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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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pfindnngen. -- Jetzt gingen wir zu einem gemeinsamen Bekannten, bei dem sich
eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft eingefunden hatte; Niemand war, das kann
man sich denken, am Abend des bösen Freitag gern allein.

Aber eine merkwürdige Ueberraschung war uns vorbehalten. Wir glaubten,
es könne nur eine Ansicht über die Katastrophe geben, die wir erlebt hatten,
aber allgemein wunderte man sich über unser verstörtes Aussehen, und Niemand
sah etwas Anderes denn Uebertreibung, Verzagtheit und Unkenntnis; des Wiener
Charakters darin, als Kurt sich erschöpft in die Sophaecke warf und lakonisch
bemerkte: "Es ist aus, meine Herren! Ich hatte nicht geglaubt, daß die östreichische
Bewegung ein so rasches und schmähliches Ende nehmen wird." -- "Da hört
man den Norddeutschen!" lächelten die Wiener. -- "Ich rathe Ihnen", sprach
er zu einem Redacteur gewendet, "packen Sie Ihre Blätter zusammen, es ist aus!
Altöstreich mag wieder auferstehen, sein Grab ist gesprengt, das freie Oestreich
hat ein schmählich Ende genommen. ?mis ^u8triae!




Der Kurfürst und Haffenpflug.

Man hat Recht, wenn man so manchen Schritt des Kurfürsten von Hessen
in der letzten Zeit als einen unfreiwilligen ausieht, zu dem er durch die Abschüssig¬
keit der von ihm betretenen Bahn, durch deu für sich allein rechnenden ordinären
Egoismus Hasseupflug's und deu fanatischen Eifer Vilmar's (welcher letztere von
den gleichzeitigen Berichten der letztvergangenen Vorgänge ungebührlich übersehen
ist) genöthigt wurde. Es sind viele Maaßregeln, welche in leicht erkennbaren Ge¬
präge den Stempel eiuer Ausbeutung des Kurfürsten, seines Starrsinnes und seiner
Herrschsucht zeigen; denn die, wenn wir nicht irren, ziemlich allgemein verbreitete An¬
sicht von einer bei dem Kurfürsten fehlenden geistigen Kraft zur Erkenntniß eines solchen
seinen eigeuen Intentionen entgegenstehenden Interesses Anderer an ihm ist eine durch¬
aus irrige. Dagegen ist die Berufung Hassenpflng's zum Ministerpräsidenten in Kur¬
hessen sein eigenstes Werk und von ihm allein ausgegangen. Nicht so der feindselige
Gegensatz, in dem er sich schon längere Zeit gegen das Ministerium Eberhard be¬
fand, das ihm ohne alle Frage und trotz der widerlich gemeinen Lügen und Ver¬
drehungen eines Vilmar und Konsorten im "hessischen Volksfreund" seineu Thron
und seine enorme, aber ans klarem Nechtsritel fußende Civilliste auch aus den ge¬
waltigsten Stürmen gerettet hatte. Schon diese Thatsache konnte jedoch dem
Ministerium bei dein Kurfürsten nur schaden, da ein der Dankbarkeit für geleistete
Dienste entgegengesetztes Gefühl in ihm herrscht. Aber er vergaß auch zu keiner
Zeit, daß es nicht sein unbedingt freier Eigenwille gewesen war, der dieses März-


pfindnngen. — Jetzt gingen wir zu einem gemeinsamen Bekannten, bei dem sich
eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft eingefunden hatte; Niemand war, das kann
man sich denken, am Abend des bösen Freitag gern allein.

Aber eine merkwürdige Ueberraschung war uns vorbehalten. Wir glaubten,
es könne nur eine Ansicht über die Katastrophe geben, die wir erlebt hatten,
aber allgemein wunderte man sich über unser verstörtes Aussehen, und Niemand
sah etwas Anderes denn Uebertreibung, Verzagtheit und Unkenntnis; des Wiener
Charakters darin, als Kurt sich erschöpft in die Sophaecke warf und lakonisch
bemerkte: „Es ist aus, meine Herren! Ich hatte nicht geglaubt, daß die östreichische
Bewegung ein so rasches und schmähliches Ende nehmen wird." — „Da hört
man den Norddeutschen!" lächelten die Wiener. — „Ich rathe Ihnen", sprach
er zu einem Redacteur gewendet, „packen Sie Ihre Blätter zusammen, es ist aus!
Altöstreich mag wieder auferstehen, sein Grab ist gesprengt, das freie Oestreich
hat ein schmählich Ende genommen. ?mis ^u8triae!




Der Kurfürst und Haffenpflug.

Man hat Recht, wenn man so manchen Schritt des Kurfürsten von Hessen
in der letzten Zeit als einen unfreiwilligen ausieht, zu dem er durch die Abschüssig¬
keit der von ihm betretenen Bahn, durch deu für sich allein rechnenden ordinären
Egoismus Hasseupflug's und deu fanatischen Eifer Vilmar's (welcher letztere von
den gleichzeitigen Berichten der letztvergangenen Vorgänge ungebührlich übersehen
ist) genöthigt wurde. Es sind viele Maaßregeln, welche in leicht erkennbaren Ge¬
präge den Stempel eiuer Ausbeutung des Kurfürsten, seines Starrsinnes und seiner
Herrschsucht zeigen; denn die, wenn wir nicht irren, ziemlich allgemein verbreitete An¬
sicht von einer bei dem Kurfürsten fehlenden geistigen Kraft zur Erkenntniß eines solchen
seinen eigeuen Intentionen entgegenstehenden Interesses Anderer an ihm ist eine durch¬
aus irrige. Dagegen ist die Berufung Hassenpflng's zum Ministerpräsidenten in Kur¬
hessen sein eigenstes Werk und von ihm allein ausgegangen. Nicht so der feindselige
Gegensatz, in dem er sich schon längere Zeit gegen das Ministerium Eberhard be¬
fand, das ihm ohne alle Frage und trotz der widerlich gemeinen Lügen und Ver¬
drehungen eines Vilmar und Konsorten im „hessischen Volksfreund" seineu Thron
und seine enorme, aber ans klarem Nechtsritel fußende Civilliste auch aus den ge¬
waltigsten Stürmen gerettet hatte. Schon diese Thatsache konnte jedoch dem
Ministerium bei dein Kurfürsten nur schaden, da ein der Dankbarkeit für geleistete
Dienste entgegengesetztes Gefühl in ihm herrscht. Aber er vergaß auch zu keiner
Zeit, daß es nicht sein unbedingt freier Eigenwille gewesen war, der dieses März-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/232>, abgerufen am 25.07.2024.