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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Der sechste Qctober

In der Jägerzeile stießen wir ans eine kleine Völkerwanderung. Summende
Gruppen hielten alle zehn Schritt den Strom der Neugierigen ans, hastige
Fragen, die keine Antwort erhielten, kreuzten sich in der Luft, in der Mitte der
Straße standen hoch bepackte Bagagewagen, für die abziehenden Truppen be¬
stimmt, still, einigen waren die Pferde ausgespannt, und die wachthabenden
Soldaten saßen, Gewehr über's Knie, ans der Last oben und blickten verlegen
auf die fluthende Menschenmasse herab, vielleicht eiues Angriffs gewärtig, wäh¬
rend sie Niemand beachtete.

Vor dem Eingang zum Bahnhof endlich trafen wir eine Colonne National-
garten mit aufgepflanzten Bajonnet. Darf man wissen, rief mein Begleiter den
ersten Mann im Gliede an, was es gibt? -- Das pfeifen ja die Spatzen auf
deu Dächern, schrie mit heiserer Stimme der Garde, dem die Aufregung das
Blut in's Geficht und den Schweiß auf die Stiru getrieben hatte. Unser deut¬
sches Militär soll voll Wien fort, weil es mit uns fraternisirt hat, dafür will
uns Latour! Böhmakeu, Pollacken und Slavaken ins Hans bescheren, und unsere
Deutschen sollen noch dazu sich hergeben, dem kroatischen Diebsgesindel ans der
Klemme zu helfen, deun die Magyaren legen dem Jellachich das Handwerk, das
ist gewiß. -- Nun? -- Nun, die Soldaten wollen keinen Fuß rühren, und wir
-- schloß er, mit dem Kolben auf deu Boden stampfend -- Ihr werdet sie
hoffentlich nicht aus Wien Hinauswerfen, ergänzte mein Begleiter.

Wir sind kaum bis zur Ferdinandsbrücke zurückgelangt, da trifft unser Ohr
ein mark- und beindurchbohreudes Geschrei. Hacken und Schaufeln schwingend
stürzen eilige Schwärme nach der Jägerzcile, audere durch's Nothenthnrmthor,
dnrch einander rufend: Blut ist geflossen! -- Zu Hilfe! -- Militär feuert auf's
Militär! sieben Studenten gefallen! -- Zu deu Waffen! -- Latour läßt
Kanonen auffahren! -- Zu Hilfe! -- Zu den Waffen! -- Zu den Waffen! --
In der innern Stadt rennen einzelne Arbeiter, wie Sturm laufend, Gassen auf
und ab. Barricaden! ist der allgemeine Ruf. Aber wo und gegen wen? weiß
Niemand. Friedliebende Bürger sogar, fortgerissen vou der Stimmung des
Augenblicks, schreien instinktmäßig aus deu Fenstern herab nach Barricaden; sie
schienen diese Revolutionsaltäre als probate Nettuugs- und Beruhigungsmittel an-



Die folgende ausgezeichnete Schilderung eines verhängnißvollen Tages ist aus einem
großem Manuscript, welches uuter dem Titel "Reisebilder aus Oestreich in den Jahren
1348 und 49" nächstens im Buchhandel erscheinen sott. Die Scenen deö 6. Octobers in
Wien sind oft beschrieben worden, der Red. ist keine andere Darstellung bekannt, welche
so lebhaft und ergreifend wäre und der Tendenz dieses Blattes so verwandt. Leider ge¬
stattet der Mangel an Raum hier nur, daS Wichtigste aus den beschriebenen Scenen auf¬
zunehmen.
Grcnzvoten. IV. 1850. 93
Der sechste Qctober

In der Jägerzeile stießen wir ans eine kleine Völkerwanderung. Summende
Gruppen hielten alle zehn Schritt den Strom der Neugierigen ans, hastige
Fragen, die keine Antwort erhielten, kreuzten sich in der Luft, in der Mitte der
Straße standen hoch bepackte Bagagewagen, für die abziehenden Truppen be¬
stimmt, still, einigen waren die Pferde ausgespannt, und die wachthabenden
Soldaten saßen, Gewehr über's Knie, ans der Last oben und blickten verlegen
auf die fluthende Menschenmasse herab, vielleicht eiues Angriffs gewärtig, wäh¬
rend sie Niemand beachtete.

Vor dem Eingang zum Bahnhof endlich trafen wir eine Colonne National-
garten mit aufgepflanzten Bajonnet. Darf man wissen, rief mein Begleiter den
ersten Mann im Gliede an, was es gibt? — Das pfeifen ja die Spatzen auf
deu Dächern, schrie mit heiserer Stimme der Garde, dem die Aufregung das
Blut in's Geficht und den Schweiß auf die Stiru getrieben hatte. Unser deut¬
sches Militär soll voll Wien fort, weil es mit uns fraternisirt hat, dafür will
uns Latour! Böhmakeu, Pollacken und Slavaken ins Hans bescheren, und unsere
Deutschen sollen noch dazu sich hergeben, dem kroatischen Diebsgesindel ans der
Klemme zu helfen, deun die Magyaren legen dem Jellachich das Handwerk, das
ist gewiß. — Nun? — Nun, die Soldaten wollen keinen Fuß rühren, und wir
— schloß er, mit dem Kolben auf deu Boden stampfend — Ihr werdet sie
hoffentlich nicht aus Wien Hinauswerfen, ergänzte mein Begleiter.

