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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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theil gereicht es zu seinem Lobe, daß er das als mangelhaft Erkannte mit dein
einzig möglichen Mittel zu verbessern suchte. Er ist Germane, wenn anch nordi¬
schen Stammes; ihm war es darum eher vergönnt, als jedem andern Ausländer,
die Engländer selbst uicht ausgenommen, den Ernst und die tiefe Kunst der
Deutschen zu verstehen, so weit als möglich sich anzueignen und annähernd treu
wiederzugeben. Die musikalische Bildung, welche die scandinavischen Länder ihren
Kindern angedeihen lassen, ist außerdem ganz auf die Klassicität deö stammver-
wandten Laudes gegründet und von den deutschen Meistern geleitet wordeu. Ju
.Kopenhagen selbst haben sich seit Eude des vorigen und dem Anfange dieses Jahr¬
hunderts zwei deutsche Kapellmeister, Kurzem und Kuh lau, große Verdienste
um die Musik erworben, auch ihr Nachfolger, Gläser, ist ein deutscher .Künstler.
Von einer dänischen oder nordischen Nationalmusik, im höhern Sinne des Wortes,
durfte deshalb bis jetzt nicht die Rede sein, denu auch die Versuche, welche früher
vou Kurzem zur Gründung eiuer Natioualover unternommen wurden (er schrieb
mehrere dänische Opern: Holger Danska, Hamelichdeu, Natnrens Noß,
Erik Ejegad ze.) sind erfolglos geblieben, da sie keine Lebenskraft in sich hatten
und von nordischer Musik nichts weiter bieten, als eben nur einige Motive.
Kuhlau's däuisches Liederspiel: Elvenhojen erregte lange Zeit in Kopenhagen
Furore; es enthielt viele Volksgesänge und hat ein nationaleres Gepräge, als
Knnzens Opern. Auch Hartmann nud nach ihm Saloman betraten diesen
Weg; der Erstere blieb trotz einzelner glücklich angebrachter Aeußerlichkeiten in der
deutschen Richtung; der Letztere machte Furore zu einer Zeit, in welcher das aus¬
schließliche Dänenthum eben im Entstehen war, muß aber unter den hier an¬
geführten Musikern als der schwächste angesehen werden.

Da die hier genannten Vorgänger Gabe's trotz ihrem guten Willen nicht
vermochten, sich in eine nordische Kunstanschauung zu vertiefen, da das specifische
Deutschthum zu gewaltig in ihren Compositionen hervortrat und selbst die Volks¬
lieder unter ihren Händen viele Züge ihrer Eigenthümlichkeiten verloren, so
würde, wenn überhaupt die Rede vou eiuer nordischen Schule der Musik sein
kaun, ihr Entstehen von dem Auftreten Gabe's zu datiren sein, denn er allein
hat es bis jetzt verstanden, die rauhen, harten, melancholischen Weisen seiner
Heimath für die höhere Kunstform zu verarbeiten, sie in Beziehung ans Rhythmus
und Melodie charakteristisch hinzustellen und durch die Kunst zu idealisiren. Es
ist dies als ein Zeichen von der Tiefe und Bedeutung dieser Melodien zu betrachten;
die Verwandtschaft deö Nordens mit deutscher Empfindungsweise zeigt sich auch
in dem Reiche der Tonkunst. Freilich ist das deutsche Motiv ausschließend zu
kunstreichen Verwebuugeu, zu tiefern Combinationen, zu geistreichen Umgestaltungen
geeignet und alle Kunstwerke, die wirklich mit diesen Eigenschaften ausgerüstet
sind, gehören nur dieser Nation an. Wenn in der neuern Zeit einzelne Italiener,
Franzosen und Engländer tiefer Gedachtes und Erhabenes leisteten, so war dies


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theil gereicht es zu seinem Lobe, daß er das als mangelhaft Erkannte mit dein
einzig möglichen Mittel zu verbessern suchte. Er ist Germane, wenn anch nordi¬
schen Stammes; ihm war es darum eher vergönnt, als jedem andern Ausländer,
die Engländer selbst uicht ausgenommen, den Ernst und die tiefe Kunst der
Deutschen zu verstehen, so weit als möglich sich anzueignen und annähernd treu
wiederzugeben. Die musikalische Bildung, welche die scandinavischen Länder ihren
Kindern angedeihen lassen, ist außerdem ganz auf die Klassicität deö stammver-
wandten Laudes gegründet und von den deutschen Meistern geleitet wordeu. Ju
.Kopenhagen selbst haben sich seit Eude des vorigen und dem Anfange dieses Jahr¬
hunderts zwei deutsche Kapellmeister, Kurzem und Kuh lau, große Verdienste
um die Musik erworben, auch ihr Nachfolger, Gläser, ist ein deutscher .Künstler.
Von einer dänischen oder nordischen Nationalmusik, im höhern Sinne des Wortes,
durfte deshalb bis jetzt nicht die Rede sein, denu auch die Versuche, welche früher
vou Kurzem zur Gründung eiuer Natioualover unternommen wurden (er schrieb
mehrere dänische Opern: Holger Danska, Hamelichdeu, Natnrens Noß,
Erik Ejegad ze.) sind erfolglos geblieben, da sie keine Lebenskraft in sich hatten
und von nordischer Musik nichts weiter bieten, als eben nur einige Motive.
Kuhlau's däuisches Liederspiel: Elvenhojen erregte lange Zeit in Kopenhagen
Furore; es enthielt viele Volksgesänge und hat ein nationaleres Gepräge, als
Knnzens Opern. Auch Hartmann nud nach ihm Saloman betraten diesen
Weg; der Erstere blieb trotz einzelner glücklich angebrachter Aeußerlichkeiten in der
deutschen Richtung; der Letztere machte Furore zu einer Zeit, in welcher das aus¬
schließliche Dänenthum eben im Entstehen war, muß aber unter den hier an¬
geführten Musikern als der schwächste angesehen werden.

Da die hier genannten Vorgänger Gabe's trotz ihrem guten Willen nicht
vermochten, sich in eine nordische Kunstanschauung zu vertiefen, da das specifische
Deutschthum zu gewaltig in ihren Compositionen hervortrat und selbst die Volks¬
lieder unter ihren Händen viele Züge ihrer Eigenthümlichkeiten verloren, so
würde, wenn überhaupt die Rede vou eiuer nordischen Schule der Musik sein
kaun, ihr Entstehen von dem Auftreten Gabe's zu datiren sein, denn er allein
hat es bis jetzt verstanden, die rauhen, harten, melancholischen Weisen seiner
Heimath für die höhere Kunstform zu verarbeiten, sie in Beziehung ans Rhythmus
und Melodie charakteristisch hinzustellen und durch die Kunst zu idealisiren. Es
ist dies als ein Zeichen von der Tiefe und Bedeutung dieser Melodien zu betrachten;
die Verwandtschaft deö Nordens mit deutscher Empfindungsweise zeigt sich auch
in dem Reiche der Tonkunst. Freilich ist das deutsche Motiv ausschließend zu
kunstreichen Verwebuugeu, zu tiefern Combinationen, zu geistreichen Umgestaltungen
geeignet und alle Kunstwerke, die wirklich mit diesen Eigenschaften ausgerüstet
sind, gehören nur dieser Nation an. Wenn in der neuern Zeit einzelne Italiener,
Franzosen und Engländer tiefer Gedachtes und Erhabenes leisteten, so war dies


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/299>, abgerufen am 22.07.2024.