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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Spiels. Die kaiserliche Trommel faßt sich kurz, in wenigen harten Schlägen
wirbelt sie ihr Drohwort, darauf eine Pause, nicht länger als ein Augenzwin¬
kern, und der Donner kracht. Kaum haben die Aufrührer geantwortet, so mahnt
die Trommel, kracht der Donner von neuem. Und welch ein Donner! Ich
dachte anfangs an Geschützfeuer. Also dahin ist es gekommen, wie in den Pariser
Junitagen schmettert das Militär mit der Min" raUo Mauern und Menschen zu¬
sammen, dann grad' euch Gott, Legionäre! Es war jedoch nur Pelotonfeuer,
das in der engen Straße so mächtig widerhallte. Wir hörten noch einige Gänge
an, bis das Gefecht sich in die Ferne zog. Niemand uuter deu versprengten
Leuten, die im Thorweg des Couservatoriums ängstlich kauerten oder unruhig
durch einander liefen, wußte etwas über den Stand der Dinge oder errieth, auf
wessen Seite der Sieg sich neige; die Frauen beteten und bekreuzten sich bei
jeder Salve, die Männer ballten die Fäuste, verwünschten bald den schwarzgelben
Reichstag, bald die verrückten Studenten, Viele zitterten vor Kampflust. "Ein
G'wehr, ein G'wehr, ich schlag Alles z'Samen", kreischt ein baarhänptiger junger
Bursche, der in Hemdärmeln ans einem nahen Hause herbeilief; seiue Schwester
beschwört ihn mit Thränen in den Augen, nach Hause zu gehen, und sucht ihn
an beideu Armen fortzuzerren; Niemand achtet auf das Paar.

Wieder scheint die Ruhe hergestellt, die Meuge verläuft sich, und wir eilen
die Treppen zum "rothen Igel" im Hintergebäude hinauf, um in der Eile Trank
und Speise einzunehmen. Von Minute zu Minute pochte es mit Ungestüm an
die Saalthür, und die Zimmer füllten sich mit verstörten Gästen. Ein lauter
Schreckensruf entfuhr mit 'einmal der Gesellschaft, in den Viele mechanisch ein¬
stimmten, ehe sie wußten, warum. Was gibt es? Was geht vor? hieß es und
ein Gedränge entstand am Eingang um die Küchenmagd, die blaß wie die Wand
hereingeschlottert kam. Ein Kämpfer, dem der Kopf gespalten war, wurde in's
Hans getragen; der Aublick machte sie halb ohnmächtig. Am Stephausplatz,
stöhnte sie -- Jesus Maria! -- die Träger erzählten's, am Stephansplatz schie¬
ßen schon die Garten. -- auf einander! Gott und Heiland! Garden auf Gar¬
den, Bürger auf Bürger! scholl es uuter den Anwesenden nach, ein sympathe¬
tischer Schauder überflog alle Gesichter, die schwarzgelben wie die schwarzroth-
goldeueu.

Neue Ankömmlinge bestätigten die Hiobspost. Die von der Vorstadt Mieder
hatten die Sturmglocke vou Se. Stephan läuten wollen, was die Nationalgarde
des Käruthnerviertels zu hindern suchte. Von welcher Seite der erste Schuß
siel, blieb dunkel; genug, die Naserei war im Gang, bis in's Innere der Kirche
zog sich das Gefecht, am Fuß des Altars rauchte Menschenblut, lag die Leiche
eines Hauptmanns der Kärnthner.

In der That hatte die schwache Contrerevolution, welche die wohlhabenden
Bürger des Kärnthnerviertels versuchten, nur Oel in die Flammen der Volkswuth


Spiels. Die kaiserliche Trommel faßt sich kurz, in wenigen harten Schlägen
wirbelt sie ihr Drohwort, darauf eine Pause, nicht länger als ein Augenzwin¬
kern, und der Donner kracht. Kaum haben die Aufrührer geantwortet, so mahnt
die Trommel, kracht der Donner von neuem. Und welch ein Donner! Ich
dachte anfangs an Geschützfeuer. Also dahin ist es gekommen, wie in den Pariser
Junitagen schmettert das Militär mit der Min» raUo Mauern und Menschen zu¬
sammen, dann grad' euch Gott, Legionäre! Es war jedoch nur Pelotonfeuer,
das in der engen Straße so mächtig widerhallte. Wir hörten noch einige Gänge
an, bis das Gefecht sich in die Ferne zog. Niemand uuter deu versprengten
Leuten, die im Thorweg des Couservatoriums ängstlich kauerten oder unruhig
durch einander liefen, wußte etwas über den Stand der Dinge oder errieth, auf
wessen Seite der Sieg sich neige; die Frauen beteten und bekreuzten sich bei
jeder Salve, die Männer ballten die Fäuste, verwünschten bald den schwarzgelben
Reichstag, bald die verrückten Studenten, Viele zitterten vor Kampflust. „Ein
G'wehr, ein G'wehr, ich schlag Alles z'Samen", kreischt ein baarhänptiger junger
Bursche, der in Hemdärmeln ans einem nahen Hause herbeilief; seiue Schwester
beschwört ihn mit Thränen in den Augen, nach Hause zu gehen, und sucht ihn
an beideu Armen fortzuzerren; Niemand achtet auf das Paar.

