtung der Gerichte u. s. w.
zu sprechen kommt, wird jedesmal ein Unsinn daraus, denn von allen diesen Dillgen
hat er soviel Kenntniß, wie ein neugebornes^Kind. Der souveräne Witz hat
nicht nöthig, die Gegenstände zu kennen, mit denen er spielen will, im Gegen¬
theil würde er dadurch all Grazie verlieren. Aber am tollsten macht er es mit
den Widersprüchen in seinen Wünschen und Idealen. Heute poltert er darüber,
daß die Deutschen nicht ein Nationalgefühl haben, wie andere Völker, daß man
sie ungestraft beleidigen kann, während die Franzosen sogar für die Ehre ihres
Klima's auf die Mensur zu gehen geneigt sind, morgen schlägt er einen ebenso


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92623"/>
          <p xml:id="ID_1056" prev="#ID_1055"> haben ihren Charivari, die Engländer ihren Punch, sie amusiren sich daran,<lb/>
ohne daß es ihnen einfiele, dort die Quelle politischer Weisheit zu suchen.<lb/>
Bei uns gibt es aber ganze Kreise, denen der Kladderadatsch ein Evangelium<lb/>
ist, wie früher Held's Locomotive. Beides ist nichts als breitgetretencr Börne.<lb/>
&#x2014; Und das hat nicht allein den Nachtheil, daß man in allen politischen Dingen<lb/>
ein schiefes Urtheil erhält, ein Urtheil, das lediglich auf epigrammatische Knall¬<lb/>
effecte begründet ist, sondern den viel schlimmeren, daß man mit diesem Urtheil<lb/>
eine That gethan zu haben glaubt, und sich vollständig damit befriedigt. Wenn<lb/>
der Berliner Demokrat ans die Gothaer Würste oder auf deu Pater Nadowitz einen<lb/>
Witz gemacht hat, so hat er seine Seele gerettet, und freut sich seines Lebens<lb/>
wie nach wohlgelungenen Tagewerk»</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1057"> Ueber dem Haschen nach Contrasten, die er zu irgend einem komischen oder<lb/>
sentimentalen Effect combinirt, verliert der Witz den Sinn und das Verständniß<lb/>
für die Thatsachen; mit ein Paar Formeln, deren man mit leichter Mühe in<lb/>
ein Paar Tagen Herr werden kann, ist er über alles Detail der Staatswissen-<lb/>
schaft Hinalls. Alle praktische Politik ist ihm zuwider, denu er bewegt sich im<lb/>
Unbedingten, im Entweder-Oder, und für das Unbedingte hat das reale Staats¬<lb/>
leben keinen Raum. Er speculirt lediglich auf den Knalleffect der Revolution, ein<lb/>
Zauberwort, welches die Formel enthält, daS Unmögliche wirklich zu machen, wie der<lb/>
Himmel des mit der Erde unzufriedenen Christen; der glorreiche Vorbehalt, mit<lb/>
welchem man sein Gewissen salvirt, wenn man hienieden fünf gerade sein läßt. Diese<lb/>
permanente sittliche Entrüstung, dieser fixirte Hohn gegell die allgemeine Schlech¬<lb/>
tigkeit der Welt, dieser faule Pessimismus verdreht nicht nur den Verstand, er<lb/>
corrumpirt auch die Gesinnung. Denn da täglich ein Effect Herallsgetrieben<lb/>
werden muß, wenn man heikler Pflicht genügen will, so wechseln die Gesichts¬<lb/>
punkte mit reißender Schnelligkeit, jedes Heute straft das Gestern Lügen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1058" next="#ID_1059"> Es ist wunderbar, daß Börne's Verehrer nicht dnrch die handgreiflichen Fehl¬<lb/>
griffe außer Fassung gesetzt sind, die er jedesmal macht, wo er sich ans einen be¬<lb/>
stimmten Fall einläßt, was freilich selten geschieht, denn im Ganzen besteht seine<lb/>
Politik in Variationen ans das Thema: Hofrath, Wohlgeboren, Allerhöchstdie-<lb/>
selben u. s. w. Das stimmt alles sehr gut, sobald er aber ans Odilon Barrot,<lb/>
oder die constitutionelle Verfassung, oder die Einrichtung der Gerichte u. s. w.<lb/>
zu sprechen kommt, wird jedesmal ein Unsinn daraus, denn von allen diesen Dillgen<lb/>
hat er soviel Kenntniß, wie ein neugebornes^Kind. Der souveräne Witz hat<lb/>
nicht nöthig, die Gegenstände zu kennen, mit denen er spielen will, im Gegen¬<lb/>
