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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Schumann's letztem Werken an diesem Uebermaße. Durch die reiche Jnstrumen¬
tation, dnrch das Verdecken der Melodien, dnrch die neben den Gesaugstimmen
mit zu großer Sorgfalt behandelte Figuration in der Begleitung erscheinen die
Gesaugspartieu uicht mehr als Hauptsache, sondern fast nur als Instrumente, die
ihren Theil, wie jedes andere Instrument zur Totalwirkung mit beitragen müssen.
Es kommt noch hinzu, daß die Motive, an sich selbst edel, nicht überall der ge¬
wöhnlichen Art und Weise des Gesanges angemessen sind. Die Sänger verstehen
sie nicht zu bewältigen, nicht wegen ihrer Schwierigkeit allein, sondern weil diese
Art der Melodiesühruug ihnen uoch neu und fremd ist, weil es unter ihnen ferner
bis jetzt noch Ton gewesen, das deutsche Lied, Trivialitäten von Gumbert und
Krebs ausgenommen, mit Verachtung bei Seite zu legen. Außer diesen Mängeln
ist der Umstand noch zu bemerken, daß die Oper dem Zuhörer keine Ruhepunkte
bietet; vom Anfange bis an's Eude herrscht das gleiche Streben nach dem Höchsten.
Die Recitative sind nicht der freien Declamation überlassen, und wie sonst eine
weise Praxis verlangt, mit geringer harmonischer Begleitung unterstützt, sie sind
im Gegentheil in die Grenzen des Textes hineingebannt, und das Orchester thut
oft mehr, als eine weise Oekonomie sür räthlich halten würde. So ist überall
das Uebermaß des Guten, überall so viel Stoff zu ernsthafter Betrachtung ge¬
geben, daß das Anhören des Werks selbst für den einsichtigsten Künstler eine ziemlich
ermüdende Aufgabe ist. Die Kunst gehört aber nicht allein ihren Priestern. Schu¬
mann neigte sich zum Extreme ans einem gerechten Abscheu gegen die Afterkünstler,
die dem Pöbel mit ihren Späßen bis jetzt unterhalten haben, und so begründet
deshalb diese Opposition war, so wirkte sie doch nicht genügend, weil sie dnrch
ihre Heftigkeit die Kraft der Ueberzeugung verloren hatte. .

Größere, selbstständige Orchesterwerke aus deu letzten Jahren sind von Schu¬
mann nicht in den Kreis der Besprechung zu ziehen, es müßte denn noch er¬
wähnt werden ein Concert sür vier Venlilhörner, welches den letzten Winter im
Gewandhanse aufgeführt wurde. Die Schwierigkeiten in den concertirenden Stim¬
men sind kaum zu lösen, und nnr ein besonderes Glück ließ in dem Orchester
zufällig vier Männer von ausreichender Befähigung finden. Neben diesem Werke
sind uoch einige Studien für Instrumentalmusik anzuführen: eine Fantasie für
Horn und Clavier und eine Musik für Clarinette mit Pianoforte, beide Instrn-
menüilisten schon darum empfehlenswert!), da überhaupt in diesen Fächern wenig
Gutes vorhanden ist.

Zwei Werke für Kammermusik gehören in diese Periode: ein Trio für Pia¬
noforte, Violine und Cello in O wol! (<.>j>. 63) und ein zweites in "u-, (c>i). 80).
Beide schließen sich rühmlich an die schon früher erwähnte Kammermusik, nnr
tragen sie, weil sie der jüngsten Zeit angehören, die unterscheidenden Merkmale
der letzten Werte Schumann's an sich. Sie verhalten sich zu 09. -44 und -47 ans
dieselbe Weise, wie die zweite Sinfonie zur ersten. Zu ihren: Verständnisse ist


Schumann's letztem Werken an diesem Uebermaße. Durch die reiche Jnstrumen¬
tation, dnrch das Verdecken der Melodien, dnrch die neben den Gesaugstimmen
mit zu großer Sorgfalt behandelte Figuration in der Begleitung erscheinen die
Gesaugspartieu uicht mehr als Hauptsache, sondern fast nur als Instrumente, die
ihren Theil, wie jedes andere Instrument zur Totalwirkung mit beitragen müssen.
Es kommt noch hinzu, daß die Motive, an sich selbst edel, nicht überall der ge¬
wöhnlichen Art und Weise des Gesanges angemessen sind. Die Sänger verstehen
sie nicht zu bewältigen, nicht wegen ihrer Schwierigkeit allein, sondern weil diese
Art der Melodiesühruug ihnen uoch neu und fremd ist, weil es unter ihnen ferner
bis jetzt noch Ton gewesen, das deutsche Lied, Trivialitäten von Gumbert und
Krebs ausgenommen, mit Verachtung bei Seite zu legen. Außer diesen Mängeln
ist der Umstand noch zu bemerken, daß die Oper dem Zuhörer keine Ruhepunkte
bietet; vom Anfange bis an's Eude herrscht das gleiche Streben nach dem Höchsten.
Die Recitative sind nicht der freien Declamation überlassen, und wie sonst eine
weise Praxis verlangt, mit geringer harmonischer Begleitung unterstützt, sie sind
im Gegentheil in die Grenzen des Textes hineingebannt, und das Orchester thut
oft mehr, als eine weise Oekonomie sür räthlich halten würde. So ist überall
das Uebermaß des Guten, überall so viel Stoff zu ernsthafter Betrachtung ge¬
geben, daß das Anhören des Werks selbst für den einsichtigsten Künstler eine ziemlich
ermüdende Aufgabe ist. Die Kunst gehört aber nicht allein ihren Priestern. Schu¬
mann neigte sich zum Extreme ans einem gerechten Abscheu gegen die Afterkünstler,
die dem Pöbel mit ihren Späßen bis jetzt unterhalten haben, und so begründet
deshalb diese Opposition war, so wirkte sie doch nicht genügend, weil sie dnrch
ihre Heftigkeit die Kraft der Ueberzeugung verloren hatte. .

Größere, selbstständige Orchesterwerke aus deu letzten Jahren sind von Schu¬
mann nicht in den Kreis der Besprechung zu ziehen, es müßte denn noch er¬
wähnt werden ein Concert sür vier Venlilhörner, welches den letzten Winter im
Gewandhanse aufgeführt wurde. Die Schwierigkeiten in den concertirenden Stim¬
men sind kaum zu lösen, und nnr ein besonderes Glück ließ in dem Orchester
zufällig vier Männer von ausreichender Befähigung finden. Neben diesem Werke
sind uoch einige Studien für Instrumentalmusik anzuführen: eine Fantasie für
Horn und Clavier und eine Musik für Clarinette mit Pianoforte, beide Instrn-
menüilisten schon darum empfehlenswert!), da überhaupt in diesen Fächern wenig
Gutes vorhanden ist.

Zwei Werke für Kammermusik gehören in diese Periode: ein Trio für Pia¬
noforte, Violine und Cello in O wol! (<.>j>. 63) und ein zweites in »u-, (c>i). 80).
Beide schließen sich rühmlich an die schon früher erwähnte Kammermusik, nnr
tragen sie, weil sie der jüngsten Zeit angehören, die unterscheidenden Merkmale
der letzten Werte Schumann's an sich. Sie verhalten sich zu 09. -44 und -47 ans
dieselbe Weise, wie die zweite Sinfonie zur ersten. Zu ihren: Verständnisse ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/16>, abgerufen am 24.08.2024.