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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Hut des gefallenen Generals wurde bald darauf durch die Leopoldstadt auf einem
langen Stock getragen. Die Verluste an Menschenleben und der Widerstand der
Nassauer wurden anfangs unterschätzt, denn hundert Leichen, darunter sechzig im
Rock des Kaisers, bedeckten den Kampfplatz am Tabor. Was jedoch wunderbar,
die Kunde von diesen Ereignissen schien früher, als sie sich ereignet hatten, die
Stadt zu durchfliegen.

Aber mau soll deu Tag uicht vor dem Abend loben! Ich eilte zur Reit¬
schule. -- Die Reitschule war leer, Niemand konnte sagen, ob der Reichstag
Sitzung halten, ob das Ministerium eiuen Schritt zur Beruhigung des Volks
unternehmen oder das Schicksal Wiens und der Monarchie den Händen des
Kriegsministers allein anvertrauen werde.

Unbegreiflich, dachte ich, warum das Ministerium gerade deutsche Truppen
gegen Ungarn entbot. Kamille es ihre drohende Stimmung nicht? Gab es nicht
genug zuverlässige slavische Bataillone in Wien? Hastig ging ich von der Reit-
schule durch die Dorotheengasse über den Graben und Stephausplatz zurück.
Hier und da gellte noch der Ruf zu deu Waffen, vor dem Dom standen zwei
Colonnen Nationalgarde, einander gegenüber, maßen sich mit zweifelnden Blicken
und murmelten ängstlich, aber der Kampf am Tabor schien ausgefochten, wenig¬
stens war eine Pause eingetreten, und man konnte seine Gedanken sammeln.

Horch, ein Schuß, wieder einer, darauf knatterndes Pelotonfeuer, -- das
ist in der innern Stadt, es klingt zu nahe, und schreiende Weiber fliehen über den
"hohen Markt." Wir eilen auf die Tuchlauben-Gasse, uus krampfhaft bei den
Händen fassend, wie zaghafte Wanderer, die im schweren Gewitter durch den
Wald gehen und sorgsam in der Mitte des Weges forteilen, gleich weit von
den hohen Bäumen an jeder Seite, deren Wipfeln der Blitz droht. Die Tnch-
laubeu verengern sich an ihrem Ende zur schmalen Spänglergasse, sie ist von
dunklem Rauch erfüllt, aber gedankenlos, wie man trotz des aufrichtigsten Herz-
pochens in solchen Momenten zu sein Pflegt, bleibe ich mit meinem Freund gerade
vor der Nebelwand stehen, als ein Garde, der hinter der Ecke des vorspringen¬
den ersten Hauses der Spänglergasse lauert, herantritt. "Gehen's links!" herrscht
er uus zu, legt an und ein rothgelbstrahlender Blitz schlägt in deu dunkeln
Qualm, in dessen Hintergrund auf einen Augenblick die verschwimmenden Um¬
risse einer gradlinigen finstern Männerreihe sichtbar werden. Da drängte der
Knäuel müßiger Zuschauer, schreckergriffen, uus bis in das Thor des Conser-
vatoriums zurück, aus deu Seitengassen stürzen einzelne Kämpfer, die Kleider
zerrissen, Wangen und Hände pulvergeschwärzt, mit wüthendem, aber unverständ¬
lichem Geschrei vor; das inarticnlirte Gebrüll verstummt Plötzlich, und nach einer
bangen secundenlaugen Pause bricht das Gewitter los; geschäftsmäßig wie in
regulärer Schlacht, man hört nichts als abwechselnd trommeln und schießen; recht
dramatisch, wie Rede und Gegenrede in der spannendsten Scene eines Trauer-


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Hut des gefallenen Generals wurde bald darauf durch die Leopoldstadt auf einem
langen Stock getragen. Die Verluste an Menschenleben und der Widerstand der
Nassauer wurden anfangs unterschätzt, denn hundert Leichen, darunter sechzig im
Rock des Kaisers, bedeckten den Kampfplatz am Tabor. Was jedoch wunderbar,
die Kunde von diesen Ereignissen schien früher, als sie sich ereignet hatten, die
Stadt zu durchfliegen.

Aber mau soll deu Tag uicht vor dem Abend loben! Ich eilte zur Reit¬
schule. — Die Reitschule war leer, Niemand konnte sagen, ob der Reichstag
Sitzung halten, ob das Ministerium eiuen Schritt zur Beruhigung des Volks
unternehmen oder das Schicksal Wiens und der Monarchie den Händen des
Kriegsministers allein anvertrauen werde.

Unbegreiflich, dachte ich, warum das Ministerium gerade deutsche Truppen
gegen Ungarn entbot. Kamille es ihre drohende Stimmung nicht? Gab es nicht
genug zuverlässige slavische Bataillone in Wien? Hastig ging ich von der Reit-
schule durch die Dorotheengasse über den Graben und Stephausplatz zurück.
Hier und da gellte noch der Ruf zu deu Waffen, vor dem Dom standen zwei
Colonnen Nationalgarde, einander gegenüber, maßen sich mit zweifelnden Blicken
und murmelten ängstlich, aber der Kampf am Tabor schien ausgefochten, wenig¬
stens war eine Pause eingetreten, und man konnte seine Gedanken sammeln.

