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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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dazu machte, nämlich das Christenthum -- die Barbaren der Jetztzeit aber haben ein,
in ganz Europa auftauchendes Element der Desorganisation zu ihrem Verbün¬
deten, und den französischen Firniß, der mit einem Anscheine von geselliger Bil¬
dung ihre innere Rohheit und Wildheit bedeckt." --

Wir haben hier nur eine Episode mitgetheilt: in dem übrigen Theil, der
sich bis ans die unmittelbare Gegenwart erstreckt, und der keineswegs parteiisch
für Oestreich ist, sind uoch wunderbarere Dinge enthalten.




Die preußische Politik.

Die letzten Concessionen der preußischen Negierung haben bei allen Parteien,
gleichviel ob sie über die dadurch eröffneten Aussichten triumphieren oder trauern,,
doch die eine gemeinsame Empfindung lebendig gemacht: daß sie dnrch eine
Reihe politischer Mißgriffe des Berliner Cabinets vorbereitet und zu Tage gebracht
worden sind. Die ernsten Vorwürfe, welche in diesem Fall der vorsichtige Diplomat
und der warmherzige Patriot der preußischen Regierung übereinstimmend zu machen
berechtigt sind, werden von der Presse treffend durch deu kurzen Satz ausgedrückt,
daß Preußen seit Ablehnung der Kaiserkrone entweder zu weit, oder nicht weit
genng gegangen sei. Entweder festes und couseguentes Zusammenhalten mit den
conservativen Regierungen, Allianz mit Rußland und Oestreich, oder festes und
consegnentes Eingehen in die Bahnen eines liberalen Systems. Beide Wege
hatten für den preußischen Thron große Schwierigkeiten, aber auf keinem lagen die
bitteren und ruhmlosen Kämpfe, welche die Leiter Preußens mit sich selbst und
ihren zahlreichen Gegnern dnrch anderthalb Jahre durchzumachen gezwungen
waren. Jene Schen vor energischen Schritten, welche in der Politik zuweilen
das größte Verbrechen eines Regenten wird, und außerdem leider die in Persön¬
lichkeiten begründete Unfähigkeit, nach einem besonnen angelegten Plan mit Ruhe
und Ausdauer zu arbeiten, haben bei andern Cabinetten Mißtrauen, Animosität
und eiuen Mangel von Achtung hervorgerufen, welcher den wesentlichsten Antheil
an der Koalition der Regierungen und der diplomatischen Niederlage Preußens
hat; einer Niederlage, welche, kaum vollständiger, eclatanter und unrühmlicher
sein könnte.

Durch die Folgen der Warschauer Conferenz ist Preußen für die Gegenwart
nicht von dem Range einer Macht ersten Ranges, denn nnr die Thronsessel
Englands und Rußlands stehen so hoch, sondern von der Würde einer Macht
zweiten Ranges sehr auffällig herabgesunken zu der abhängigen und bescheidenen
Stellung, welche etwa Baiern in der europäischen Staatenfamilie einnimmt.
Vielleicht wäre das kein Unglück, anch wo die Größe fehlt, kann Glück und


dazu machte, nämlich das Christenthum — die Barbaren der Jetztzeit aber haben ein,
in ganz Europa auftauchendes Element der Desorganisation zu ihrem Verbün¬
deten, und den französischen Firniß, der mit einem Anscheine von geselliger Bil¬
dung ihre innere Rohheit und Wildheit bedeckt." —

Wir haben hier nur eine Episode mitgetheilt: in dem übrigen Theil, der
sich bis ans die unmittelbare Gegenwart erstreckt, und der keineswegs parteiisch
für Oestreich ist, sind uoch wunderbarere Dinge enthalten.




Die preußische Politik.

Die letzten Concessionen der preußischen Negierung haben bei allen Parteien,
gleichviel ob sie über die dadurch eröffneten Aussichten triumphieren oder trauern,,
doch die eine gemeinsame Empfindung lebendig gemacht: daß sie dnrch eine
Reihe politischer Mißgriffe des Berliner Cabinets vorbereitet und zu Tage gebracht
worden sind. Die ernsten Vorwürfe, welche in diesem Fall der vorsichtige Diplomat
und der warmherzige Patriot der preußischen Regierung übereinstimmend zu machen
berechtigt sind, werden von der Presse treffend durch deu kurzen Satz ausgedrückt,
daß Preußen seit Ablehnung der Kaiserkrone entweder zu weit, oder nicht weit
genng gegangen sei. Entweder festes und couseguentes Zusammenhalten mit den
conservativen Regierungen, Allianz mit Rußland und Oestreich, oder festes und
consegnentes Eingehen in die Bahnen eines liberalen Systems. Beide Wege
hatten für den preußischen Thron große Schwierigkeiten, aber auf keinem lagen die
bitteren und ruhmlosen Kämpfe, welche die Leiter Preußens mit sich selbst und
ihren zahlreichen Gegnern dnrch anderthalb Jahre durchzumachen gezwungen
waren. Jene Schen vor energischen Schritten, welche in der Politik zuweilen
das größte Verbrechen eines Regenten wird, und außerdem leider die in Persön¬
lichkeiten begründete Unfähigkeit, nach einem besonnen angelegten Plan mit Ruhe
und Ausdauer zu arbeiten, haben bei andern Cabinetten Mißtrauen, Animosität
und eiuen Mangel von Achtung hervorgerufen, welcher den wesentlichsten Antheil
an der Koalition der Regierungen und der diplomatischen Niederlage Preußens
hat; einer Niederlage, welche, kaum vollständiger, eclatanter und unrühmlicher
sein könnte.

Durch die Folgen der Warschauer Conferenz ist Preußen für die Gegenwart
nicht von dem Range einer Macht ersten Ranges, denn nnr die Thronsessel
Englands und Rußlands stehen so hoch, sondern von der Würde einer Macht
zweiten Ranges sehr auffällig herabgesunken zu der abhängigen und bescheidenen
Stellung, welche etwa Baiern in der europäischen Staatenfamilie einnimmt.
Vielleicht wäre das kein Unglück, anch wo die Größe fehlt, kann Glück und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/280>, abgerufen am 22.07.2024.