Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

es unumgänglich nöthig, in die frühern Werke eingeweiht zu sein, ohne diese
Kenntniß werden sie staunen machen, aber kalt lassen.

Unter den Pianosortewerken sind zu erwähnen für 2 Hände: 6 Fugen über
den Namen Bach (auch theilweise ans der Orgel zu spielen), op. 60; Adagio und
Allegro für Pianoforte, op. 70; Album für Pianoforte, op. 69; vier Märsche
für Pianoforte, op. 76. Fngenwerke sind seit dem Abschluß der classischen Pe¬
riode nur vereinzelt und in ziemlich langen Zwischenräumen erschienen, die neueste
Zeit hat uur Mendelssohn's sechs Präludien und Fugen und das angeführte
Werk von Schumann aufzuweisen, einzelne wenige Werte geringern Gehalts ab¬
gerechnet, die hier uicht in Anschlag zu bringen siud. Die schou früher gemachte
Andeutung, daß Schumann's Art, Musik z"l schreiben und zu denken, auch in der
Handhabung der classischen Formen Abweichungen bedinge, sendet hier von neuem
seine Bestätigung. Mendelssohn strahlt viel mehr im Abglanze unserer alten Fn-
genmeister, obgleich an ihm die neue Zeit uicht so ganz wirkungslos vorbei¬
geflossen ist. Die vier heiligen Noten: v, H., 0, it, beginnen nach dem Mu¬
ster, welches Bach humoristischer Wtüse schou vor 100 Jahren gab, die
Motiven der jedesmaligen Fuge, die weitere Fortführung derselben liegt
dann in der Willkür des Komponisten. Man darf keine Nachahmung oder
nnr entfernte Uebereinstimmung mit der gewohnten Weise der alten Meister
erwarten. Das Neue liegt in der Genialität in der Anwendung der sanctio-
nirten Formeu. Schumann hat damit /dem Altvater Bach ein gleich schönes
Monument gesetzt, als Mendelssohn durch Begründung des Bachdenkmalö an der
Thomasschule zu Leipzig gethan. Die Märsche, op. 26, führen in großen Zahlen
die Ueberschrift: 1849; sie siud ein Produkt der bewegten Zeit, die an uns vor¬
übergeflossen. Wenn man in spätern Zeiten die Geschichte unserer Revolution
lesen wird, sollte man nicht unterlassen, die Märsche zu spielen. Von großer
Wichtigkeit für den Unterricht und zur Hebung eines bessern Geschmacks, zu gleicher
Zeit als eine Polemik in Noten gegell die seichten Unterrichtöwerke ist das Album
für Clavier, op. 69. Es beginnt mit kleinen leichten Stücken und bietet nach
und nach in seinen spätern Nummern immer größere Schwierigkeiten. Die meisten
Stücke sind mit Ueberschriften bezeichnet, z. B. der fröhliche Landmann von der
Arbeit zurückkehrend, Wilder Reiter, Reiterstücke, der erste Verlust, Erinnerung an
den 4. Sept. 1847 (Mendelsohn's Todestag), Gruß an Gabe, mit den vier An-
sangsnoten: ^, v, u. s. w. Schon in seinen Kinderseenen (op. 15) wendet
Schumann derartige Ueberschriften an. Die Musik steht in bewunderungswürdiger
Uebereinstimmung mit den gegebenen Beziehungen, es ist keineswegs eine niedrige,
sinnliche Tonmalerei, welche uns entgegentritt, sondern nur eine in allgemeinen, aber
treffenden Strichen gegebene Sitnationszeichnnng, mit dem nöthigen Licht und
Schatten. Alle diese kleinen Stücke verdienen die lebhafteste Empfehlung. Ein
ähnliches Album zu -4 Händen ist eben jetzt erschienen und bietet gleich Ausge-


Gvenzboten. M. 1850. 67

es unumgänglich nöthig, in die frühern Werke eingeweiht zu sein, ohne diese
Kenntniß werden sie staunen machen, aber kalt lassen.

