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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Ministerium herbeigerufen hattet) Von der Entfernung Eberhard's war wohl ein
allgemeiner Oppositionöallarm der constitutionellen Partei, allein keine aufständische
Bewegung zu fürchten, da die demokratische Presse und Partei in einer der Ver¬
rücktheit nahe gekommmeueu Verblendung in lächerlichen Phrasen, "Consequenzen"
und in deu rohesten Wuthausbrüchen täglich ihr veterum eeriseo gegen deu Fort¬
bestand des Märzministcriumö erschallen ließ. Die Verhandlungen mit turhes¬
sisch en Bemuteu ans der vormärzlichen Zeit führten zu nichts; ja diese riethen
sogar zum Theil geradezu dem Kurfürsten die dermalige Beibehaltung Eberhard's
an. Die mit Hassenpflng wurden bis auf die letzte Zeit mit der größten Heim¬
lichkeit betrieben. Der Kurfürst berühmte sich selbst bei dem allgemeinen Erstannen
auch feiner nächsten Umgebung, daß Alles verschwiegen geblieben sei. Und doch
war die Wahl dieses Mannes für den .Kurfürsten selbst ein sehr harter Schritt.
Der Kurfürst mußte wissen, daß er eben deshalb denselben Manu früher verab¬
schiedet hatte, weil dieser statt seiner als Fürst zu regieren unternommen hatte;
sie waren durchaus ohne Freundschaftsbezeugungen für ein späteres Wiedersehen
geschieden. Auch für die exclusiver Prätensionen der von Hassenpflng ministeriell
über die Taufe gehaltenen Mystiker und für das von ihm gehätschelte muckerische
Cliqueweseu hat der Kurfürst keinen Sinn. Mit nüchterner hausbackener Ver¬
ständigkeit steht er allen höhern Interessen, welche über den Erwerb und das
Herrschen hinaus gehen, gegenüber. Hundertmal hat er sich die Menschen, die
er in seine Nähe hatte herantreten lassen, dienstbar gemacht, darum verachtet
er die Menschen überhaupt und glaubt uicht an ganz reine und edle Motive
in denselben. Er braucht sie, dann läßt er sie ziehen und dem etwaigen Pudel-
gewedel der Günstlinge schickt er selbst das sardonische Lächeln hinterher. Von
dem Nilgenblick an, wo er eine Ahnung davon erhalten hat, daß sein Premier¬
minister für eigene und auswärtige Interessen arbeite, hat er ganz gewiß seine
Gedenktafel mit einem uuverwischlichen inemonw bereichert, wenn er anch jenen
Menschen noch beibehielt, weil er ihm jetzt zum Weitergehen unentbehrlich war
und er nichts mehr scheut, als deu Tadel oder auch uur deu Schein auf sich zu
laden, ein anderer Menfch habe ihn hintergehen und für sich benutzen können.
Ebenso steht er den: Vorwurf eiuer "Umkehr vom einmal betretenen Wege" und
"halber Maßregeln" gegenüber. So unentschlossen und tausendmal hin- und
hergezogen er vor einem Unternehmen auch von sehr untergeordneter Art steht,
so starrsinnig bleibt er dann bei den einmal erklärten Entschließungen und geht
um so weniger davon ab, je mehr sich von andern Menschen her Einspruch und
Widerstand erhebt. Bei sämmtlichen Affairen der letzten Zeit hat dem Kur¬
fürsten seine gewöhnliche Berathuugshilfe vor seinen Erschließungen: die Gräfin



Ueber die charakteristische Abschiedsscene zwischen dem Kurfürsten und diesem Mini¬
sterium s. d. Grenzvoten vom -i. Octover d. I.
GrcnMcn. IV. 1850. 94

Ministerium herbeigerufen hattet) Von der Entfernung Eberhard's war wohl ein
allgemeiner Oppositionöallarm der constitutionellen Partei, allein keine aufständische
Bewegung zu fürchten, da die demokratische Presse und Partei in einer der Ver¬
rücktheit nahe gekommmeueu Verblendung in lächerlichen Phrasen, „Consequenzen"
und in deu rohesten Wuthausbrüchen täglich ihr veterum eeriseo gegen deu Fort¬
bestand des Märzministcriumö erschallen ließ. Die Verhandlungen mit turhes¬
sisch en Bemuteu ans der vormärzlichen Zeit führten zu nichts; ja diese riethen
sogar zum Theil geradezu dem Kurfürsten die dermalige Beibehaltung Eberhard's
an. Die mit Hassenpflng wurden bis auf die letzte Zeit mit der größten Heim¬
lichkeit betrieben. Der Kurfürst berühmte sich selbst bei dem allgemeinen Erstannen
auch feiner nächsten Umgebung, daß Alles verschwiegen geblieben sei. Und doch
war die Wahl dieses Mannes für den .Kurfürsten selbst ein sehr harter Schritt.
Der Kurfürst mußte wissen, daß er eben deshalb denselben Manu früher verab¬
schiedet hatte, weil dieser statt seiner als Fürst zu regieren unternommen hatte;
sie waren durchaus ohne Freundschaftsbezeugungen für ein späteres Wiedersehen
geschieden. Auch für die exclusiver Prätensionen der von Hassenpflng ministeriell
über die Taufe gehaltenen Mystiker und für das von ihm gehätschelte muckerische
Cliqueweseu hat der Kurfürst keinen Sinn. Mit nüchterner hausbackener Ver¬
ständigkeit steht er allen höhern Interessen, welche über den Erwerb und das
Herrschen hinaus gehen, gegenüber. Hundertmal hat er sich die Menschen, die
er in seine Nähe hatte herantreten lassen, dienstbar gemacht, darum verachtet
er die Menschen überhaupt und glaubt uicht an ganz reine und edle Motive
in denselben. Er braucht sie, dann läßt er sie ziehen und dem etwaigen Pudel-
gewedel der Günstlinge schickt er selbst das sardonische Lächeln hinterher. Von
dem Nilgenblick an, wo er eine Ahnung davon erhalten hat, daß sein Premier¬
minister für eigene und auswärtige Interessen arbeite, hat er ganz gewiß seine
Gedenktafel mit einem uuverwischlichen inemonw bereichert, wenn er anch jenen
Menschen noch beibehielt, weil er ihm jetzt zum Weitergehen unentbehrlich war
und er nichts mehr scheut, als deu Tadel oder auch uur deu Schein auf sich zu
laden, ein anderer Menfch habe ihn hintergehen und für sich benutzen können.
Ebenso steht er den: Vorwurf eiuer „Umkehr vom einmal betretenen Wege" und
„halber Maßregeln" gegenüber. So unentschlossen und tausendmal hin- und
hergezogen er vor einem Unternehmen auch von sehr untergeordneter Art steht,
so starrsinnig bleibt er dann bei den einmal erklärten Entschließungen und geht
um so weniger davon ab, je mehr sich von andern Menschen her Einspruch und
Widerstand erhebt. Bei sämmtlichen Affairen der letzten Zeit hat dem Kur¬
fürsten seine gewöhnliche Berathuugshilfe vor seinen Erschließungen: die Gräfin