theil würde er dadurch all Grazie verlieren. Aber am tollsten macht er es mit<lb/>
den Widersprüchen in seinen Wünschen und Idealen. Heute poltert er darüber,<lb/>
daß die Deutschen nicht ein Nationalgefühl haben, wie andere Völker, daß man<lb/>
sie ungestraft beleidigen kann, während die Franzosen sogar für die Ehre ihres<lb/>
Klima's auf die Mensur zu gehen geneigt sind, morgen schlägt er einen ebenso</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0334] haben ihren Charivari, die Engländer ihren Punch, sie amusiren sich daran, ohne daß es ihnen einfiele, dort die Quelle politischer Weisheit zu suchen. Bei uns gibt es aber ganze Kreise, denen der Kladderadatsch ein Evangelium ist, wie früher Held's Locomotive. Beides ist nichts als breitgetretencr Börne. — Und das hat nicht allein den Nachtheil, daß man in allen politischen Dingen ein schiefes Urtheil erhält, ein Urtheil, das lediglich auf epigrammatische Knall¬ effecte begründet ist, sondern den viel schlimmeren, daß man mit diesem Urtheil eine That gethan zu haben glaubt, und sich vollständig damit befriedigt. Wenn der Berliner Demokrat ans die Gothaer Würste oder auf deu Pater Nadowitz einen Witz gemacht hat, so hat er seine Seele gerettet, und freut sich seines Lebens wie nach wohlgelungenen Tagewerk» Ueber dem Haschen nach Contrasten, die er zu irgend einem komischen oder sentimentalen Effect combinirt, verliert der Witz den Sinn und das Verständniß für die Thatsachen; mit ein Paar Formeln, deren man mit leichter Mühe in ein Paar Tagen Herr werden kann, ist er über alles Detail der Staatswissen- schaft Hinalls. Alle praktische Politik ist ihm zuwider, denu er bewegt sich im Unbedingten, im Entweder-Oder, und für das Unbedingte hat das reale Staats¬ leben keinen Raum. Er speculirt lediglich auf den Knalleffect der Revolution, ein Zauberwort, welches die Formel enthält, daS Unmögliche wirklich zu machen, wie der Himmel des mit der Erde unzufriedenen Christen; der glorreiche Vorbehalt, mit welchem man sein Gewissen salvirt, wenn man hienieden fünf gerade sein läßt. Diese permanente sittliche Entrüstung, dieser fixirte Hohn gegell die allgemeine Schlech¬ tigkeit der Welt, dieser faule Pessimismus verdreht nicht nur den Verstand, er corrumpirt auch die Gesinnung. Denn da täglich ein Effect Herallsgetrieben werden muß, wenn man heikler Pflicht genügen will, so wechseln die Gesichts¬ punkte mit reißender Schnelligkeit, jedes Heute straft das Gestern Lügen. Es ist wunderbar, daß Börne's Verehrer nicht dnrch die handgreiflichen Fehl¬ griffe außer Fassung gesetzt sind, die er jedesmal macht, wo er sich ans einen be¬ stimmten Fall einläßt, was freilich selten geschieht, denn im Ganzen besteht seine Politik in Variationen ans das Thema: Hofrath, Wohlgeboren, Allerhöchstdie- selben u. s. w. Das stimmt alles sehr gut, sobald er aber ans Odilon Barrot, oder die constitutionelle Verfassung, oder die Einrichtung der Gerichte u. s. w. zu sprechen kommt, wird jedesmal ein Unsinn daraus, denn von allen diesen Dillgen hat er soviel Kenntniß, wie ein neugebornes^Kind. Der souveräne Witz hat nicht nöthig, die Gegenstände zu kennen, mit denen er spielen will, im Gegen¬ theil würde er dadurch all Grazie verlieren. Aber am tollsten macht er es mit den Widersprüchen in seinen Wünschen und Idealen. Heute poltert er darüber, daß die Deutschen nicht ein Nationalgefühl haben, wie andere Völker, daß man sie ungestraft beleidigen kann, während die Franzosen sogar für die Ehre ihres Klima's auf die Mensur zu gehen geneigt sind, morgen schlägt er einen ebenso

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/334
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/334>, abgerufen am 22.07.2024.