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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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zusehen. Wir schlagen den Weg nach der nahen Aula ein. Da klingen in ab¬
gemessenen Pansen die ersten Töne der Sturmglocke, minder lärmend als die
Alarmtrommel, aber ominöser, ein schauriger Grabgesang des Friedens, vom
Himmel herab. Studenten sind's, die den Thurm der Dominikanerkirche erklom¬
men haben und den verhängnisvollen Strang zerren, aber die Stimme von Se.
Stephan antwortet noch nicht. Ueber den Platz vor der Kirche ziehen ungeordnete
Gruppen von Legionärs, die vom Bahnhof zurückkehren, siaub- und schweißbe¬
deckt, einige verwundet; zwei Kameraden führen einen hinkenden Kämpfer, einen
blühenden schönen Burschen; den Kalabreser hat ihm eine Kugel durchbohrt, die
rechte Hand liegt rückwärts auf dem Kreuz, das eiuen Kolbenhieb erhielt, das
grüne Halstuch ist blutgetränkt von einem Bajonnctstich. Also kam es zum Hand¬
gemenge! -- "Ja", erzählen die Studenten rasch, "die vom Regiment Nassau,
galizisches Volk, sind schwarzgelb, wollen ausrücken, haben zuerst auf die deut¬
schen Grenadiere und Studenten gefeuert, jetzt fahren sie drei Kanonen auf,
Deutsche und Galizier sehn sich das Weiße im Auge, in solcher Nähe wird ge¬
fochten, wir holen Succurs!" -- Von der Aula her marschirt im Doppelschritt,
aber stumm und geräuschlos, eine frische Compagnie von Legionären dem Nothen-
thurmthor zu, neben her von Glied zu Glied springend vertheilt während des
Marsches ein junger Führer Patronen. Der Universitätsplatz verändert jetzt
von Secunde zu Secunde seine Physiognomie; bald leer und mäuschenstill, mau
könnte den Flügel einer Mücke rauschen hören, bald in allen Winkeln widerhallend
vom Geschrei einer Volkswoge, die gleich einem Wasserschwall über ihn hinschlägt
und im Nu weggeschwemmt, den Platz wieder öde und schweigend läßt wie
früher. Keine zehn Minuten vergehen, so läuft über den Lngeck, den hohen
Markt, über die Basteien Fama mit flatternden Haaren und frendeglühcnden
Wangen: "Die Nassauer sind geschlagen, wehrloses Volk hat sich auf die drei
Kanonen geworfen, eine in die Donau gestürzt, zwei im Triumph deu Studenten
zugeschleppt; ein Joch der Eisenbahnbrücke und die Schienen der Bahn auf eine
halbe Stunde weit aufgehoben, der Ausmarsch glücklich verhindert, Grenadiere
und Studenten kehren sogleich Arm in Arm nach der Stadt zurück!" Die voll¬
brachten Heldenthaten gehen von Mund zu Mund nud wachsen in's Wunderbare.
"Die Grenadiere hoch! Das siud Streiter, echt deutsche Recken! Griff jeder
sein Paar kleine Nassauer, einen beim Kragen, den andern beim Bein und warf
sie wie junge Hunde vom Eiseubahndamm herunter! Vivat die Grenadiere,
würdige Brüder des Volks! Und dieses Volk! Zehnjährige Jungen packten im
Kugelregen die Speichen der Kanonenräder, kein Haar wurde ihnen gekrümmt,
Gott beschützte sie!" Vieles davou bestätigte sich am folgenden Tage; General
Breda fiel wirklich im Augenblick, wo er Feuer commandirte, vom Roß, dnrch
die Büchsenkugel eines Studenten, der frei vor die Front seiner Kameraden
heraustretend, ihn mit feierlicher Stimme aufforderte, Frieden zu halten. Der


zusehen. Wir schlagen den Weg nach der nahen Aula ein. Da klingen in ab¬
gemessenen Pansen die ersten Töne der Sturmglocke, minder lärmend als die
Alarmtrommel, aber ominöser, ein schauriger Grabgesang des Friedens, vom
Himmel herab. Studenten sind's, die den Thurm der Dominikanerkirche erklom¬
men haben und den verhängnisvollen Strang zerren, aber die Stimme von Se.
Stephan antwortet noch nicht. Ueber den Platz vor der Kirche ziehen ungeordnete
Gruppen von Legionärs, die vom Bahnhof zurückkehren, siaub- und schweißbe¬
deckt, einige verwundet; zwei Kameraden führen einen hinkenden Kämpfer, einen
blühenden schönen Burschen; den Kalabreser hat ihm eine Kugel durchbohrt, die
rechte Hand liegt rückwärts auf dem Kreuz, das eiuen Kolbenhieb erhielt, das
grüne Halstuch ist blutgetränkt von einem Bajonnctstich. Also kam es zum Hand¬
gemenge! — „Ja", erzählen die Studenten rasch, „die vom Regiment Nassau,
galizisches Volk, sind schwarzgelb, wollen ausrücken, haben zuerst auf die deut¬
schen Grenadiere und Studenten gefeuert, jetzt fahren sie drei Kanonen auf,
Deutsche und Galizier sehn sich das Weiße im Auge, in solcher Nähe wird ge¬
fochten, wir holen Succurs!" — Von der Aula her marschirt im Doppelschritt,
aber stumm und geräuschlos, eine frische Compagnie von Legionären dem Nothen-
thurmthor zu, neben her von Glied zu Glied springend vertheilt während des
Marsches ein junger Führer Patronen. Der Universitätsplatz verändert jetzt
von Secunde zu Secunde seine Physiognomie; bald leer und mäuschenstill, mau
könnte den Flügel einer Mücke rauschen hören, bald in allen Winkeln widerhallend
vom Geschrei einer Volkswoge, die gleich einem Wasserschwall über ihn hinschlägt
und im Nu weggeschwemmt, den Platz wieder öde und schweigend läßt wie
früher. Keine zehn Minuten vergehen, so läuft über den Lngeck, den hohen
Markt, über die Basteien Fama mit flatternden Haaren und frendeglühcnden
Wangen: „Die Nassauer sind geschlagen, wehrloses Volk hat sich auf die drei
Kanonen geworfen, eine in die Donau gestürzt, zwei im Triumph deu Studenten
zugeschleppt; ein Joch der Eisenbahnbrücke und die Schienen der Bahn auf eine
halbe Stunde weit aufgehoben, der Ausmarsch glücklich verhindert, Grenadiere
und Studenten kehren sogleich Arm in Arm nach der Stadt zurück!" Die voll¬
brachten Heldenthaten gehen von Mund zu Mund nud wachsen in's Wunderbare.