Unter den Pianosortewerken sind zu erwähnen für 2 Hände: 6 Fugen über
den Namen Bach (auch theilweise ans der Orgel zu spielen), op. 60; Adagio und
Allegro für Pianoforte, op. 70; Album für Pianoforte, op. 69; vier Märsche
für Pianoforte, op. 76. Fngenwerke sind seit dem Abschluß der classischen Pe¬
riode nur vereinzelt und in ziemlich langen Zwischenräumen erschienen, die neueste
Zeit hat uur Mendelssohn's sechs Präludien und Fugen und das angeführte
Werk von Schumann aufzuweisen, einzelne wenige Werte geringern Gehalts ab¬
gerechnet, die hier uicht in Anschlag zu bringen siud. Die schou früher gemachte
Andeutung, daß Schumann's Art, Musik z»l schreiben und zu denken, auch in der
Handhabung der classischen Formen Abweichungen bedinge, sendet hier von neuem
seine Bestätigung. Mendelssohn strahlt viel mehr im Abglanze unserer alten Fn-
genmeister, obgleich an ihm die neue Zeit uicht so ganz wirkungslos vorbei¬
geflossen ist. Die vier heiligen Noten: v, H., 0, it, beginnen nach dem Mu¬
ster, welches Bach humoristischer Wtüse schou vor 100 Jahren gab, die
Motiven der jedesmaligen Fuge, die weitere Fortführung derselben liegt
dann in der Willkür des Komponisten. Man darf keine Nachahmung oder
nnr entfernte Uebereinstimmung mit der gewohnten Weise der alten Meister
erwarten. Das Neue liegt in der Genialität in der Anwendung der sanctio-
nirten Formeu. Schumann hat damit /dem Altvater Bach ein gleich schönes
Monument gesetzt, als Mendelssohn durch Begründung des Bachdenkmalö an der
Thomasschule zu Leipzig gethan. Die Märsche, op. 26, führen in großen Zahlen
die Ueberschrift: 1849; sie siud ein Produkt der bewegten Zeit, die an uns vor¬
übergeflossen. Wenn man in spätern Zeiten die Geschichte unserer Revolution
lesen wird, sollte man nicht unterlassen, die Märsche zu spielen. Von großer
Wichtigkeit für den Unterricht und zur Hebung eines bessern Geschmacks, zu gleicher
Zeit als eine Polemik in Noten gegell die seichten Unterrichtöwerke ist das Album
für Clavier, op. 69. Es beginnt mit kleinen leichten Stücken und bietet nach
und nach in seinen spätern Nummern immer größere Schwierigkeiten. Die meisten
Stücke sind mit Ueberschriften bezeichnet, z. B. der fröhliche Landmann von der
Arbeit zurückkehrend, Wilder Reiter, Reiterstücke, der erste Verlust, Erinnerung an
den 4. Sept. 1847 (Mendelsohn's Todestag), Gruß an Gabe, mit den vier An-
sangsnoten: ^, v, u. s. w. Schon in seinen Kinderseenen (op. 15) wendet
Schumann derartige Ueberschriften an. Die Musik steht in bewunderungswürdiger
Uebereinstimmung mit den gegebenen Beziehungen, es ist keineswegs eine niedrige,
sinnliche Tonmalerei, welche uns entgegentritt, sondern nur eine in allgemeinen, aber
treffenden Strichen gegebene Sitnationszeichnnng, mit dem nöthigen Licht und
Schatten. Alle diese kleinen Stücke verdienen die lebhafteste Empfehlung. Ein
ähnliches Album zu -4 Händen ist eben jetzt erschienen und bietet gleich Ausge-


