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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Küche ist der allgemeine Versammlungsort, nicht nur für die Hausleute, souderu
für Alle, die im Hofe, sei eS bei der Herrschaft oder Dienerschaft, etwas zu thun
haben. Was für Sachen habe ich da heimlich hinaustragen sehen! und zwar
uicht sowohl die von den Angekommenen entwendet, als vielmehr solche, die ihnen
von den Hausleuten zu verstecken übergeben wurden. Mau könnte damit einen
gauzeu Haushalt an Geschirren, Effecten und Victualien einrichten; und was ist
davon zerschlagen oder verdorben wordeu! Besonders was die Speisen, anlangt,
von denen kommt das Wenigste ans die Tafel, das Meiste verschwindet unter deu
Händen. Von. einer Aufsicht, Controle oder dergleichen .ist gar keine Spur;
Jeder ist sich selbst überlassen, Jeder muß das, was er will, vom Andern erzwingen
oder erschmeicheln; was mich aber bei dem allen am meisten verwundert hat,
ist, daß die Dinge doch vor sich gehen, obgleich Niemand von Allen, wie sie sind,
und niemals, nüchtern ist. Sie verrichten maschinenmäßig ihre Obliegenheiten,
das heißt die Körper bewegen sich in gewohnter Weise darinnen, sonst wäre es
unerklärbar, wie sie ihren Dienst, bei ihrer unausgesetzten Trunkenheit, zu thun
im Staude sind. Oft'und besonders bei Nacht, wo sie glauben können, daß
malt uicht mehr nach ihnen sehen werde, ist die ganze Dienerschaft in der Dorf¬
schenke, und der Hof bleibt so leer und dabei so offen überall, daß man die
Herrschaften sammt den Betten wegtragen könnte, ohne daß mau dies nnr merkte.
Dort saufen sie die ganze Nacht, und solche Quantitäten von Branntwein, daß
wir ganz erstannt darüber waren, und wie sich das beinahe jede Nacht wieder¬
holt, so läßt es sich schwer begreifen, vou was für einem Stosse diese Leute
siud, die das aushalten können. Für die Dorfschenker Md das aber sehr an¬
genehme und ersehnte Gäste, sie fragen sie über ihre Herrschaften und alle Freun¬
den aus, lassen sich von ihnen beinahe jedes Wort', jede Miene erzählen lind
beschreiben. Von Zuneigung, Treue oder überhaupt nur Rechtlichkeitsgefühl
gegen ihre Herrschaft ist bei diesen Leuten nichts zu finden. Sie werden freilich
wie Hunde behandelt, schlafen ans ledigen Stroh, ihr Bcttgewand ist ihre Klei¬
dung, die sie am Tage anhaben, sie bekommen beinahe gar keine Bezahlung, aber
Schläge alle Tage; dafür beißen sie auch an dem guten Namen ihrer Herr¬
schaften, deren geheimste Dinge sie mit besonderer Schadenfreude jedem Fremden
unaufgefordert an deu Hals werfen." -- So siudet folgende Erklärung des Deut¬
schen über die Gefahr, welche der Civilisation dnrch das Slaventhum droht, wohl
ihre Begründung. -- "Jetzt kannst Du die Gefahr am beseelt ermessen, welche uicht
sowohl das Individuum, als die ganze menschliche Gesellschaft bedroht, die in
ihrem Streben nach einem organischen Leben, in dessen einzelnen Arbeiten ver¬
fangen, das energische Bewußtsein für den ganzen Zusammenhang noch nicht in .' alleil ihren Gliedern entwickelt hat; diese Gefahr ist jetzt vielleicht größer, als sie
zu Zeiten der Völkerwanderung war. denn jene Barbaren fanden i/der römischen
Welt ein Element vor, das geeignet war, sie zu Menschen zu machen, und sie


Küche ist der allgemeine Versammlungsort, nicht nur für die Hausleute, souderu
für Alle, die im Hofe, sei eS bei der Herrschaft oder Dienerschaft, etwas zu thun
haben. Was für Sachen habe ich da heimlich hinaustragen sehen! und zwar
uicht sowohl die von den Angekommenen entwendet, als vielmehr solche, die ihnen
von den Hausleuten zu verstecken übergeben wurden. Mau könnte damit einen
gauzeu Haushalt an Geschirren, Effecten und Victualien einrichten; und was ist
davon zerschlagen oder verdorben wordeu! Besonders was die Speisen, anlangt,
von denen kommt das Wenigste ans die Tafel, das Meiste verschwindet unter deu
Händen. Von. einer Aufsicht, Controle oder dergleichen .ist gar keine Spur;
Jeder ist sich selbst überlassen, Jeder muß das, was er will, vom Andern erzwingen
oder erschmeicheln; was mich aber bei dem allen am meisten verwundert hat,
ist, daß die Dinge doch vor sich gehen, obgleich Niemand von Allen, wie sie sind,
und niemals, nüchtern ist. Sie verrichten maschinenmäßig ihre Obliegenheiten,
das heißt die Körper bewegen sich in gewohnter Weise darinnen, sonst wäre es
unerklärbar, wie sie ihren Dienst, bei ihrer unausgesetzten Trunkenheit, zu thun
im Staude sind. Oft'und besonders bei Nacht, wo sie glauben können, daß
malt uicht mehr nach ihnen sehen werde, ist die ganze Dienerschaft in der Dorf¬
schenke, und der Hof bleibt so leer und dabei so offen überall, daß man die
Herrschaften sammt den Betten wegtragen könnte, ohne daß mau dies nnr merkte.
