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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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zwei zur Beruhigung der Gemüther herbeigeeilte hochgestellte Staatsdiener in
jeuer Schreckeuöuacht laut ausgerufen: "das kann dem Kurfürsten deu Thron
kosten!" Die Aeußerung war unvorsichtig und konnte die Erhitzung der Ge¬
müther leicht uoch steigern; aber sie beweist auch, daß die Aufregung schon eine
furchtbare Höhe mußte erreicht haben. Das ergibt sich auch daraus, daß ein
fanatischer Mensch ans öffentlichem Platze vor einem versammelten Volkshaufen
unangefochten den Schwur aussprechen konnte, daß er deu Kurfürsten mit diesem
seinem Gewehre erschießen werde, wofern derselbe nicht bis zum Mittag das
Regiment aufgelöst habe. Die Auflösung des stolzen Einen-Corps war damals
dnrch die Rücksichten einer höhern politischen Klugheit im Interesse des Fürsten
selbst geboten, wenn gleich sie ein "Schnitt ins Fleisch" war. Dagegen scheint
Weiß vou dem Vorwurf der Unvorsichtigkeit hinsichtlich der ungenügenden Be¬
wachung des Zeughauses uicht ganz freigesprochen werden zu können, -- ein
Vorwurf, der freilich feine Amtsvorgäuger ebensowohl antrifft. Eine seiner ersten
nud danlenöwerthesten Ministerhandlungen war die Erwirkung eiuer höchstem Ent¬
scheidung, wodurch die Festung Spangenberg und das Castell zu Kassel, soweit
dieselbell als Strafanstalten für Militär- und Civilpersonen dienen, so wie deren
Commandanten, unter das Kriegsministerium gestellt werden, während sie früher
unmittelbar uuter dem "obersten Militärchef" standen. Durch diese Maßregel
wurde das Schicksal der vorher oft mit übergroßer Strenge behandelten Gefangenen
wesentlich erleichtert. Nachdem Weiß ans Gesundheitsrücksichten seine Entlassung
genommen und sich einigermaßen wieder erholt hatte, wurde er als Negimeuts-
Commaudeur nach Hanall versetzt nud befehligte 1849 im badenschen Feldzuge
das linke Flankencorps, mit achtungsvollster Auszeichnung behandelt von dem
trefflichen General von Peucker. So oft Weiß auch früher das "glänzende
Elend" des Soldaten in Friedenszeiten besenfzt hatte, so mußte doch dieser
Kampf gegen verblendete Brüder, die zum Theil sogar unserm engern Vaterlande
allgehörten, seinem edlen Herzen sehr weh thun.




Ca neues Werk über Galizien.

Aus Galizien. 1851. Leipzig, Costenoble und Nemmelmann.

Das Buch ist vou großem Interesse für Jeden, der sich über die eigenthüm¬
lichen Mischungen in dem polnischen Volkscharakter unterrichten will: wilde Bar¬
barei und gleißende Politur, List und träumerisches Wesen. Eine Menge Ge¬
schichten, die zum Theil so unerhört sind, daß sie schon darum kaum erfunden


zwei zur Beruhigung der Gemüther herbeigeeilte hochgestellte Staatsdiener in
jeuer Schreckeuöuacht laut ausgerufen: „das kann dem Kurfürsten deu Thron
kosten!" Die Aeußerung war unvorsichtig und konnte die Erhitzung der Ge¬
müther leicht uoch steigern; aber sie beweist auch, daß die Aufregung schon eine
furchtbare Höhe mußte erreicht haben. Das ergibt sich auch daraus, daß ein
fanatischer Mensch ans öffentlichem Platze vor einem versammelten Volkshaufen
unangefochten den Schwur aussprechen konnte, daß er deu Kurfürsten mit diesem
seinem Gewehre erschießen werde, wofern derselbe nicht bis zum Mittag das
Regiment aufgelöst habe. Die Auflösung des stolzen Einen-Corps war damals
dnrch die Rücksichten einer höhern politischen Klugheit im Interesse des Fürsten
selbst geboten, wenn gleich sie ein „Schnitt ins Fleisch" war. Dagegen scheint
Weiß vou dem Vorwurf der Unvorsichtigkeit hinsichtlich der ungenügenden Be¬
wachung des Zeughauses uicht ganz freigesprochen werden zu können, — ein
Vorwurf, der freilich feine Amtsvorgäuger ebensowohl antrifft. Eine seiner ersten
nud danlenöwerthesten Ministerhandlungen war die Erwirkung eiuer höchstem Ent¬
scheidung, wodurch die Festung Spangenberg und das Castell zu Kassel, soweit
dieselbell als Strafanstalten für Militär- und Civilpersonen dienen, so wie deren
Commandanten, unter das Kriegsministerium gestellt werden, während sie früher
unmittelbar uuter dem „obersten Militärchef" standen. Durch diese Maßregel
wurde das Schicksal der vorher oft mit übergroßer Strenge behandelten Gefangenen
wesentlich erleichtert. Nachdem Weiß ans Gesundheitsrücksichten seine Entlassung
genommen und sich einigermaßen wieder erholt hatte, wurde er als Negimeuts-
Commaudeur nach Hanall versetzt nud befehligte 1849 im badenschen Feldzuge
das linke Flankencorps, mit achtungsvollster Auszeichnung behandelt von dem
trefflichen General von Peucker. So oft Weiß auch früher das „glänzende
Elend" des Soldaten in Friedenszeiten besenfzt hatte, so mußte doch dieser
Kampf gegen verblendete Brüder, die zum Theil sogar unserm engern Vaterlande
allgehörten, seinem edlen Herzen sehr weh thun.




