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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Halts und Hof vertheidigen wollten, hatte das Innsbrucker Gubernium, wie es
einige Wochen später im Tyroler Boten erklären ließ, an ein großes Aufgebot
von Schützen, die man nicht bewaffnen konnte, gar nicht gedacht, im ersten
Augenblicke der Gefahr seien ihm ja nicht 10V Gewehre zur Verfügung gestan¬
den, nnr der Maugel an Stutzen, uicht an kampflustigen Männern habe das
Schützcuheer nicht ans dem Boden wachsen lassen. Man vergaß dabei offenbar,
daß von der auserlesenen Reserve jener vorerwähnten 10,000, die in Frie¬
denszeiten als gewappnete Schaar auf jeden Wink bereit stand, fast jeder seinen
eigenen Stutzen führte. Allein die prahlerische Phrase, daß man zur Vertheidi¬
gung Tyrols nur Waffen, Geld und Getreide brauche, war viele hundertmal
gedruckt zu lesen, wenn sie auch durch die Thatsache, daß die südlichen Pässe
den feindlichen Einbrüchen bloßgestellt blieben, Lügen gestraft wurde. Die
Landeöschutzdeputation war, wenn man ihre Vorkehrungen mit der drohenden
Gefahr vergleicht, im eigentlichsten Sinne rathlos. Der selbstgefällige Dünkel,
der gleich dem alten Hofkriegsrath hinter dem grünön Tische den großen Zn-
zugsplan entwarf, und uach allen Seiten Decrete sandte, die keinen Hasen
auf die Beine stellten, erinnerte an die "Zeit gepuderter Perücken, darauf
Pfalzgrafen Lorbeeren drücken." Bei der letzten Filiale gab es sogar Leute, die
von der Vertheidigung abriethen, damit die Piemontesen, die unabwendbaren
fürchterlichen Gäste, ihnen nicht die Häuser über deu Köpfen anzündeten. Die
Landeöschntzdeputation aber sandte zwei ihrer Mitglieder uach Wien, und ver¬
harrte heldenmüthig bei der wiederholten Bitte um Waffen, Geld und Getreide.
In der Hauptstadt war mau durch das allgemeine Drängen nach großen nud
durchgreifenden Reformen schou so verwöhnt, daß man über die zarte Rücksicht,
die einem so einfachen Begehren unter den vorwaltenden Umständen zur Folie
diente, uicht wenig staunte, uoch mehr aber vielleicht über die von den Send¬
boten gegebene Versicherung, daß Tyrol betreff seines künftigen Organis¬
mus nichts wünsche, als die Gewähr der oft verbrieften Privilegien, die
Wiedereinsetzung der Stände in die alten Rechte. Die bescheidenen Bittsteller
hielten sich versichert, daß sie mit jeder andern Meinung das Vertrauen der geist-
lichen Gewaltträger ihrer Heimath, deuen im ständischen Rathe wie überall die
erste Stimme zukam, für immer verscherzen würden.

Die Noth des Vaterlandes, der Ruf der Feindesgefahr war mit mancher
Uebertreibung auch zu deu Ohren der in Wien studirenden jungen Tyroler ge¬
drungen, dort fern von der Heimath hatte der Funke der Kriegslust für die
väterliche Erde znerst gezündet. Viele von ihnen hatten mitgewirkt in den Tagen
des März. Freilich wußten sie, was es mit der Freiheit in Tyrol zu bedeuten
habe, dies war aber grade ein zweiter Grund, der sie dahin trieb. Schon in den
erstell Tagen des April hatten sich mehrere tyrolische Jünglinge das Wort gegeben,
ihr Blut und Leben für die Heimath einzusetzen, am -4. fand auf den Mieder


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Halts und Hof vertheidigen wollten, hatte das Innsbrucker Gubernium, wie es
einige Wochen später im Tyroler Boten erklären ließ, an ein großes Aufgebot
von Schützen, die man nicht bewaffnen konnte, gar nicht gedacht, im ersten
Augenblicke der Gefahr seien ihm ja nicht 10V Gewehre zur Verfügung gestan¬
den, nnr der Maugel an Stutzen, uicht an kampflustigen Männern habe das
Schützcuheer nicht ans dem Boden wachsen lassen. Man vergaß dabei offenbar,
daß von der auserlesenen Reserve jener vorerwähnten 10,000, die in Frie¬
denszeiten als gewappnete Schaar auf jeden Wink bereit stand, fast jeder seinen
eigenen Stutzen führte. Allein die prahlerische Phrase, daß man zur Vertheidi¬
gung Tyrols nur Waffen, Geld und Getreide brauche, war viele hundertmal
gedruckt zu lesen, wenn sie auch durch die Thatsache, daß die südlichen Pässe
den feindlichen Einbrüchen bloßgestellt blieben, Lügen gestraft wurde. Die
Landeöschutzdeputation war, wenn man ihre Vorkehrungen mit der drohenden
Gefahr vergleicht, im eigentlichsten Sinne rathlos. Der selbstgefällige Dünkel,
der gleich dem alten Hofkriegsrath hinter dem grünön Tische den großen Zn-
zugsplan entwarf, und uach allen Seiten Decrete sandte, die keinen Hasen
auf die Beine stellten, erinnerte an die „Zeit gepuderter Perücken, darauf
Pfalzgrafen Lorbeeren drücken." Bei der letzten Filiale gab es sogar Leute, die
von der Vertheidigung abriethen, damit die Piemontesen, die unabwendbaren
fürchterlichen Gäste, ihnen nicht die Häuser über deu Köpfen anzündeten. Die
Landeöschntzdeputation aber sandte zwei ihrer Mitglieder uach Wien, und ver¬
harrte heldenmüthig bei der wiederholten Bitte um Waffen, Geld und Getreide.
In der Hauptstadt war mau durch das allgemeine Drängen nach großen nud
durchgreifenden Reformen schou so verwöhnt, daß man über die zarte Rücksicht,
die einem so einfachen Begehren unter den vorwaltenden Umständen zur Folie
diente, uicht wenig staunte, uoch mehr aber vielleicht über die von den Send¬
boten gegebene Versicherung, daß Tyrol betreff seines künftigen Organis¬
mus nichts wünsche, als die Gewähr der oft verbrieften Privilegien, die
Wiedereinsetzung der Stände in die alten Rechte. Die bescheidenen Bittsteller
hielten sich versichert, daß sie mit jeder andern Meinung das Vertrauen der geist-
lichen Gewaltträger ihrer Heimath, deuen im ständischen Rathe wie überall die
erste Stimme zukam, für immer verscherzen würden.