Dort saufen sie die ganze Nacht, und solche Quantitäten von Branntwein, daß
wir ganz erstannt darüber waren, und wie sich das beinahe jede Nacht wieder¬
holt, so läßt es sich schwer begreifen, vou was für einem Stosse diese Leute
siud, die das aushalten können. Für die Dorfschenker Md das aber sehr an¬
genehme und ersehnte Gäste, sie fragen sie über ihre Herrschaften und alle Freun¬
den aus, lassen sich von ihnen beinahe jedes Wort', jede Miene erzählen lind
beschreiben. Von Zuneigung, Treue oder überhaupt nur Rechtlichkeitsgefühl
gegen ihre Herrschaft ist bei diesen Leuten nichts zu finden. Sie werden freilich
wie Hunde behandelt, schlafen ans ledigen Stroh, ihr Bcttgewand ist ihre Klei¬
dung, die sie am Tage anhaben, sie bekommen beinahe gar keine Bezahlung, aber
Schläge alle Tage; dafür beißen sie auch an dem guten Namen ihrer Herr¬
schaften, deren geheimste Dinge sie mit besonderer Schadenfreude jedem Fremden
unaufgefordert an deu Hals werfen." — So siudet folgende Erklärung des Deut¬
schen über die Gefahr, welche der Civilisation dnrch das Slaventhum droht, wohl
ihre Begründung. — „Jetzt kannst Du die Gefahr am beseelt ermessen, welche uicht
sowohl das Individuum, als die ganze menschliche Gesellschaft bedroht, die in
ihrem Streben nach einem organischen Leben, in dessen einzelnen Arbeiten ver¬
fangen, das energische Bewußtsein für den ganzen Zusammenhang noch nicht in .' alleil ihren Gliedern entwickelt hat; diese Gefahr ist jetzt vielleicht größer, als sie
zu Zeiten der Völkerwanderung war. denn jene Barbaren fanden i/der römischen
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[0279] Küche ist der allgemeine Versammlungsort, nicht nur für die Hausleute, souderu für Alle, die im Hofe, sei eS bei der Herrschaft oder Dienerschaft, etwas zu thun haben. Was für Sachen habe ich da heimlich hinaustragen sehen! und zwar uicht sowohl die von den Angekommenen entwendet, als vielmehr solche, die ihnen von den Hausleuten zu verstecken übergeben wurden. Mau könnte damit einen gauzeu Haushalt an Geschirren, Effecten und Victualien einrichten; und was ist davon zerschlagen oder verdorben wordeu! Besonders was die Speisen, anlangt, von denen kommt das Wenigste ans die Tafel, das Meiste verschwindet unter deu Händen. Von. einer Aufsicht, Controle oder dergleichen .ist gar keine Spur; Jeder ist sich selbst überlassen, Jeder muß das, was er will, vom Andern erzwingen oder erschmeicheln; was mich aber bei dem allen am meisten verwundert hat, ist, daß die Dinge doch vor sich gehen, obgleich Niemand von Allen, wie sie sind, und niemals, nüchtern ist. Sie verrichten maschinenmäßig ihre Obliegenheiten, das heißt die Körper bewegen sich in gewohnter Weise darinnen, sonst wäre es unerklärbar, wie sie ihren Dienst, bei ihrer unausgesetzten Trunkenheit, zu thun im Staude sind. Oft'und besonders bei Nacht, wo sie glauben können, daß malt uicht mehr nach ihnen sehen werde, ist die ganze Dienerschaft in der Dorf¬ schenke, und der Hof bleibt so leer und dabei so offen überall, daß man die Herrschaften sammt den Betten wegtragen könnte, ohne daß mau dies nnr merkte. Dort saufen sie die ganze Nacht, und solche Quantitäten von Branntwein, daß wir ganz erstannt darüber waren, und wie sich das beinahe jede Nacht wieder¬ holt, so läßt es sich schwer begreifen, vou was für einem Stosse diese Leute siud, die das aushalten können. Für die Dorfschenker Md das aber sehr an¬ genehme und ersehnte Gäste, sie fragen sie über ihre Herrschaften und alle Freun¬ den aus, lassen sich von ihnen beinahe jedes Wort', jede Miene erzählen lind beschreiben. Von Zuneigung, Treue oder überhaupt nur Rechtlichkeitsgefühl gegen ihre Herrschaft ist bei diesen Leuten nichts zu finden. Sie werden freilich wie Hunde behandelt, schlafen ans ledigen Stroh, ihr Bcttgewand ist ihre Klei¬ dung, die sie am Tage anhaben, sie bekommen beinahe gar keine Bezahlung, aber Schläge alle Tage; dafür beißen sie auch an dem guten Namen ihrer Herr¬ schaften, deren geheimste Dinge sie mit besonderer Schadenfreude jedem Fremden unaufgefordert an deu Hals werfen." — So siudet folgende Erklärung des Deut¬ schen über die Gefahr, welche der Civilisation dnrch das Slaventhum droht, wohl ihre Begründung. — „Jetzt kannst Du die Gefahr am beseelt ermessen, welche uicht sowohl das Individuum, als die ganze menschliche Gesellschaft bedroht, die in ihrem Streben nach einem organischen Leben, in dessen einzelnen Arbeiten ver¬ fangen, das energische Bewußtsein für den ganzen Zusammenhang noch nicht in .' alleil ihren Gliedern entwickelt hat; diese Gefahr ist jetzt vielleicht größer, als sie zu Zeiten der Völkerwanderung war. denn jene Barbaren fanden i/der römischen Welt ein Element vor, das geeignet war, sie zu Menschen zu machen, und sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/279>, abgerufen am 22.07.2024.