Wieder scheint die Ruhe hergestellt, die Meuge verläuft sich, und wir eilen
die Treppen zum „rothen Igel" im Hintergebäude hinauf, um in der Eile Trank
und Speise einzunehmen. Von Minute zu Minute pochte es mit Ungestüm an
die Saalthür, und die Zimmer füllten sich mit verstörten Gästen. Ein lauter
Schreckensruf entfuhr mit 'einmal der Gesellschaft, in den Viele mechanisch ein¬
stimmten, ehe sie wußten, warum. Was gibt es? Was geht vor? hieß es und
ein Gedränge entstand am Eingang um die Küchenmagd, die blaß wie die Wand
hereingeschlottert kam. Ein Kämpfer, dem der Kopf gespalten war, wurde in's
Hans getragen; der Aublick machte sie halb ohnmächtig. Am Stephausplatz,
stöhnte sie — Jesus Maria! — die Träger erzählten's, am Stephansplatz schie¬
ßen schon die Garten. — auf einander! Gott und Heiland! Garden auf Gar¬
den, Bürger auf Bürger! scholl es uuter den Anwesenden nach, ein sympathe¬
tischer Schauder überflog alle Gesichter, die schwarzgelben wie die schwarzroth-
goldeueu.

Neue Ankömmlinge bestätigten die Hiobspost. Die von der Vorstadt Mieder
hatten die Sturmglocke vou Se. Stephan läuten wollen, was die Nationalgarde
des Käruthnerviertels zu hindern suchte. Von welcher Seite der erste Schuß
siel, blieb dunkel; genug, die Naserei war im Gang, bis in's Innere der Kirche
zog sich das Gefecht, am Fuß des Altars rauchte Menschenblut, lag die Leiche
eines Hauptmanns der Kärnthner.

In der That hatte die schwache Contrerevolution, welche die wohlhabenden
Bürger des Kärnthnerviertels versuchten, nur Oel in die Flammen der Volkswuth


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[0228] Spiels. Die kaiserliche Trommel faßt sich kurz, in wenigen harten Schlägen wirbelt sie ihr Drohwort, darauf eine Pause, nicht länger als ein Augenzwin¬ kern, und der Donner kracht. Kaum haben die Aufrührer geantwortet, so mahnt die Trommel, kracht der Donner von neuem. Und welch ein Donner! Ich dachte anfangs an Geschützfeuer. Also dahin ist es gekommen, wie in den Pariser Junitagen schmettert das Militär mit der Min» raUo Mauern und Menschen zu¬ sammen, dann grad' euch Gott, Legionäre! Es war jedoch nur Pelotonfeuer, das in der engen Straße so mächtig widerhallte. Wir hörten noch einige Gänge an, bis das Gefecht sich in die Ferne zog. Niemand uuter deu versprengten Leuten, die im Thorweg des Couservatoriums ängstlich kauerten oder unruhig durch einander liefen, wußte etwas über den Stand der Dinge oder errieth, auf wessen Seite der Sieg sich neige; die Frauen beteten und bekreuzten sich bei jeder Salve, die Männer ballten die Fäuste, verwünschten bald den schwarzgelben Reichstag, bald die verrückten Studenten, Viele zitterten vor Kampflust. „Ein G'wehr, ein G'wehr, ich schlag Alles z'Samen", kreischt ein baarhänptiger junger Bursche, der in Hemdärmeln ans einem nahen Hause herbeilief; seiue Schwester beschwört ihn mit Thränen in den Augen, nach Hause zu gehen, und sucht ihn an beideu Armen fortzuzerren; Niemand achtet auf das Paar. Wieder scheint die Ruhe hergestellt, die Meuge verläuft sich, und wir eilen die Treppen zum „rothen Igel" im Hintergebäude hinauf, um in der Eile Trank und Speise einzunehmen. Von Minute zu Minute pochte es mit Ungestüm an die Saalthür, und die Zimmer füllten sich mit verstörten Gästen. Ein lauter Schreckensruf entfuhr mit 'einmal der Gesellschaft, in den Viele mechanisch ein¬ stimmten, ehe sie wußten, warum. Was gibt es? Was geht vor? hieß es und ein Gedränge entstand am Eingang um die Küchenmagd, die blaß wie die Wand hereingeschlottert kam. Ein Kämpfer, dem der Kopf gespalten war, wurde in's Hans getragen; der Aublick machte sie halb ohnmächtig. Am Stephausplatz, stöhnte sie — Jesus Maria! — die Träger erzählten's, am Stephansplatz schie¬ ßen schon die Garten. — auf einander! Gott und Heiland! Garden auf Gar¬ den, Bürger auf Bürger! scholl es uuter den Anwesenden nach, ein sympathe¬ tischer Schauder überflog alle Gesichter, die schwarzgelben wie die schwarzroth- goldeueu. Neue Ankömmlinge bestätigten die Hiobspost. Die von der Vorstadt Mieder hatten die Sturmglocke vou Se. Stephan läuten wollen, was die Nationalgarde des Käruthnerviertels zu hindern suchte. Von welcher Seite der erste Schuß siel, blieb dunkel; genug, die Naserei war im Gang, bis in's Innere der Kirche zog sich das Gefecht, am Fuß des Altars rauchte Menschenblut, lag die Leiche eines Hauptmanns der Kärnthner. In der That hatte die schwache Contrerevolution, welche die wohlhabenden Bürger des Kärnthnerviertels versuchten, nur Oel in die Flammen der Volkswuth

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/228>, abgerufen am 25.07.2024.