Ca neues Werk über Galizien.

Aus Galizien. 1851. Leipzig, Costenoble und Nemmelmann.

Das Buch ist vou großem Interesse für Jeden, der sich über die eigenthüm¬
lichen Mischungen in dem polnischen Volkscharakter unterrichten will: wilde Bar¬
barei und gleißende Politur, List und träumerisches Wesen. Eine Menge Ge¬
schichten, die zum Theil so unerhört sind, daß sie schon darum kaum erfunden


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[0274] zwei zur Beruhigung der Gemüther herbeigeeilte hochgestellte Staatsdiener in jeuer Schreckeuöuacht laut ausgerufen: „das kann dem Kurfürsten deu Thron kosten!" Die Aeußerung war unvorsichtig und konnte die Erhitzung der Ge¬ müther leicht uoch steigern; aber sie beweist auch, daß die Aufregung schon eine furchtbare Höhe mußte erreicht haben. Das ergibt sich auch daraus, daß ein fanatischer Mensch ans öffentlichem Platze vor einem versammelten Volkshaufen unangefochten den Schwur aussprechen konnte, daß er deu Kurfürsten mit diesem seinem Gewehre erschießen werde, wofern derselbe nicht bis zum Mittag das Regiment aufgelöst habe. Die Auflösung des stolzen Einen-Corps war damals dnrch die Rücksichten einer höhern politischen Klugheit im Interesse des Fürsten selbst geboten, wenn gleich sie ein „Schnitt ins Fleisch" war. Dagegen scheint Weiß vou dem Vorwurf der Unvorsichtigkeit hinsichtlich der ungenügenden Be¬ wachung des Zeughauses uicht ganz freigesprochen werden zu können, — ein Vorwurf, der freilich feine Amtsvorgäuger ebensowohl antrifft. Eine seiner ersten nud danlenöwerthesten Ministerhandlungen war die Erwirkung eiuer höchstem Ent¬ scheidung, wodurch die Festung Spangenberg und das Castell zu Kassel, soweit dieselbell als Strafanstalten für Militär- und Civilpersonen dienen, so wie deren Commandanten, unter das Kriegsministerium gestellt werden, während sie früher unmittelbar uuter dem „obersten Militärchef" standen. Durch diese Maßregel wurde das Schicksal der vorher oft mit übergroßer Strenge behandelten Gefangenen wesentlich erleichtert. Nachdem Weiß ans Gesundheitsrücksichten seine Entlassung genommen und sich einigermaßen wieder erholt hatte, wurde er als Negimeuts- Commaudeur nach Hanall versetzt nud befehligte 1849 im badenschen Feldzuge das linke Flankencorps, mit achtungsvollster Auszeichnung behandelt von dem trefflichen General von Peucker. So oft Weiß auch früher das „glänzende Elend" des Soldaten in Friedenszeiten besenfzt hatte, so mußte doch dieser Kampf gegen verblendete Brüder, die zum Theil sogar unserm engern Vaterlande allgehörten, seinem edlen Herzen sehr weh thun. Ca neues Werk über Galizien. Aus Galizien. 1851. Leipzig, Costenoble und Nemmelmann. Das Buch ist vou großem Interesse für Jeden, der sich über die eigenthüm¬ lichen Mischungen in dem polnischen Volkscharakter unterrichten will: wilde Bar¬ barei und gleißende Politur, List und träumerisches Wesen. Eine Menge Ge¬ schichten, die zum Theil so unerhört sind, daß sie schon darum kaum erfunden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/274>, abgerufen am 22.07.2024.