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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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meiden, die Resignation, lieber auf allen Beifall zu verzichten, als sich diesen mit
künstlerisch unehrenhaften Mitteln zu gewinnen. Nach diesen Ansichten hat Schu¬
mann in seinem Buche vermieden, unnöthiger Aeuswrlichkeiteu allzu großen Raum
zu verstatte". In dieser Gewissenhaftigkeit liegt allerdings noch nicht die Garantie
für deu wirtlichen Werth, die Gewißheit eines dauernden Erfolgs. In der al¬
ten Sage von der Genoveva findet sich zu wenig Anhalt für eine längere dra¬
matische Ausspinnung, und selbst die beiden Dichter, nach denen Schumann sein
Buch modelte, haben die dramatische Form dafür mit mancher Anstrengung zu¬
bereitet. Tieck hat sich, wiewohl auf allzu kindliche Weise, noch glücklich in dem
Mährchenhaften zu halten gewußt, Hebbel hat die Fabel nach seiner sinnlich ex¬
centrischen Weise verunstaltet. Leider hat sich Schumann zu sehr darauf gestützt
und die Hebbel'schen Figuren deö Golo und der Margarethe, die niedere Nach¬
sucht und die boshafteste Näuteschiiliederei treten gegen alle edlern Empfindungen
zu beleidigend in den Vordergrund. Das Hauptmoment der modernen ernsten
Oper, das selbstständige Auftreten der Chöre, ihr lebendiges und selbstständiges
Miteingreifen liegt geuau geuouuueu der gauzeu Handlung fern, weshalb auch die
großen Chöre am Anfange des ersten Actes und am Schlüsse des Stückes nur
als gewohnte, zur nöthigen Abwechslung dienende Zugaben zu betrachten siud.
selbstständiger und motivirter erscheinen der Chor der betrunkenen lind ungehor-
samen Knechte, obwohl dieser durch sein Verweisen hinter die Scene in seiner
Wirkuug bedeutend abgeschwächt wird, und das Fiualchor, in welcheul die aufge¬
wiegelte Schaar der Knechte und Mägde deu ehrlichen Drago im Gemache der
Herrin findet u,it ihn ihrer Rache als Opfer fallen läßt.

Ueber die Musik der Oper hat sich bis jetzt, selbst uuter deu Künstlern, noch
kein bestimmtes Urtheil festgestellt, es sind sogar die lebhaftesten Streitigkeiten
in der Neuen Zeitschrift für Musik darüber entbrannt, indem der Redacteur
Fr. Brendel mancherlei Einwendungen gegen die Musik und Schumann's Richtung
überhallpt zu machen versuchte, welche ein glühender Anhänger des Komponisten
auf ziemlich leidenschaftliche Weise zurückzuweisen sich bestrebte. Beide Theile haben
Unrecht; der Eine, indem er zu hastig absprach und nichr genügend berücksichtigte,
welche leitende Absichten dem Werke zu Grunde gelegen haben, und daß es über¬
hallpt als erster Versuch in eiuer neuen, beginnenden Richtung zik betrachten ist;
der Andere, weil er zik blind auf deu Meister schwört und jede abweichende Mei¬
nung als feindselig ansieht. Nur die Frage kommt hier in Betracht, ob der hier
eingeschlagene Weg ein solcher ist, daß das Fortwandeln auf ihm gerechtfertigt sein
wird. Und gewiß ist eS so, wenn je das Streben uach Wahrheit und Einfach¬
heit unnützem Tande und unlautern Effecten vorzuziehen ist. Wie sehr eine Sehn-
sucht uach Reform im Opcrwesen begründet ist, zeigt die große Theilnahme und die
Spannung, nut melcher Schumann's Oper erwartet wurde. Es klingt paradox,
wenn man ausspricht, er habe zu gut gearbeitet, und dennoch leiden manche von


meiden, die Resignation, lieber auf allen Beifall zu verzichten, als sich diesen mit
künstlerisch unehrenhaften Mitteln zu gewinnen. Nach diesen Ansichten hat Schu¬
mann in seinem Buche vermieden, unnöthiger Aeuswrlichkeiteu allzu großen Raum
zu verstatte». In dieser Gewissenhaftigkeit liegt allerdings noch nicht die Garantie
für deu wirtlichen Werth, die Gewißheit eines dauernden Erfolgs. In der al¬
ten Sage von der Genoveva findet sich zu wenig Anhalt für eine längere dra¬
matische Ausspinnung, und selbst die beiden Dichter, nach denen Schumann sein
Buch modelte, haben die dramatische Form dafür mit mancher Anstrengung zu¬
bereitet. Tieck hat sich, wiewohl auf allzu kindliche Weise, noch glücklich in dem
Mährchenhaften zu halten gewußt, Hebbel hat die Fabel nach seiner sinnlich ex¬
centrischen Weise verunstaltet. Leider hat sich Schumann zu sehr darauf gestützt
und die Hebbel'schen Figuren deö Golo und der Margarethe, die niedere Nach¬
sucht und die boshafteste Näuteschiiliederei treten gegen alle edlern Empfindungen
zu beleidigend in den Vordergrund. Das Hauptmoment der modernen ernsten
Oper, das selbstständige Auftreten der Chöre, ihr lebendiges und selbstständiges
Miteingreifen liegt geuau geuouuueu der gauzeu Handlung fern, weshalb auch die
großen Chöre am Anfange des ersten Actes und am Schlüsse des Stückes nur
als gewohnte, zur nöthigen Abwechslung dienende Zugaben zu betrachten siud.
selbstständiger und motivirter erscheinen der Chor der betrunkenen lind ungehor-
samen Knechte, obwohl dieser durch sein Verweisen hinter die Scene in seiner
Wirkuug bedeutend abgeschwächt wird, und das Fiualchor, in welcheul die aufge¬
wiegelte Schaar der Knechte und Mägde deu ehrlichen Drago im Gemache der
Herrin findet u,it ihn ihrer Rache als Opfer fallen läßt.

Ueber die Musik der Oper hat sich bis jetzt, selbst uuter deu Künstlern, noch
kein bestimmtes Urtheil festgestellt, es sind sogar die lebhaftesten Streitigkeiten
in der Neuen Zeitschrift für Musik darüber entbrannt, indem der Redacteur
Fr. Brendel mancherlei Einwendungen gegen die Musik und Schumann's Richtung
überhallpt zu machen versuchte, welche ein glühender Anhänger des Komponisten
auf ziemlich leidenschaftliche Weise zurückzuweisen sich bestrebte. Beide Theile haben
Unrecht; der Eine, indem er zu hastig absprach und nichr genügend berücksichtigte,
welche leitende Absichten dem Werke zu Grunde gelegen haben, und daß es über¬
hallpt als erster Versuch in eiuer neuen, beginnenden Richtung zik betrachten ist;
der Andere, weil er zik blind auf deu Meister schwört und jede abweichende Mei¬
nung als feindselig ansieht. Nur die Frage kommt hier in Betracht, ob der hier
eingeschlagene Weg ein solcher ist, daß das Fortwandeln auf ihm gerechtfertigt sein
wird. Und gewiß ist eS so, wenn je das Streben uach Wahrheit und Einfach¬
heit unnützem Tande und unlautern Effecten vorzuziehen ist. Wie sehr eine Sehn-
sucht uach Reform im Opcrwesen begründet ist, zeigt die große Theilnahme und die
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wenn man ausspricht, er habe zu gut gearbeitet, und dennoch leiden manche von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/15>, abgerufen am 22.07.2024.