„Die Grenadiere hoch! Das siud Streiter, echt deutsche Recken! Griff jeder
sein Paar kleine Nassauer, einen beim Kragen, den andern beim Bein und warf
sie wie junge Hunde vom Eiseubahndamm herunter! Vivat die Grenadiere,
würdige Brüder des Volks! Und dieses Volk! Zehnjährige Jungen packten im
Kugelregen die Speichen der Kanonenräder, kein Haar wurde ihnen gekrümmt,
Gott beschützte sie!" Vieles davou bestätigte sich am folgenden Tage; General
Breda fiel wirklich im Augenblick, wo er Feuer commandirte, vom Roß, dnrch
die Büchsenkugel eines Studenten, der frei vor die Front seiner Kameraden
heraustretend, ihn mit feierlicher Stimme aufforderte, Frieden zu halten. Der


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[0226] zusehen. Wir schlagen den Weg nach der nahen Aula ein. Da klingen in ab¬ gemessenen Pansen die ersten Töne der Sturmglocke, minder lärmend als die Alarmtrommel, aber ominöser, ein schauriger Grabgesang des Friedens, vom Himmel herab. Studenten sind's, die den Thurm der Dominikanerkirche erklom¬ men haben und den verhängnisvollen Strang zerren, aber die Stimme von Se. Stephan antwortet noch nicht. Ueber den Platz vor der Kirche ziehen ungeordnete Gruppen von Legionärs, die vom Bahnhof zurückkehren, siaub- und schweißbe¬ deckt, einige verwundet; zwei Kameraden führen einen hinkenden Kämpfer, einen blühenden schönen Burschen; den Kalabreser hat ihm eine Kugel durchbohrt, die rechte Hand liegt rückwärts auf dem Kreuz, das eiuen Kolbenhieb erhielt, das grüne Halstuch ist blutgetränkt von einem Bajonnctstich. Also kam es zum Hand¬ gemenge! — „Ja", erzählen die Studenten rasch, „die vom Regiment Nassau, galizisches Volk, sind schwarzgelb, wollen ausrücken, haben zuerst auf die deut¬ schen Grenadiere und Studenten gefeuert, jetzt fahren sie drei Kanonen auf, Deutsche und Galizier sehn sich das Weiße im Auge, in solcher Nähe wird ge¬ fochten, wir holen Succurs!" — Von der Aula her marschirt im Doppelschritt, aber stumm und geräuschlos, eine frische Compagnie von Legionären dem Nothen- thurmthor zu, neben her von Glied zu Glied springend vertheilt während des Marsches ein junger Führer Patronen. Der Universitätsplatz verändert jetzt von Secunde zu Secunde seine Physiognomie; bald leer und mäuschenstill, mau könnte den Flügel einer Mücke rauschen hören, bald in allen Winkeln widerhallend vom Geschrei einer Volkswoge, die gleich einem Wasserschwall über ihn hinschlägt und im Nu weggeschwemmt, den Platz wieder öde und schweigend läßt wie früher. Keine zehn Minuten vergehen, so läuft über den Lngeck, den hohen Markt, über die Basteien Fama mit flatternden Haaren und frendeglühcnden Wangen: „Die Nassauer sind geschlagen, wehrloses Volk hat sich auf die drei Kanonen geworfen, eine in die Donau gestürzt, zwei im Triumph deu Studenten zugeschleppt; ein Joch der Eisenbahnbrücke und die Schienen der Bahn auf eine halbe Stunde weit aufgehoben, der Ausmarsch glücklich verhindert, Grenadiere und Studenten kehren sogleich Arm in Arm nach der Stadt zurück!" Die voll¬ brachten Heldenthaten gehen von Mund zu Mund nud wachsen in's Wunderbare. „Die Grenadiere hoch! Das siud Streiter, echt deutsche Recken! Griff jeder sein Paar kleine Nassauer, einen beim Kragen, den andern beim Bein und warf sie wie junge Hunde vom Eiseubahndamm herunter! Vivat die Grenadiere, würdige Brüder des Volks! Und dieses Volk! Zehnjährige Jungen packten im Kugelregen die Speichen der Kanonenräder, kein Haar wurde ihnen gekrümmt, Gott beschützte sie!" Vieles davou bestätigte sich am folgenden Tage; General Breda fiel wirklich im Augenblick, wo er Feuer commandirte, vom Roß, dnrch die Büchsenkugel eines Studenten, der frei vor die Front seiner Kameraden heraustretend, ihn mit feierlicher Stimme aufforderte, Frieden zu halten. Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/226>, abgerufen am 24.07.2024.