Die Noth des Vaterlandes, der Ruf der Feindesgefahr war mit mancher
Uebertreibung auch zu deu Ohren der in Wien studirenden jungen Tyroler ge¬
drungen, dort fern von der Heimath hatte der Funke der Kriegslust für die
väterliche Erde znerst gezündet. Viele von ihnen hatten mitgewirkt in den Tagen
des März. Freilich wußten sie, was es mit der Freiheit in Tyrol zu bedeuten
habe, dies war aber grade ein zweiter Grund, der sie dahin trieb. Schon in den
erstell Tagen des April hatten sich mehrere tyrolische Jünglinge das Wort gegeben,
ihr Blut und Leben für die Heimath einzusetzen, am -4. fand auf den Mieder


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[0307] Halts und Hof vertheidigen wollten, hatte das Innsbrucker Gubernium, wie es einige Wochen später im Tyroler Boten erklären ließ, an ein großes Aufgebot von Schützen, die man nicht bewaffnen konnte, gar nicht gedacht, im ersten Augenblicke der Gefahr seien ihm ja nicht 10V Gewehre zur Verfügung gestan¬ den, nnr der Maugel an Stutzen, uicht an kampflustigen Männern habe das Schützcuheer nicht ans dem Boden wachsen lassen. Man vergaß dabei offenbar, daß von der auserlesenen Reserve jener vorerwähnten 10,000, die in Frie¬ denszeiten als gewappnete Schaar auf jeden Wink bereit stand, fast jeder seinen eigenen Stutzen führte. Allein die prahlerische Phrase, daß man zur Vertheidi¬ gung Tyrols nur Waffen, Geld und Getreide brauche, war viele hundertmal gedruckt zu lesen, wenn sie auch durch die Thatsache, daß die südlichen Pässe den feindlichen Einbrüchen bloßgestellt blieben, Lügen gestraft wurde. Die Landeöschutzdeputation war, wenn man ihre Vorkehrungen mit der drohenden Gefahr vergleicht, im eigentlichsten Sinne rathlos. Der selbstgefällige Dünkel, der gleich dem alten Hofkriegsrath hinter dem grünön Tische den großen Zn- zugsplan entwarf, und uach allen Seiten Decrete sandte, die keinen Hasen auf die Beine stellten, erinnerte an die „Zeit gepuderter Perücken, darauf Pfalzgrafen Lorbeeren drücken." Bei der letzten Filiale gab es sogar Leute, die von der Vertheidigung abriethen, damit die Piemontesen, die unabwendbaren fürchterlichen Gäste, ihnen nicht die Häuser über deu Köpfen anzündeten. Die Landeöschntzdeputation aber sandte zwei ihrer Mitglieder uach Wien, und ver¬ harrte heldenmüthig bei der wiederholten Bitte um Waffen, Geld und Getreide. In der Hauptstadt war mau durch das allgemeine Drängen nach großen nud durchgreifenden Reformen schou so verwöhnt, daß man über die zarte Rücksicht, die einem so einfachen Begehren unter den vorwaltenden Umständen zur Folie diente, uicht wenig staunte, uoch mehr aber vielleicht über die von den Send¬ boten gegebene Versicherung, daß Tyrol betreff seines künftigen Organis¬ mus nichts wünsche, als die Gewähr der oft verbrieften Privilegien, die Wiedereinsetzung der Stände in die alten Rechte. Die bescheidenen Bittsteller hielten sich versichert, daß sie mit jeder andern Meinung das Vertrauen der geist- lichen Gewaltträger ihrer Heimath, deuen im ständischen Rathe wie überall die erste Stimme zukam, für immer verscherzen würden. Die Noth des Vaterlandes, der Ruf der Feindesgefahr war mit mancher Uebertreibung auch zu deu Ohren der in Wien studirenden jungen Tyroler ge¬ drungen, dort fern von der Heimath hatte der Funke der Kriegslust für die väterliche Erde znerst gezündet. Viele von ihnen hatten mitgewirkt in den Tagen des März. Freilich wußten sie, was es mit der Freiheit in Tyrol zu bedeuten habe, dies war aber grade ein zweiter Grund, der sie dahin trieb. Schon in den erstell Tagen des April hatten sich mehrere tyrolische Jünglinge das Wort gegeben, ihr Blut und Leben für die Heimath einzusetzen, am -4. fand auf den Mieder 103*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/307>, abgerufen am 22.07.2024.