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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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es, ich erkenne das scharfe Profil und die gewölbte Stirn des mannhaften stolzen
Gesichts, welches der grausame Krampf des Erstickens schwarz gefärbt hat; auf
die Brust gesenkt, droht es finster auf den sinnlosen Pöbel nieder. Eine Vogel¬
scheuche, aber eine tragische Vogelscheuche, die selbstentwürdigende Rohheit der
Menschen anklagend, ist der Mann geworden, vor welchem heute Morgen Tau¬
sende gezittert. Schauerlich war das Aussehen der Leiche, abstoßender jedoch
waren die Lebenden ans dem Hof. Hie und da flammten Fackeln ans und warfen
ein grelles Licht aus die wahrscheilüichen Hanptspieler im Drama: wüste Gesellen,
die der Unterwelt entstiegen oder dnrch Hexerei aus den verrufensten Vierteln
der französischen Kothstadt hierher versetzt schienen, denn nie hatte ich von der
Existenz solcher Gestalten in Wien eine Ahnung gehabt. Oder stampfte die Furie
des Bürgerkriegs urplötzlich diese Erscheinungen aus dem Boden? Einige stießen
mit schweren Eisenstangen triumphirend aufs Pflaster, während sie noch vor
Schlachtwuth mit den Zähnen knirschten und die roth unterlaufenen Augen, ans
den blassen, fieberzuckcnden Gesichtern vorquellend, gierig das Opfer der Volks¬
justiz verschlangen; Andere drängten sich mit Fleischeräxten und Spießen im Arm
dem Kandelaber zu, als brennten sie, das vergossene Blut, das ihre zerrissenen
Kittel und Jacken besudelte, noch an der Leiche des ermordeten Feindes zu rächen.
Dazwischen wohlgekleidete Herren in Glacehandschuhen und Schwärme von
Weibsbildern mit brutaler Neugier, manche sogar mit albernen Lächeln hin- und
herglvtzeud; diese Gruppen waren die widerlichsten. Statt einer ergreifenden
Todtenstille, die man auf solcher Stätte wohl erwartet, als Zeichen, daß im Volke
ein Bewußtsein der begangenen That aufdämmert, Gesumm und Gemurmel wie
im Parterre des Theaters, wenn der Vorhang des vierten Acts gefallen ist,
dann und wann wildes Geschrei, ja zuweilen ein heiseres Gelächter! . .

Täuscht mich meine Erinnerung nicht, so ertrugen wir, ich und mein Be¬
gleiter, dessen Hand meinen Arm wie eine Eisenklammer festhielt, den Anblick
über eine Minute; wir standen anfangs in den Boden gewurzelt, dann aber
suchten wir uns mit gewaltigem Ruck aus dem Gewühl fortzuarbeiten; wir fürch¬
teten, dnrch ein lautes Wort unser Gefühl zu verrathen, unwillkürlich einem der
Heroen in's Gesicht zu spucken, und den Schlag einer Eisenstange zu erhalte".
In dem Gäßchen, durch welches wir ans den Hof gekommen waren, stockte plötzlich
der Menschenstrom, und kehrte um und drohte uns auf den Schauplatz der blu-
tigen Orgie zurückzudrängen. Ein fernes Wagengerassel -- so feige macht das
unterdrückte Gewissen -- verbreitete panischen Schrecken. Die Nassauer kommen,
man schießt wieder auf dem hohen Markt -- die Alarmtrommel? schrien ängst¬
liche Stimmen durch einander. Es ist nichts! keine Maus rührt sich! beruhigten
zuletzt zwei Sicherheitswächter, die vom hohen Markt kamen, und das Gewühl
setzte sich wieder in Gang. Ein verachtendes Lächeln kräuselte Kurt's Lippen,
und stumm lasen wir Einer in des Andern Mienen den Einklang unserer Em-


es, ich erkenne das scharfe Profil und die gewölbte Stirn des mannhaften stolzen
Gesichts, welches der grausame Krampf des Erstickens schwarz gefärbt hat; auf
die Brust gesenkt, droht es finster auf den sinnlosen Pöbel nieder. Eine Vogel¬
scheuche, aber eine tragische Vogelscheuche, die selbstentwürdigende Rohheit der
Menschen anklagend, ist der Mann geworden, vor welchem heute Morgen Tau¬
sende gezittert. Schauerlich war das Aussehen der Leiche, abstoßender jedoch
waren die Lebenden ans dem Hof. Hie und da flammten Fackeln ans und warfen
ein grelles Licht aus die wahrscheilüichen Hanptspieler im Drama: wüste Gesellen,
die der Unterwelt entstiegen oder dnrch Hexerei aus den verrufensten Vierteln
der französischen Kothstadt hierher versetzt schienen, denn nie hatte ich von der
Existenz solcher Gestalten in Wien eine Ahnung gehabt. Oder stampfte die Furie
des Bürgerkriegs urplötzlich diese Erscheinungen aus dem Boden? Einige stießen
mit schweren Eisenstangen triumphirend aufs Pflaster, während sie noch vor
Schlachtwuth mit den Zähnen knirschten und die roth unterlaufenen Augen, ans
den blassen, fieberzuckcnden Gesichtern vorquellend, gierig das Opfer der Volks¬
justiz verschlangen; Andere drängten sich mit Fleischeräxten und Spießen im Arm
dem Kandelaber zu, als brennten sie, das vergossene Blut, das ihre zerrissenen
Kittel und Jacken besudelte, noch an der Leiche des ermordeten Feindes zu rächen.
Dazwischen wohlgekleidete Herren in Glacehandschuhen und Schwärme von
Weibsbildern mit brutaler Neugier, manche sogar mit albernen Lächeln hin- und
herglvtzeud; diese Gruppen waren die widerlichsten. Statt einer ergreifenden
Todtenstille, die man auf solcher Stätte wohl erwartet, als Zeichen, daß im Volke
ein Bewußtsein der begangenen That aufdämmert, Gesumm und Gemurmel wie
im Parterre des Theaters, wenn der Vorhang des vierten Acts gefallen ist,
dann und wann wildes Geschrei, ja zuweilen ein heiseres Gelächter! . .

Täuscht mich meine Erinnerung nicht, so ertrugen wir, ich und mein Be¬
gleiter, dessen Hand meinen Arm wie eine Eisenklammer festhielt, den Anblick
über eine Minute; wir standen anfangs in den Boden gewurzelt, dann aber
suchten wir uns mit gewaltigem Ruck aus dem Gewühl fortzuarbeiten; wir fürch¬
teten, dnrch ein lautes Wort unser Gefühl zu verrathen, unwillkürlich einem der
Heroen in's Gesicht zu spucken, und den Schlag einer Eisenstange zu erhalte».
In dem Gäßchen, durch welches wir ans den Hof gekommen waren, stockte plötzlich
der Menschenstrom, und kehrte um und drohte uns auf den Schauplatz der blu-
tigen Orgie zurückzudrängen. Ein fernes Wagengerassel — so feige macht das
unterdrückte Gewissen — verbreitete panischen Schrecken. Die Nassauer kommen,
man schießt wieder auf dem hohen Markt — die Alarmtrommel? schrien ängst¬
liche Stimmen durch einander. Es ist nichts! keine Maus rührt sich! beruhigten
zuletzt zwei Sicherheitswächter, die vom hohen Markt kamen, und das Gewühl
setzte sich wieder in Gang. Ein verachtendes Lächeln kräuselte Kurt's Lippen,
und stumm lasen wir Einer in des Andern Mienen den Einklang unserer Em-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/231>, abgerufen am 25.07.2024.