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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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alle deutschen Staaten so viele Kriegsminister als Kurhessen, so würde man sie
bald ans Nußland verschreiben müssen. Zunächst versuchte der von der öffentlichen
Stimme sast einstimmig zu diesem Posten ausersehene Oberst Weiß sein Heil.
Obwohl mit widerstrebenden Herzen übernahm er doch aus Pflichtgefühl das
dornenvolle Amt, war aber als Geuutthsmensch dieser aufreibenden Stellung
nicht lauge gewachsen und sah sich schon im Juli in Folge seines höchst
angegriffenen Nervcuzustaudes zum Rücktritt genöthigt. Er ist der Sohn eines
verstorbenen Geistlichen, geboren in einer Garnisonsstadt unweit Kassel, trat
als fünfzehnjähriger Knabe zu westfälischer Zeit in das Chassenrögarde-
Bataillon ein, wurde bald Officier, machte uoch sehr jung beide Feldzüge
uach Fraukreich mit, stieg, ohne sich besonderer Fürstenguust zu erfreuen, ziemlich
rasch vou Stufe zu Stufe, war auch kurze Zeit hindurch Chef des General-
stabs und ist jedenfalls einer unserer ausgezeichnetsten Stabsvfsiciere, überhaupt
ein Maun von vielseitiger Bildung. Zu dieser Tüchtigkeit hat er sich so, wie
der verstorbene Generalmajor Schmidt, durch Privatstudien emporgearbeitet.
Noch als Lieutenant wollte der ebeu so bescheidene, als wisseusdurstige Mann,
der, indem er den strengsten Maßstab an sich selbst legte, immer anf's lebhafteste
bedauerte, daß er in seinen Knabenjahren nicht mehr gelernt habe, gern die
Universität besuchen, konnte aber keinen Urlaub erlangen; die Wachtparade ging
natürlich vor. Weiß ist zwar kein Staatsmann, aber ein Mann von seltener
Reinheit des Charakters. Selbst ältere Kameraden sahen zu dem frommen, aber
nicht kopfhängerischen, zu dem sittlich strengen, aber nicht pedantischen "Pastoren¬
jungen", der wohl nie einen martialischen Fluch über seine Lippen gebracht hat,
mit einem gewissen Respect empor; jüngern Kameraden war er ein treuer Be¬
rather und Warner, dessen freundliches Wort fast immer guten Ort faud. Ueber
die gewöhnlichen Schwächen und Vorurrheile seines Standes ist er weit erhaben.
Obgleich von Natur weich und mild, hat er doch, wo es darauf ankam, Festig¬
keit, Entschlossenheit und kaltblütigen Muth gezeigt. Mehr beharrlich durchgreifende
Energie wäre seinem Charakter allerdings zu wünschen; doch hat er anch von
dieser Eigenschaft eine Probe abgelegt, die ihm sehr schwer angekommen sein muß,
die aber gleichwohl beim Officiercorps scharfen Tadel gefunden und bis über
Deutschlands Grenzen hinaus diese Sensation erregt hat. In die Zeit seines
Ministeriums fiel bekanntlich der Gardeducorps-Exceß vom 9. April und die Er¬
stürmung des Zeughauses. In Folge hiervon wurde am 10. April durch kur¬
fürstliche Proclamation die Division der Gardeducorps für aufgelöst erklärt. Das
war allerdings eine harte Maßregel; deun an dem Exceß hatten sich nur ungefähr
zwanzig Soldaten aus zwei Schwadronen betheiligt. Und doch konnte Weiß,
konnte das Ministerium nicht anders handeln, um das grenzenlose Mißtrauen,
die traurige Nachwirkung früherer Jahre, -- um die furchtbare, an den Grund¬
festen des Thrones rüttelnde Aufregung zu beschwichtigen. Hatten doch sogar


GrenMen. IV. 1850. 99

alle deutschen Staaten so viele Kriegsminister als Kurhessen, so würde man sie
bald ans Nußland verschreiben müssen. Zunächst versuchte der von der öffentlichen
Stimme sast einstimmig zu diesem Posten ausersehene Oberst Weiß sein Heil.
Obwohl mit widerstrebenden Herzen übernahm er doch aus Pflichtgefühl das
dornenvolle Amt, war aber als Geuutthsmensch dieser aufreibenden Stellung
nicht lauge gewachsen und sah sich schon im Juli in Folge seines höchst
angegriffenen Nervcuzustaudes zum Rücktritt genöthigt. Er ist der Sohn eines
verstorbenen Geistlichen, geboren in einer Garnisonsstadt unweit Kassel, trat
als fünfzehnjähriger Knabe zu westfälischer Zeit in das Chassenrögarde-
Bataillon ein, wurde bald Officier, machte uoch sehr jung beide Feldzüge
uach Fraukreich mit, stieg, ohne sich besonderer Fürstenguust zu erfreuen, ziemlich
rasch vou Stufe zu Stufe, war auch kurze Zeit hindurch Chef des General-
stabs und ist jedenfalls einer unserer ausgezeichnetsten Stabsvfsiciere, überhaupt
ein Maun von vielseitiger Bildung. Zu dieser Tüchtigkeit hat er sich so, wie
der verstorbene Generalmajor Schmidt, durch Privatstudien emporgearbeitet.
Noch als Lieutenant wollte der ebeu so bescheidene, als wisseusdurstige Mann,
der, indem er den strengsten Maßstab an sich selbst legte, immer anf's lebhafteste
bedauerte, daß er in seinen Knabenjahren nicht mehr gelernt habe, gern die
Universität besuchen, konnte aber keinen Urlaub erlangen; die Wachtparade ging
natürlich vor. Weiß ist zwar kein Staatsmann, aber ein Mann von seltener
Reinheit des Charakters. Selbst ältere Kameraden sahen zu dem frommen, aber
nicht kopfhängerischen, zu dem sittlich strengen, aber nicht pedantischen „Pastoren¬
jungen", der wohl nie einen martialischen Fluch über seine Lippen gebracht hat,
mit einem gewissen Respect empor; jüngern Kameraden war er ein treuer Be¬
rather und Warner, dessen freundliches Wort fast immer guten Ort faud. Ueber
die gewöhnlichen Schwächen und Vorurrheile seines Standes ist er weit erhaben.
Obgleich von Natur weich und mild, hat er doch, wo es darauf ankam, Festig¬
keit, Entschlossenheit und kaltblütigen Muth gezeigt. Mehr beharrlich durchgreifende
Energie wäre seinem Charakter allerdings zu wünschen; doch hat er anch von
dieser Eigenschaft eine Probe abgelegt, die ihm sehr schwer angekommen sein muß,
die aber gleichwohl beim Officiercorps scharfen Tadel gefunden und bis über
Deutschlands Grenzen hinaus diese Sensation erregt hat. In die Zeit seines
Ministeriums fiel bekanntlich der Gardeducorps-Exceß vom 9. April und die Er¬
stürmung des Zeughauses. In Folge hiervon wurde am 10. April durch kur¬
fürstliche Proclamation die Division der Gardeducorps für aufgelöst erklärt. Das
war allerdings eine harte Maßregel; deun an dem Exceß hatten sich nur ungefähr
zwanzig Soldaten aus zwei Schwadronen betheiligt. Und doch konnte Weiß,
konnte das Ministerium nicht anders handeln, um das grenzenlose Mißtrauen,
die traurige Nachwirkung früherer Jahre, — um die furchtbare, an den Grund¬
festen des Thrones rüttelnde Aufregung zu beschwichtigen. Hatten doch sogar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/273>, abgerufen am 22.07.2024.