Gvenzboten. M. 1850. 67
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92306"/>
            <p xml:id="ID_20" prev="#ID_19"> es unumgänglich nöthig, in die frühern Werke eingeweiht zu sein, ohne diese<lb/>
Kenntniß werden sie staunen machen, aber kalt lassen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_21" next="#ID_22"> Unter den Pianosortewerken sind zu erwähnen für 2 Hände: 6 Fugen über<lb/>
den Namen Bach (auch theilweise ans der Orgel zu spielen), op. 60; Adagio und<lb/>
Allegro für Pianoforte, op. 70; Album für Pianoforte, op. 69; vier Märsche<lb/>
für Pianoforte, op. 76.  Fngenwerke sind seit dem Abschluß der classischen Pe¬<lb/>
riode nur vereinzelt und in ziemlich langen Zwischenräumen erschienen, die neueste<lb/>
Zeit hat uur Mendelssohn's sechs Präludien und Fugen und das angeführte<lb/>
Werk von Schumann aufzuweisen, einzelne wenige Werte geringern Gehalts ab¬<lb/>
gerechnet, die hier uicht in Anschlag zu bringen siud.  Die schou früher gemachte<lb/>
Andeutung, daß Schumann's Art, Musik z»l schreiben und zu denken, auch in der<lb/>
Handhabung der classischen Formen Abweichungen bedinge, sendet hier von neuem<lb/>
seine Bestätigung.  Mendelssohn strahlt viel mehr im Abglanze unserer alten Fn-<lb/>
genmeister, obgleich an ihm die neue Zeit uicht so ganz wirkungslos vorbei¬<lb/>
geflossen ist.  Die vier heiligen Noten: v, H., 0, it, beginnen nach dem Mu¬<lb/>
ster, welches Bach humoristischer Wtüse  schou vor 100 Jahren gab, die<lb/>
Motiven der jedesmaligen Fuge,  die weitere  Fortführung  derselben liegt<lb/>
dann in der Willkür des Komponisten.  Man darf keine Nachahmung oder<lb/>
nnr entfernte Uebereinstimmung mit der gewohnten Weise der alten Meister<lb/>
erwarten.  Das Neue liegt in der Genialität in der Anwendung der sanctio-<lb/>
nirten Formeu.  Schumann hat damit /dem Altvater Bach ein gleich schönes<lb/>
Monument gesetzt, als Mendelssohn durch Begründung des Bachdenkmalö an der<lb/>
Thomasschule zu Leipzig gethan. Die Märsche, op. 26, führen in großen Zahlen<lb/>
die Ueberschrift: 1849; sie siud ein Produkt der bewegten Zeit, die an uns vor¬<lb/>
übergeflossen.  Wenn man in spätern Zeiten die Geschichte unserer Revolution<lb/>
lesen wird, sollte man nicht unterlassen, die Märsche zu spielen.  Von großer<lb/>
Wichtigkeit für den Unterricht und zur Hebung eines bessern Geschmacks, zu gleicher<lb/>
Zeit als eine Polemik in Noten gegell die seichten Unterrichtöwerke ist das Album<lb/>
für Clavier, op. 69.  Es beginnt mit kleinen leichten Stücken und bietet nach<lb/>
und nach in seinen spätern Nummern immer größere Schwierigkeiten. Die meisten<lb/>
Stücke sind mit Ueberschriften bezeichnet, z. B. der fröhliche Landmann von der<lb/>
Arbeit zurückkehrend, Wilder Reiter, Reiterstücke, der erste Verlust, Erinnerung an<lb/>
den 4. Sept. 1847 (Mendelsohn's Todestag), Gruß an Gabe, mit den vier An-<lb/>
sangsnoten:   ^, v,  u. s. w. Schon in seinen Kinderseenen (op. 15) wendet<lb/>
Schumann derartige Ueberschriften an. Die Musik steht in bewunderungswürdiger<lb/>
Uebereinstimmung mit den gegebenen Beziehungen, es ist keineswegs eine niedrige,<lb/>
sinnliche Tonmalerei, welche uns entgegentritt, sondern nur eine in allgemeinen, aber<lb/>
treffenden Strichen gegebene Sitnationszeichnnng, mit dem nöthigen Licht und<lb/>
Schatten.  Alle diese kleinen Stücke verdienen die lebhafteste Empfehlung. Ein<lb/>