Wir sind kaum bis zur Ferdinandsbrücke zurückgelangt, da trifft unser Ohr
ein mark- und beindurchbohreudes Geschrei. Hacken und Schaufeln schwingend
stürzen eilige Schwärme nach der Jägerzcile, audere durch's Nothenthnrmthor,
dnrch einander rufend: Blut ist geflossen! — Zu Hilfe! — Militär feuert auf's
Militär! sieben Studenten gefallen! — Zu deu Waffen! — Latour läßt
Kanonen auffahren! — Zu Hilfe! — Zu den Waffen! — Zu den Waffen! —
In der innern Stadt rennen einzelne Arbeiter, wie Sturm laufend, Gassen auf
und ab. Barricaden! ist der allgemeine Ruf. Aber wo und gegen wen? weiß
Niemand. Friedliebende Bürger sogar, fortgerissen vou der Stimmung des
Augenblicks, schreien instinktmäßig aus deu Fenstern herab nach Barricaden; sie
schienen diese Revolutionsaltäre als probate Nettuugs- und Beruhigungsmittel an-



Die folgende ausgezeichnete Schilderung eines verhängnißvollen Tages ist aus einem
großem Manuscript, welches uuter dem Titel „Reisebilder aus Oestreich in den Jahren
1348 und 49" nächstens im Buchhandel erscheinen sott. Die Scenen deö 6. Octobers in
Wien sind oft beschrieben worden, der Red. ist keine andere Darstellung bekannt, welche
so lebhaft und ergreifend wäre und der Tendenz dieses Blattes so verwandt. Leider ge¬
stattet der Mangel an Raum hier nur, daS Wichtigste aus den beschriebenen Scenen auf¬
zunehmen.
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[0225] Der sechste Qctober In der Jägerzeile stießen wir ans eine kleine Völkerwanderung. Summende Gruppen hielten alle zehn Schritt den Strom der Neugierigen ans, hastige Fragen, die keine Antwort erhielten, kreuzten sich in der Luft, in der Mitte der Straße standen hoch bepackte Bagagewagen, für die abziehenden Truppen be¬ stimmt, still, einigen waren die Pferde ausgespannt, und die wachthabenden Soldaten saßen, Gewehr über's Knie, ans der Last oben und blickten verlegen auf die fluthende Menschenmasse herab, vielleicht eiues Angriffs gewärtig, wäh¬ rend sie Niemand beachtete. Vor dem Eingang zum Bahnhof endlich trafen wir eine Colonne National- garten mit aufgepflanzten Bajonnet. Darf man wissen, rief mein Begleiter den ersten Mann im Gliede an, was es gibt? — Das pfeifen ja die Spatzen auf deu Dächern, schrie mit heiserer Stimme der Garde, dem die Aufregung das Blut in's Geficht und den Schweiß auf die Stiru getrieben hatte. Unser deut¬ sches Militär soll voll Wien fort, weil es mit uns fraternisirt hat, dafür will uns Latour! Böhmakeu, Pollacken und Slavaken ins Hans bescheren, und unsere Deutschen sollen noch dazu sich hergeben, dem kroatischen Diebsgesindel ans der Klemme zu helfen, deun die Magyaren legen dem Jellachich das Handwerk, das ist gewiß. — Nun? — Nun, die Soldaten wollen keinen Fuß rühren, und wir — schloß er, mit dem Kolben auf deu Boden stampfend — Ihr werdet sie hoffentlich nicht aus Wien Hinauswerfen, ergänzte mein Begleiter. Wir sind kaum bis zur Ferdinandsbrücke zurückgelangt, da trifft unser Ohr ein mark- und beindurchbohreudes Geschrei. Hacken und Schaufeln schwingend stürzen eilige Schwärme nach der Jägerzcile, audere durch's Nothenthnrmthor, dnrch einander rufend: Blut ist geflossen! — Zu Hilfe! — Militär feuert auf's Militär! sieben Studenten gefallen! — Zu deu Waffen! — Latour läßt Kanonen auffahren! — Zu Hilfe! — Zu den Waffen! — Zu den Waffen! — In der innern Stadt rennen einzelne Arbeiter, wie Sturm laufend, Gassen auf und ab. Barricaden! ist der allgemeine Ruf. Aber wo und gegen wen? weiß Niemand. Friedliebende Bürger sogar, fortgerissen vou der Stimmung des Augenblicks, schreien instinktmäßig aus deu Fenstern herab nach Barricaden; sie schienen diese Revolutionsaltäre als probate Nettuugs- und Beruhigungsmittel an- Die folgende ausgezeichnete Schilderung eines verhängnißvollen Tages ist aus einem großem Manuscript, welches uuter dem Titel „Reisebilder aus Oestreich in den Jahren 1348 und 49" nächstens im Buchhandel erscheinen sott. Die Scenen deö 6. Octobers in Wien sind oft beschrieben worden, der Red. ist keine andere Darstellung bekannt, welche so lebhaft und ergreifend wäre und der Tendenz dieses Blattes so verwandt. Leider ge¬ stattet der Mangel an Raum hier nur, daS Wichtigste aus den beschriebenen Scenen auf¬ zunehmen. Grcnzvoten. IV. 1850. 93

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/225>, abgerufen am 24.07.2024.