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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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immer eine Wirkung der deutschen Schule, deren ernsthaftes Studium sie aus
einen Standpunkt brachte, daß sie in der Musik fast deutsch denken und schreiben
lernten. Im vollsten Maße wird dies einem Ausländer nie gelingen, weil jeder
Mensch für sein ganzes Leben bis zu einem gewissen Grade von den Ideen ab¬
hängig bleibt, die seinem Stammvolke eigenthümlich sind, am meisten in der
Sphäre des unmittelbaren Empfindens. Auch bei stammverwandten Nationalitäten
werden diese Unterschiede nicht ganz wegzubannen sein, und so findet sich in
Gabe's Art und Weise, Musik zu denken und zu schreiben, Charakteristisches und
Abweichendes in Menge, wenn auch die Grundsätze und das Muster der deutschen
Schule bei ihm deutlich genug in deu Vordergrund treten. Die nordische Schule,
wie sie Gabe geschaffen und wie sie vielleicht Nachfolger von ihm weiter aus¬
bilden werden, wird, wie die deutsche, sich durch Ernst und Tiefe auszeichnen,
mangeln wird ihr aber gewiß der Reichthum des Gemüths, die Zartheit und
Innigkeit des Ausdrucks. Ihre starren Melodien gestatten nur eine einseitige
Charakterzeichnung, nur eine beschränkte Art der Modulation; sie enthalten in
sich keine Fügsamkeit für die höhern contrapunktischen Gestaltungen. Durch
diese Sätze soll eine Charakteristik der Gabe'schen Musik ausgesprochen werden,
wie sie sich findet in seiner ersten Symphonie in Moll, in den beiden Ouver¬
türen "Ossian" und "Im Hochland", und in dem dramatischen Gedicht Comala.

Diese vier Werke ruhen auf gleicher Basis, sie charakterisiren uns die rauhe
kalte Poesie des Ossian, dessen seltsame Nebelwelt freilich ein Erzeugniß senti¬
mentaler germanischer Bildung ist, und ihre Touweisen klingen in unserer Zeit
wie eine Erinnerung an die Edda und die Gesäuge der alten Germanen in den
Hainen Odin's und Freia's. Eine kleine Abweichung vou den melancholischen,
großen scandinavischen Gebilden macht die Ouverture "Im Hochland", welche in
ihren Motiven und ihrer viel heitern Färbung an Walter Scott's Schilderungen
des schottischen Hochlandes erinnert; ihre Zierlichkeit, Behendigkeit und Durch¬
sichtigkeit gereicht ihr jenen andern Werken gegenüber zum großen Vortheil, darum
muß mau diese Ouvertüre als eine gute Einleitung zur Bekanntschaft mit dem
Komponisten empfehlen. Bis jetzt ist ihr auch uirgeuds in Concertinstitnten ein
Hinderniß entgegengestellt worden; das Fremdartige ist in ihr nicht überwiegend,
und wo es hervortritt, geschieht dies auf so bescheidene und gewinnende Weise,
daß mau es willkommen heißt und sich gern fesseln läßt. Schon befremdender
wirkt die Ouvertüre zum Ossian mit ihren düstern Klängen, ihrer kalten Luft.
Ein wirklich wohlthuendes und erhebendes Gefühl erregt sie nicht, es ist, als ob
man deu nordischen Säuger uuter lichtarmem Himmel zwischen den dunklen Föhren
dahinschreiten sähe. Das ganze Gemälde ist monoton und farblos, dennoch
aber macht es den Eindruck der Wahrheit, deun der zu Grunde liegende Stoff
gestattete keine wärmere Behandlung. Man wird unwillkürlich all eine Ouvertüre
Mendelssohn's erinnert: die Fingalshöhle oder die Hebriden, ja es ist sogar


immer eine Wirkung der deutschen Schule, deren ernsthaftes Studium sie aus
einen Standpunkt brachte, daß sie in der Musik fast deutsch denken und schreiben
lernten. Im vollsten Maße wird dies einem Ausländer nie gelingen, weil jeder
Mensch für sein ganzes Leben bis zu einem gewissen Grade von den Ideen ab¬
hängig bleibt, die seinem Stammvolke eigenthümlich sind, am meisten in der
Sphäre des unmittelbaren Empfindens. Auch bei stammverwandten Nationalitäten
werden diese Unterschiede nicht ganz wegzubannen sein, und so findet sich in
Gabe's Art und Weise, Musik zu denken und zu schreiben, Charakteristisches und
Abweichendes in Menge, wenn auch die Grundsätze und das Muster der deutschen
Schule bei ihm deutlich genug in deu Vordergrund treten. Die nordische Schule,
wie sie Gabe geschaffen und wie sie vielleicht Nachfolger von ihm weiter aus¬
bilden werden, wird, wie die deutsche, sich durch Ernst und Tiefe auszeichnen,
mangeln wird ihr aber gewiß der Reichthum des Gemüths, die Zartheit und
Innigkeit des Ausdrucks. Ihre starren Melodien gestatten nur eine einseitige
Charakterzeichnung, nur eine beschränkte Art der Modulation; sie enthalten in
sich keine Fügsamkeit für die höhern contrapunktischen Gestaltungen. Durch
diese Sätze soll eine Charakteristik der Gabe'schen Musik ausgesprochen werden,
wie sie sich findet in seiner ersten Symphonie in Moll, in den beiden Ouver¬
türen „Ossian" und „Im Hochland", und in dem dramatischen Gedicht Comala.

Diese vier Werke ruhen auf gleicher Basis, sie charakterisiren uns die rauhe
kalte Poesie des Ossian, dessen seltsame Nebelwelt freilich ein Erzeugniß senti¬
mentaler germanischer Bildung ist, und ihre Touweisen klingen in unserer Zeit
wie eine Erinnerung an die Edda und die Gesäuge der alten Germanen in den
Hainen Odin's und Freia's. Eine kleine Abweichung vou den melancholischen,
großen scandinavischen Gebilden macht die Ouverture „Im Hochland", welche in
ihren Motiven und ihrer viel heitern Färbung an Walter Scott's Schilderungen
des schottischen Hochlandes erinnert; ihre Zierlichkeit, Behendigkeit und Durch¬
sichtigkeit gereicht ihr jenen andern Werken gegenüber zum großen Vortheil, darum
muß mau diese Ouvertüre als eine gute Einleitung zur Bekanntschaft mit dem
Komponisten empfehlen. Bis jetzt ist ihr auch uirgeuds in Concertinstitnten ein
Hinderniß entgegengestellt worden; das Fremdartige ist in ihr nicht überwiegend,
und wo es hervortritt, geschieht dies auf so bescheidene und gewinnende Weise,
daß mau es willkommen heißt und sich gern fesseln läßt. Schon befremdender
wirkt die Ouvertüre zum Ossian mit ihren düstern Klängen, ihrer kalten Luft.
Ein wirklich wohlthuendes und erhebendes Gefühl erregt sie nicht, es ist, als ob
man deu nordischen Säuger uuter lichtarmem Himmel zwischen den dunklen Föhren
dahinschreiten sähe. Das ganze Gemälde ist monoton und farblos, dennoch
aber macht es den Eindruck der Wahrheit, deun der zu Grunde liegende Stoff
gestattete keine wärmere Behandlung. Man wird unwillkürlich all eine Ouvertüre
Mendelssohn's erinnert: die Fingalshöhle oder die Hebriden, ja es ist sogar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/300>, abgerufen am 22.07.2024.