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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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werden konnten. Das wollte es nicht, und doch wollte es von seinen Entwüchn
nicht lassen, und doch konnte es sich der Ueberzeugung, daß Beides unzertrennlich
sei, nicht verschließen. Daher dies Hin- und Hertaumelu ans einer Richtung in
die andere, dies Jntriguiren gegen die eigenen Zwecke -- ein Schauspiel, wie
es die Welt in der Art noch nicht erlebt hat, diese Rathlosigkeit und zugleich
dieser Hochmuth, der das Volk ebenso empörte, als zum Lachen brachte.

Feruer hatte es jene Furcht, die Keiner vermeiden kann, der nicht einig ist
in seinem Willen, in dem entgegengesetzte Wünsche sich bekämpfen. Es hoffte,
immer ganz unbestimmt, es werde noch eine günstigere Lage kommen. Es übersah
dabei, daß der Haß, deu die in ihren dynastischen Ansichten durch seiue Entwürfe
gekränkten Fürsten gegen dasselbe hegen mußten, und der weit stärker war, als
der gegen die Revolution, weil er sich an bestimmte, in ihrer Erscheinung sehr
verletzende Persönlichkeiten heften konnte, darum nicht verkleinert wurde, wenn diese
Fürsten lernten, was sie haßten, zugleich gering zu schätzen; daß die Gefahr mit
jedem Augenblicke wachsen, daß die Krisis doch endlich eintreten müsse, wenn man
nicht auch das aufgeben wolle, was man schon vor Anfang der Bewegung ge¬
habt. Die Furcht ist die gefährlichste Rathgeberin in bedenklichen Zeiten.

So ist denn dieses unmotivirte Ueberspringen ans einem Extrem in das
andere zu erklären. Zuerst gibt man sich den Anschein, als sei Alles in der
besten Ordnung. Da bekommt Oestreich Luft, und sogleich fallen Sachsen und
Hannover ab. Man läßt den "Verwaltungsrath" Schritte thun, den Weg Rechtens
zu verfolgen. Dann läßt man diesen Weg Rechtens einschlafen. Ueberall be¬
fördert man den Sturz der kleindcntschcn Märzministerien, denen nothwendig ein
particularistisches folgen muß, und dann zuckt man die Achseln wie verkannte Un¬
schuld. Die "bundeögetreuen" Regierungen, deren Haß gegen Preußen und
deren Muth immer mehr anschwillt, remonstriren gegen die parlamentarische Con-
stitution Kleindeutschlands. Man erwiedert mit ungemessenen Hochmuth und be¬
ruft das Parlament. Da droht Jemand an der Newa, und sogleich läßt man
seinen kleinlichen Groll an dem Parlament ans. Dieses Parlament ist von einer
Fügsamkeit, wie die Geschichte kein zweites Beispiel kennt, aber auch das ist nicht
recht, es soll nicht fügsam sein; was sollen wir denn? fragt es. Darauf erhält
es keine Antwort, man entläßt es ohne Resultat. -- Ich bemerke beiläufig, daß
sich zu dieser Posse, welche selbst deu geraden Sinn eines vormärzlichen Ministers
empörte, uuter andern auch Herr v. Nadowitz hergegeben hat, dem gegenüber Herr
v. Manteuffel, der auch gern eine populäre Figur sein möchte, damals den Li¬
beralen spielte. -- Der Fürstencougreß wird zusammenberufen, und ihm zum all¬
meinen Erstaunen die Frage vorgelegt: wollen wir überhaupt noch bei der Union
halten? Wir wollen, sagen einige, andere nicht, man geht auseinander, mittler¬
weile reconstrnirt sich der alte Bundestag.

Aber freilich, man hatte ja noch andere Mittelchen in Händen! Man hatte


werden konnten. Das wollte es nicht, und doch wollte es von seinen Entwüchn
nicht lassen, und doch konnte es sich der Ueberzeugung, daß Beides unzertrennlich
sei, nicht verschließen. Daher dies Hin- und Hertaumelu ans einer Richtung in
die andere, dies Jntriguiren gegen die eigenen Zwecke — ein Schauspiel, wie
es die Welt in der Art noch nicht erlebt hat, diese Rathlosigkeit und zugleich
dieser Hochmuth, der das Volk ebenso empörte, als zum Lachen brachte.

Feruer hatte es jene Furcht, die Keiner vermeiden kann, der nicht einig ist
in seinem Willen, in dem entgegengesetzte Wünsche sich bekämpfen. Es hoffte,
immer ganz unbestimmt, es werde noch eine günstigere Lage kommen. Es übersah
dabei, daß der Haß, deu die in ihren dynastischen Ansichten durch seiue Entwürfe
gekränkten Fürsten gegen dasselbe hegen mußten, und der weit stärker war, als
der gegen die Revolution, weil er sich an bestimmte, in ihrer Erscheinung sehr
verletzende Persönlichkeiten heften konnte, darum nicht verkleinert wurde, wenn diese
Fürsten lernten, was sie haßten, zugleich gering zu schätzen; daß die Gefahr mit
jedem Augenblicke wachsen, daß die Krisis doch endlich eintreten müsse, wenn man
nicht auch das aufgeben wolle, was man schon vor Anfang der Bewegung ge¬
habt. Die Furcht ist die gefährlichste Rathgeberin in bedenklichen Zeiten.

So ist denn dieses unmotivirte Ueberspringen ans einem Extrem in das
andere zu erklären. Zuerst gibt man sich den Anschein, als sei Alles in der
besten Ordnung. Da bekommt Oestreich Luft, und sogleich fallen Sachsen und
Hannover ab. Man läßt den „Verwaltungsrath" Schritte thun, den Weg Rechtens
zu verfolgen. Dann läßt man diesen Weg Rechtens einschlafen. Ueberall be¬
fördert man den Sturz der kleindcntschcn Märzministerien, denen nothwendig ein
particularistisches folgen muß, und dann zuckt man die Achseln wie verkannte Un¬
schuld. Die „bundeögetreuen" Regierungen, deren Haß gegen Preußen und
deren Muth immer mehr anschwillt, remonstriren gegen die parlamentarische Con-
stitution Kleindeutschlands. Man erwiedert mit ungemessenen Hochmuth und be¬
ruft das Parlament. Da droht Jemand an der Newa, und sogleich läßt man
seinen kleinlichen Groll an dem Parlament ans. Dieses Parlament ist von einer
Fügsamkeit, wie die Geschichte kein zweites Beispiel kennt, aber auch das ist nicht
recht, es soll nicht fügsam sein; was sollen wir denn? fragt es. Darauf erhält
es keine Antwort, man entläßt es ohne Resultat. — Ich bemerke beiläufig, daß
sich zu dieser Posse, welche selbst deu geraden Sinn eines vormärzlichen Ministers
empörte, uuter andern auch Herr v. Nadowitz hergegeben hat, dem gegenüber Herr
v. Manteuffel, der auch gern eine populäre Figur sein möchte, damals den Li¬
beralen spielte. — Der Fürstencougreß wird zusammenberufen, und ihm zum all¬
meinen Erstaunen die Frage vorgelegt: wollen wir überhaupt noch bei der Union
halten? Wir wollen, sagen einige, andere nicht, man geht auseinander, mittler¬
weile reconstrnirt sich der alte Bundestag.

Aber freilich, man hatte ja noch andere Mittelchen in Händen! Man hatte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/253>, abgerufen am 25.08.2024.