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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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siegreichen, freien, in keiner Weise gebundenen Preußen der deutschen Nation
angeboten wurde, war im Wesentlichen die Erfüllung des Programms vom
23. Januar, und mit einem Recht, das wir jetzt ihm gegeuüber anwenden to'unen,
hat das Ministerium uns fortdauernd daran erinnert, daß, was es wolle, etwas
Anderes sei, als was wir wollten.

Konnte Preußen damals hoffen, daß Oestreich freiwillig seinen Einfluß in
Deutschland aufgeben, daß die kleinen Königreiche sich freiwillig der preußischen He¬
gemonie unterordnen würden? -- Es gab sich den Anschein, und anch wir wurden
zum Theil getäuscht. Deun Sachsen und Hannover hatten zu unserm größten
Erstaunen deu Vertrag unterzeichnet, Baden war ganz in Preußens Händen, der
Zutritt der kleinen Staaten -- Würtemberg, das damals noch ganz in den Hän¬
den des Liberalismus war, mit eingeschlossen -- schien unvermeidlich, und Oestreich
war auf eine Weise in einen innern Bürgerkrieg verwickelt, daß man an ein un¬
mittelbares Einschreiten seinerseits nicht denken durfte.

Freilich kam es schon nach einigen Tagen heraus, daß der Beitritt Sachsens
und Hannovers an Bedingungen geknüpft war, die den ganzen Vertrag illusorisch
machten. Das Novemberministcrium hatte mit seiner gewöhnlichen, kleinlichen Pfiffig¬
keit diese Bedingungen verschwiege". Aber es erklärte daun, und zwar auf nicht
unhaltbare Nechtsdednetionen gestützt, diesen Vorbehalt für ungiltig. Die liberale
Partei trat zu dem neuen Bündniß über, und so hatte das Novemberministerium,
so lange die Krisis in Ungarn dauerte, volle Gewalt in Händen, den provisorischen
oder vielmehr projectirten Rechtszustand in einen definitiven zu verwandeln.

Es hat es nicht gethan. Jetzt freilich brüstet es sich mit der preußischen
Ehrlichkeit, welche die bedrängte Lage eines alten Bundesgenossen uicht zur Er-
reichung eigennütziger Zwecke habe mißbrauchen wollen. Aber ein Ministerium,
welches für Preußen erst eine Verfassung octroyirt, dann, nachdem sie von den
Kammern anerkannt ist, aus eigner Machtvollkommenheit das Wahlgesetz ändert,
dann, nachdem die Verfassung von den neuen, nur ans conservativen Elementen
zusammengesetzten Kannnern in conservativen oder vielmehr reactionären Sinn
revidirt ist, erklärt, sie werde dennoch nicht beschworen werden, wenn man nicht
noch diese und jene neuen Bestiunnnngen hineinrevidire; ein Ministerium, welches
am 26. Mai für Deutschland eine Verfassung verkündet, welche die Regierung
binden soll, vorausgesetzt, daß sie vom Parlament angenommen wird, und die
dem Parlament, als es sie annehmen will, erklärt, in diesem Fall fände es sich
nicht daran gebunden -- ein Ministerium, welches sich dieser und ähnlicher
rettenden Thaten rühmen kann, möge anderwärts hingehen, von seiner Ehrlichkeit
zu erzählen.

Der eigentliche Grund, warum es nichts that, war ein doppelter. Es hat
ebensowohl eingesehen, als wir es einsahen, daß auf die Dauer seiue Entwürfe'
nur durch eilte rückhaltlose Hingabe an das constitutionelle Princip durchgeführt


siegreichen, freien, in keiner Weise gebundenen Preußen der deutschen Nation
angeboten wurde, war im Wesentlichen die Erfüllung des Programms vom
23. Januar, und mit einem Recht, das wir jetzt ihm gegeuüber anwenden to'unen,
hat das Ministerium uns fortdauernd daran erinnert, daß, was es wolle, etwas
Anderes sei, als was wir wollten.

Konnte Preußen damals hoffen, daß Oestreich freiwillig seinen Einfluß in
Deutschland aufgeben, daß die kleinen Königreiche sich freiwillig der preußischen He¬
gemonie unterordnen würden? — Es gab sich den Anschein, und anch wir wurden
zum Theil getäuscht. Deun Sachsen und Hannover hatten zu unserm größten
Erstaunen deu Vertrag unterzeichnet, Baden war ganz in Preußens Händen, der
Zutritt der kleinen Staaten — Würtemberg, das damals noch ganz in den Hän¬
den des Liberalismus war, mit eingeschlossen — schien unvermeidlich, und Oestreich
war auf eine Weise in einen innern Bürgerkrieg verwickelt, daß man an ein un¬
mittelbares Einschreiten seinerseits nicht denken durfte.

Freilich kam es schon nach einigen Tagen heraus, daß der Beitritt Sachsens
und Hannovers an Bedingungen geknüpft war, die den ganzen Vertrag illusorisch
machten. Das Novemberministcrium hatte mit seiner gewöhnlichen, kleinlichen Pfiffig¬
keit diese Bedingungen verschwiege«. Aber es erklärte daun, und zwar auf nicht
unhaltbare Nechtsdednetionen gestützt, diesen Vorbehalt für ungiltig. Die liberale
Partei trat zu dem neuen Bündniß über, und so hatte das Novemberministerium,
so lange die Krisis in Ungarn dauerte, volle Gewalt in Händen, den provisorischen
oder vielmehr projectirten Rechtszustand in einen definitiven zu verwandeln.

Es hat es nicht gethan. Jetzt freilich brüstet es sich mit der preußischen
Ehrlichkeit, welche die bedrängte Lage eines alten Bundesgenossen uicht zur Er-
reichung eigennütziger Zwecke habe mißbrauchen wollen. Aber ein Ministerium,
welches für Preußen erst eine Verfassung octroyirt, dann, nachdem sie von den
Kammern anerkannt ist, aus eigner Machtvollkommenheit das Wahlgesetz ändert,
dann, nachdem die Verfassung von den neuen, nur ans conservativen Elementen
zusammengesetzten Kannnern in conservativen oder vielmehr reactionären Sinn
revidirt ist, erklärt, sie werde dennoch nicht beschworen werden, wenn man nicht
noch diese und jene neuen Bestiunnnngen hineinrevidire; ein Ministerium, welches
am 26. Mai für Deutschland eine Verfassung verkündet, welche die Regierung
binden soll, vorausgesetzt, daß sie vom Parlament angenommen wird, und die
dem Parlament, als es sie annehmen will, erklärt, in diesem Fall fände es sich
nicht daran gebunden — ein Ministerium, welches sich dieser und ähnlicher
rettenden Thaten rühmen kann, möge anderwärts hingehen, von seiner Ehrlichkeit
zu erzählen.

Der eigentliche Grund, warum es nichts that, war ein doppelter. Es hat
ebensowohl eingesehen, als wir es einsahen, daß auf die Dauer seiue Entwürfe'
nur durch eilte rückhaltlose Hingabe an das constitutionelle Princip durchgeführt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/252>, abgerufen am 22.07.2024.