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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Der Franzose hat vor uns immer den großen Vortheil, daß er neben seiner
Privatehre noch eine nationale Ehre zu vertreten hat; eine Ehre, die dnrch eine Un¬
zufriedenheit mit der augenblicklichem Regierung nicht aufgehoben wird. Daß der
Nationalstolz ein sehr wichtiges sittliches Moment ist, haben wir endlich begreifen
gelernt, und wir haben uus zu einer Art Patriotismus heraufgeschraubt, der in
Augenblicken der Leidenschaft sich sogar auf eine ziemlich krankhafte Weise äußerte.
Aber diese Hitze kaun nicht von Dauer sein. Wenn es der Reaction gelingt,
die letzten Hoffnungen unserer staatlichen Centralisation aufzuheben, so wird es
auch mit dem Patriotismus zu Ende sein, denn für ein blos eingebildetes Vater¬
land kann man nicht lange schwärmen.

Unsere Regierungen glauben stets, uns Liberalen gebe der Sinn für Auto¬
rität, für Disciplin, für Gehorsam ab. Im Gegentheil! Aber um einer Autorität
folgen zu können, muß man eine haben. Möge doch einmal die conservative
Partei qu^un meine den Lauf der elenden Winkelzüge, in denen sich unsere Re¬
gierungen seit dem März bewegen, unparteiisch verfolgen -- sie darf dazu uur
die im Staatsanzeiger abgedruckten offiziellen Noten nachsehen -- und sich dann
die Frage vorlegen: ist da eine Autorität, ein Glaube an die Negierung, Dis¬
ciplin und Gehorsam möglich? Die conservative Presse hat zwar zuweilen wun¬
derbare Anwandlungen, in denen sie den Spiegel schlägt, weil er ihr Runzeln
und graue Haare zeigt; so hat z. B. einmal die "Deutsche Reform" mit der
Miene der ehrlichsten Unbefangenheit erklärt, der schlechte Credit, in dem die preu¬
ßische Politik stehe, rühre lediglich vou den Verleumdungen der liberalen Presse
her, während sie nur eine beliebige preußische Note aus dem vorigen und eine
aus diesem Jahr mit einander vergleichen durste, uM ohne alle liberalen Ver-
leumdungen sich selber in's Gesicht zu schlagen. -- Und doch ist es uicht der
König von Preußen, nicht die Könige von Sachsen, Hannover u. s. w., nicht die
34 souveränen Fürsten, die wir angreifen, auch uicht ihre Minister; deun wir
scheu wohl ein, daß der Schlangengang ihrer Politik der Macht der Verhältnisse
entspringt, daß sie von einem Verhängniß getrieben werden, welches mächtiger
ist als sie. Ihre ganze Stellung, gegen ihre Unterthanen, gegen ihre Mitfür¬
sten, gegen den "Bund", gegen das Vaterland ist eine innere Unwahrheit, sie
können nicht constitutionell, sie können nicht absolut sein, sie sind nicht souverän,
und auch wieder uicht abhängig von einer bestimmten Macht, einem bestimmten
Recht -- das sind alles Zustände, an denen sie persönlich nicht schuldig siud, aber
das überhebt sie nicht der Einsicht, daß es so nicht bleiben kann. Wir haben
vor dem März Jahr aus Jahr ein gepredigt: wenn von Seiten der bestehenden
Autorität nichts geschieht, um diesem Elend abzuhelfen, so wird, so muß es zu
einer innern Explosion kommen! Man hat unserer nicht geachtet, nud was wir
vorhergesagt haben, ist eingetroffen. In dem Augenblick, wo die "hohen Diener"
der Fürsten, deren Allwissenheit plötzlich lächerlich wurde, entweder davou liefen,


Der Franzose hat vor uns immer den großen Vortheil, daß er neben seiner
Privatehre noch eine nationale Ehre zu vertreten hat; eine Ehre, die dnrch eine Un¬
zufriedenheit mit der augenblicklichem Regierung nicht aufgehoben wird. Daß der
Nationalstolz ein sehr wichtiges sittliches Moment ist, haben wir endlich begreifen
gelernt, und wir haben uus zu einer Art Patriotismus heraufgeschraubt, der in
Augenblicken der Leidenschaft sich sogar auf eine ziemlich krankhafte Weise äußerte.
Aber diese Hitze kaun nicht von Dauer sein. Wenn es der Reaction gelingt,
die letzten Hoffnungen unserer staatlichen Centralisation aufzuheben, so wird es
auch mit dem Patriotismus zu Ende sein, denn für ein blos eingebildetes Vater¬
land kann man nicht lange schwärmen.

Unsere Regierungen glauben stets, uns Liberalen gebe der Sinn für Auto¬
rität, für Disciplin, für Gehorsam ab. Im Gegentheil! Aber um einer Autorität
folgen zu können, muß man eine haben. Möge doch einmal die conservative
Partei qu^un meine den Lauf der elenden Winkelzüge, in denen sich unsere Re¬
gierungen seit dem März bewegen, unparteiisch verfolgen — sie darf dazu uur
die im Staatsanzeiger abgedruckten offiziellen Noten nachsehen — und sich dann
die Frage vorlegen: ist da eine Autorität, ein Glaube an die Negierung, Dis¬
ciplin und Gehorsam möglich? Die conservative Presse hat zwar zuweilen wun¬
derbare Anwandlungen, in denen sie den Spiegel schlägt, weil er ihr Runzeln
und graue Haare zeigt; so hat z. B. einmal die „Deutsche Reform" mit der
Miene der ehrlichsten Unbefangenheit erklärt, der schlechte Credit, in dem die preu¬
ßische Politik stehe, rühre lediglich vou den Verleumdungen der liberalen Presse
her, während sie nur eine beliebige preußische Note aus dem vorigen und eine
aus diesem Jahr mit einander vergleichen durste, uM ohne alle liberalen Ver-
leumdungen sich selber in's Gesicht zu schlagen. — Und doch ist es uicht der
König von Preußen, nicht die Könige von Sachsen, Hannover u. s. w., nicht die
34 souveränen Fürsten, die wir angreifen, auch uicht ihre Minister; deun wir
scheu wohl ein, daß der Schlangengang ihrer Politik der Macht der Verhältnisse
entspringt, daß sie von einem Verhängniß getrieben werden, welches mächtiger
ist als sie. Ihre ganze Stellung, gegen ihre Unterthanen, gegen ihre Mitfür¬
sten, gegen den „Bund", gegen das Vaterland ist eine innere Unwahrheit, sie
können nicht constitutionell, sie können nicht absolut sein, sie sind nicht souverän,
und auch wieder uicht abhängig von einer bestimmten Macht, einem bestimmten
Recht — das sind alles Zustände, an denen sie persönlich nicht schuldig siud, aber
das überhebt sie nicht der Einsicht, daß es so nicht bleiben kann. Wir haben
vor dem März Jahr aus Jahr ein gepredigt: wenn von Seiten der bestehenden
Autorität nichts geschieht, um diesem Elend abzuhelfen, so wird, so muß es zu
einer innern Explosion kommen! Man hat unserer nicht geachtet, nud was wir
vorhergesagt haben, ist eingetroffen. In dem Augenblick, wo die „hohen Diener"
der Fürsten, deren Allwissenheit plötzlich lächerlich wurde, entweder davou liefen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/148>, abgerufen am 25.08.2024.