Horch, ein Schuß, wieder einer, darauf knatterndes Pelotonfeuer, — das
ist in der innern Stadt, es klingt zu nahe, und schreiende Weiber fliehen über den
„hohen Markt." Wir eilen auf die Tuchlauben-Gasse, uus krampfhaft bei den
Händen fassend, wie zaghafte Wanderer, die im schweren Gewitter durch den
Wald gehen und sorgsam in der Mitte des Weges forteilen, gleich weit von
den hohen Bäumen an jeder Seite, deren Wipfeln der Blitz droht. Die Tnch-
laubeu verengern sich an ihrem Ende zur schmalen Spänglergasse, sie ist von
dunklem Rauch erfüllt, aber gedankenlos, wie man trotz des aufrichtigsten Herz-
pochens in solchen Momenten zu sein Pflegt, bleibe ich mit meinem Freund gerade
vor der Nebelwand stehen, als ein Garde, der hinter der Ecke des vorspringen¬
den ersten Hauses der Spänglergasse lauert, herantritt. „Gehen's links!" herrscht
er uus zu, legt an und ein rothgelbstrahlender Blitz schlägt in deu dunkeln
Qualm, in dessen Hintergrund auf einen Augenblick die verschwimmenden Um¬
risse einer gradlinigen finstern Männerreihe sichtbar werden. Da drängte der
Knäuel müßiger Zuschauer, schreckergriffen, uus bis in das Thor des Conser-
vatoriums zurück, aus deu Seitengassen stürzen einzelne Kämpfer, die Kleider
zerrissen, Wangen und Hände pulvergeschwärzt, mit wüthendem, aber unverständ¬
lichem Geschrei vor; das inarticnlirte Gebrüll verstummt Plötzlich, und nach einer
bangen secundenlaugen Pause bricht das Gewitter los; geschäftsmäßig wie in
regulärer Schlacht, man hört nichts als abwechselnd trommeln und schießen; recht
dramatisch, wie Rede und Gegenrede in der spannendsten Scene eines Trauer-


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[0227] Hut des gefallenen Generals wurde bald darauf durch die Leopoldstadt auf einem langen Stock getragen. Die Verluste an Menschenleben und der Widerstand der Nassauer wurden anfangs unterschätzt, denn hundert Leichen, darunter sechzig im Rock des Kaisers, bedeckten den Kampfplatz am Tabor. Was jedoch wunderbar, die Kunde von diesen Ereignissen schien früher, als sie sich ereignet hatten, die Stadt zu durchfliegen. Aber mau soll deu Tag uicht vor dem Abend loben! Ich eilte zur Reit¬ schule. — Die Reitschule war leer, Niemand konnte sagen, ob der Reichstag Sitzung halten, ob das Ministerium eiuen Schritt zur Beruhigung des Volks unternehmen oder das Schicksal Wiens und der Monarchie den Händen des Kriegsministers allein anvertrauen werde. Unbegreiflich, dachte ich, warum das Ministerium gerade deutsche Truppen gegen Ungarn entbot. Kamille es ihre drohende Stimmung nicht? Gab es nicht genug zuverlässige slavische Bataillone in Wien? Hastig ging ich von der Reit- schule durch die Dorotheengasse über den Graben und Stephausplatz zurück. Hier und da gellte noch der Ruf zu deu Waffen, vor dem Dom standen zwei Colonnen Nationalgarde, einander gegenüber, maßen sich mit zweifelnden Blicken und murmelten ängstlich, aber der Kampf am Tabor schien ausgefochten, wenig¬ stens war eine Pause eingetreten, und man konnte seine Gedanken sammeln. Horch, ein Schuß, wieder einer, darauf knatterndes Pelotonfeuer, — das ist in der innern Stadt, es klingt zu nahe, und schreiende Weiber fliehen über den „hohen Markt." Wir eilen auf die Tuchlauben-Gasse, uus krampfhaft bei den Händen fassend, wie zaghafte Wanderer, die im schweren Gewitter durch den Wald gehen und sorgsam in der Mitte des Weges forteilen, gleich weit von den hohen Bäumen an jeder Seite, deren Wipfeln der Blitz droht. Die Tnch- laubeu verengern sich an ihrem Ende zur schmalen Spänglergasse, sie ist von dunklem Rauch erfüllt, aber gedankenlos, wie man trotz des aufrichtigsten Herz- pochens in solchen Momenten zu sein Pflegt, bleibe ich mit meinem Freund gerade vor der Nebelwand stehen, als ein Garde, der hinter der Ecke des vorspringen¬ den ersten Hauses der Spänglergasse lauert, herantritt. „Gehen's links!" herrscht er uus zu, legt an und ein rothgelbstrahlender Blitz schlägt in deu dunkeln Qualm, in dessen Hintergrund auf einen Augenblick die verschwimmenden Um¬ risse einer gradlinigen finstern Männerreihe sichtbar werden. Da drängte der Knäuel müßiger Zuschauer, schreckergriffen, uus bis in das Thor des Conser- vatoriums zurück, aus deu Seitengassen stürzen einzelne Kämpfer, die Kleider zerrissen, Wangen und Hände pulvergeschwärzt, mit wüthendem, aber unverständ¬ lichem Geschrei vor; das inarticnlirte Gebrüll verstummt Plötzlich, und nach einer bangen secundenlaugen Pause bricht das Gewitter los; geschäftsmäßig wie in regulärer Schlacht, man hört nichts als abwechselnd trommeln und schießen; recht dramatisch, wie Rede und Gegenrede in der spannendsten Scene eines Trauer- 93*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/227>, abgerufen am 24.07.2024.