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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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indem sie um eine Versetzung baten, durch welche sie mehr in die Mitte ihrer
Kampfgenossen gekommen sein und an deren Spitze ein größeres Gewicht erlangt
haben würden. Allein die Regierung ging nicht darauf ein und beeilte ihre
Operation, indem sie den beiden Männern eine Bedenkfrist von nur zwei Monaten
gewährte.

Die Frist verstrich. Eine Commission, bestehend ans einem Polizeipräsidenten
oder Kreiscommissär, einem Offizier aus der Kanzlei des Gnbernators, einem
orthodoxen und einem übergetretenen Popen, erschien. Allein jene Beiden beharrten
bei ihrem Widerstreben. Die Commission gewährte im Namen des Guberniums
eine nochmalige Bedenkfrist, verband damit aber so ernstliche Drohungen, daß beide
Geistliche über die Folgen ihres Beharrens durchaus nicht in Ungewißheit sein konnten.

Am Tage nach Ablauf der zweiten Bedenkzeit bereitete sich O. mehrere Stunden
in der Kirche dnrch Gebet auf einen Schritt vor, der Jedem in der Gemeinde,
auch selbst den Personen seiner Familie, bis zur Ausführung ein Geheimniß war.
Vom Altar begab er sich in sein Haus und zwar in sein Studierzimmer und
schichtete bei verschlossener Thüre ans seiner Bibliothek, besonders aber aus seinen
religiösen Schriften, eine Art Scheiterhaufen ans einem Strohsäcke auf. Darauf
ging er zu seiner Familie und benahm sich seiner Stimmung zufolge so, daß
sich deu Personen bange Ahnungen aufdrängten. Zurückgekehrt in seine Stube,
öffnete er die obern Feuster und lauschte dem Tone der Klingel, dnrch welche
die russischen Extraposten sich schon von fern ankündigen. Gegen Mittag wurde
sie hörbar, da zündete der Pope den Scheiterhaufen an, warf sich daraus, und
als die Commission anlangte, fand sie nnr eine halb verbrannte Leiche. Die
Commission setzte ohne weiteres den einen der bei ihr befindlichen Popen in das
Amt des trotzigen Märtyrers. Nachdem sie noch einige mündliche Befehle dem
Vorsteher der Gemeinde ertheilt, setzte sie ihre Neise zu dem Andern fort und
erreichte ihr Ziel am andern Morgen, eines Sonnabends gegen sieben Uhr. Sie
fanden ihn in der Kirche. Er hatte die Thüre hinter sich geschlossen, allein sein
Knecht verrieth ihn, und da nun ans den Hollahruf und das Anklopfen die Oess-
nnng der Kirche uicht erfolgte, so zögerte der Polizeipräsident nicht, die Thüre
des Gotteshauses durch die Gensdarmen, welche die Commission begleiteten, aus
deu Angeln heben zu lassen.

Man fand den Popen vor dem Altar im Gebet und mußte sich gedulden,
bis er sein geistliches Werk vollendet hatte. Seltsamer Weise berührte die Com¬
mission zunächst den Zweck ihres Hierseins gar nicht, benahm sich vielmehr wie
ein Freund, der beim Freunde zum Besuch kommt, und bat den Popen, in sein
Wohnhaus zurückzugehen Die Commission begleitete ihn in seine Wohnung und
machte sich darin mit der naiven russischen Dreistigkeit heimisch, während die
Gensdarmen wie zufällig^zwei Posten, eiuen vor und einen hinter dem Pfarr¬
hause besetzten.


indem sie um eine Versetzung baten, durch welche sie mehr in die Mitte ihrer
Kampfgenossen gekommen sein und an deren Spitze ein größeres Gewicht erlangt
haben würden. Allein die Regierung ging nicht darauf ein und beeilte ihre
Operation, indem sie den beiden Männern eine Bedenkfrist von nur zwei Monaten
gewährte.

Die Frist verstrich. Eine Commission, bestehend ans einem Polizeipräsidenten
oder Kreiscommissär, einem Offizier aus der Kanzlei des Gnbernators, einem
orthodoxen und einem übergetretenen Popen, erschien. Allein jene Beiden beharrten
bei ihrem Widerstreben. Die Commission gewährte im Namen des Guberniums
eine nochmalige Bedenkfrist, verband damit aber so ernstliche Drohungen, daß beide
Geistliche über die Folgen ihres Beharrens durchaus nicht in Ungewißheit sein konnten.

Am Tage nach Ablauf der zweiten Bedenkzeit bereitete sich O. mehrere Stunden
in der Kirche dnrch Gebet auf einen Schritt vor, der Jedem in der Gemeinde,
auch selbst den Personen seiner Familie, bis zur Ausführung ein Geheimniß war.
Vom Altar begab er sich in sein Haus und zwar in sein Studierzimmer und
schichtete bei verschlossener Thüre ans seiner Bibliothek, besonders aber aus seinen
religiösen Schriften, eine Art Scheiterhaufen ans einem Strohsäcke auf. Darauf
ging er zu seiner Familie und benahm sich seiner Stimmung zufolge so, daß
sich deu Personen bange Ahnungen aufdrängten. Zurückgekehrt in seine Stube,
öffnete er die obern Feuster und lauschte dem Tone der Klingel, dnrch welche
die russischen Extraposten sich schon von fern ankündigen. Gegen Mittag wurde
sie hörbar, da zündete der Pope den Scheiterhaufen an, warf sich daraus, und
als die Commission anlangte, fand sie nnr eine halb verbrannte Leiche. Die
Commission setzte ohne weiteres den einen der bei ihr befindlichen Popen in das
Amt des trotzigen Märtyrers. Nachdem sie noch einige mündliche Befehle dem
Vorsteher der Gemeinde ertheilt, setzte sie ihre Neise zu dem Andern fort und
erreichte ihr Ziel am andern Morgen, eines Sonnabends gegen sieben Uhr. Sie
fanden ihn in der Kirche. Er hatte die Thüre hinter sich geschlossen, allein sein
Knecht verrieth ihn, und da nun ans den Hollahruf und das Anklopfen die Oess-
nnng der Kirche uicht erfolgte, so zögerte der Polizeipräsident nicht, die Thüre
des Gotteshauses durch die Gensdarmen, welche die Commission begleiteten, aus
deu Angeln heben zu lassen.

Man fand den Popen vor dem Altar im Gebet und mußte sich gedulden,
bis er sein geistliches Werk vollendet hatte. Seltsamer Weise berührte die Com¬
mission zunächst den Zweck ihres Hierseins gar nicht, benahm sich vielmehr wie
ein Freund, der beim Freunde zum Besuch kommt, und bat den Popen, in sein
Wohnhaus zurückzugehen Die Commission begleitete ihn in seine Wohnung und
machte sich darin mit der naiven russischen Dreistigkeit heimisch, während die
Gensdarmen wie zufällig^zwei Posten, eiuen vor und einen hinter dem Pfarr¬
hause besetzten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/175>, abgerufen am 22.07.2024.