Ueber die charakteristische Abschiedsscene zwischen dem Kurfürsten und diesem Mini¬
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[0233] Ministerium herbeigerufen hattet) Von der Entfernung Eberhard's war wohl ein allgemeiner Oppositionöallarm der constitutionellen Partei, allein keine aufständische Bewegung zu fürchten, da die demokratische Presse und Partei in einer der Ver¬ rücktheit nahe gekommmeueu Verblendung in lächerlichen Phrasen, „Consequenzen" und in deu rohesten Wuthausbrüchen täglich ihr veterum eeriseo gegen deu Fort¬ bestand des Märzministcriumö erschallen ließ. Die Verhandlungen mit turhes¬ sisch en Bemuteu ans der vormärzlichen Zeit führten zu nichts; ja diese riethen sogar zum Theil geradezu dem Kurfürsten die dermalige Beibehaltung Eberhard's an. Die mit Hassenpflng wurden bis auf die letzte Zeit mit der größten Heim¬ lichkeit betrieben. Der Kurfürst berühmte sich selbst bei dem allgemeinen Erstannen auch feiner nächsten Umgebung, daß Alles verschwiegen geblieben sei. Und doch war die Wahl dieses Mannes für den .Kurfürsten selbst ein sehr harter Schritt. Der Kurfürst mußte wissen, daß er eben deshalb denselben Manu früher verab¬ schiedet hatte, weil dieser statt seiner als Fürst zu regieren unternommen hatte; sie waren durchaus ohne Freundschaftsbezeugungen für ein späteres Wiedersehen geschieden. Auch für die exclusiver Prätensionen der von Hassenpflng ministeriell über die Taufe gehaltenen Mystiker und für das von ihm gehätschelte muckerische Cliqueweseu hat der Kurfürst keinen Sinn. Mit nüchterner hausbackener Ver¬ ständigkeit steht er allen höhern Interessen, welche über den Erwerb und das Herrschen hinaus gehen, gegenüber. Hundertmal hat er sich die Menschen, die er in seine Nähe hatte herantreten lassen, dienstbar gemacht, darum verachtet er die Menschen überhaupt und glaubt uicht an ganz reine und edle Motive in denselben. Er braucht sie, dann läßt er sie ziehen und dem etwaigen Pudel- gewedel der Günstlinge schickt er selbst das sardonische Lächeln hinterher. Von dem Nilgenblick an, wo er eine Ahnung davon erhalten hat, daß sein Premier¬ minister für eigene und auswärtige Interessen arbeite, hat er ganz gewiß seine Gedenktafel mit einem uuverwischlichen inemonw bereichert, wenn er anch jenen Menschen noch beibehielt, weil er ihm jetzt zum Weitergehen unentbehrlich war und er nichts mehr scheut, als deu Tadel oder auch uur deu Schein auf sich zu laden, ein anderer Menfch habe ihn hintergehen und für sich benutzen können. Ebenso steht er den: Vorwurf eiuer „Umkehr vom einmal betretenen Wege" und „halber Maßregeln" gegenüber. So unentschlossen und tausendmal hin- und hergezogen er vor einem Unternehmen auch von sehr untergeordneter Art steht, so starrsinnig bleibt er dann bei den einmal erklärten Entschließungen und geht um so weniger davon ab, je mehr sich von andern Menschen her Einspruch und Widerstand erhebt. Bei sämmtlichen Affairen der letzten Zeit hat dem Kur¬ fürsten seine gewöhnliche Berathuugshilfe vor seinen Erschließungen: die Gräfin Ueber die charakteristische Abschiedsscene zwischen dem Kurfürsten und diesem Mini¬ sterium s. d. Grenzvoten vom -i. Octover d. I. GrcnMcn. IV. 1850. 94

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/233>, abgerufen am 25.07.2024.