ähnliches Album zu -4 Händen ist eben jetzt erschienen und bietet gleich Ausge-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Gvenzboten. M. 1850. 67</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] es unumgänglich nöthig, in die frühern Werke eingeweiht zu sein, ohne diese Kenntniß werden sie staunen machen, aber kalt lassen. Unter den Pianosortewerken sind zu erwähnen für 2 Hände: 6 Fugen über den Namen Bach (auch theilweise ans der Orgel zu spielen), op. 60; Adagio und Allegro für Pianoforte, op. 70; Album für Pianoforte, op. 69; vier Märsche für Pianoforte, op. 76. Fngenwerke sind seit dem Abschluß der classischen Pe¬ riode nur vereinzelt und in ziemlich langen Zwischenräumen erschienen, die neueste Zeit hat uur Mendelssohn's sechs Präludien und Fugen und das angeführte Werk von Schumann aufzuweisen, einzelne wenige Werte geringern Gehalts ab¬ gerechnet, die hier uicht in Anschlag zu bringen siud. Die schou früher gemachte Andeutung, daß Schumann's Art, Musik z»l schreiben und zu denken, auch in der Handhabung der classischen Formen Abweichungen bedinge, sendet hier von neuem seine Bestätigung. Mendelssohn strahlt viel mehr im Abglanze unserer alten Fn- genmeister, obgleich an ihm die neue Zeit uicht so ganz wirkungslos vorbei¬ geflossen ist. Die vier heiligen Noten: v, H., 0, it, beginnen nach dem Mu¬ ster, welches Bach humoristischer Wtüse schou vor 100 Jahren gab, die Motiven der jedesmaligen Fuge, die weitere Fortführung derselben liegt dann in der Willkür des Komponisten. Man darf keine Nachahmung oder nnr entfernte Uebereinstimmung mit der gewohnten Weise der alten Meister erwarten. Das Neue liegt in der Genialität in der Anwendung der sanctio- nirten Formeu. Schumann hat damit /dem Altvater Bach ein gleich schönes Monument gesetzt, als Mendelssohn durch Begründung des Bachdenkmalö an der Thomasschule zu Leipzig gethan. Die Märsche, op. 26, führen in großen Zahlen die Ueberschrift: 1849; sie siud ein Produkt der bewegten Zeit, die an uns vor¬ übergeflossen. Wenn man in spätern Zeiten die Geschichte unserer Revolution lesen wird, sollte man nicht unterlassen, die Märsche zu spielen. Von großer Wichtigkeit für den Unterricht und zur Hebung eines bessern Geschmacks, zu gleicher Zeit als eine Polemik in Noten gegell die seichten Unterrichtöwerke ist das Album für Clavier, op. 69. Es beginnt mit kleinen leichten Stücken und bietet nach und nach in seinen spätern Nummern immer größere Schwierigkeiten. Die meisten Stücke sind mit Ueberschriften bezeichnet, z. B. der fröhliche Landmann von der Arbeit zurückkehrend, Wilder Reiter, Reiterstücke, der erste Verlust, Erinnerung an den 4. Sept. 1847 (Mendelsohn's Todestag), Gruß an Gabe, mit den vier An- sangsnoten: ^, v, u. s. w. Schon in seinen Kinderseenen (op. 15) wendet Schumann derartige Ueberschriften an. Die Musik steht in bewunderungswürdiger Uebereinstimmung mit den gegebenen Beziehungen, es ist keineswegs eine niedrige, sinnliche Tonmalerei, welche uns entgegentritt, sondern nur eine in allgemeinen, aber treffenden Strichen gegebene Sitnationszeichnnng, mit dem nöthigen Licht und Schatten. Alle diese kleinen Stücke verdienen die lebhafteste Empfehlung. Ein ähnliches Album zu -4 Händen ist eben jetzt erschienen und bietet gleich Ausge- Gvenzboten. M. 1850. 67

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/17
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/17>, abgerufen am 24.08.2024.