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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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neue zu machen sind, in dem sie weder Familie, noch Eigenthum, noch Inter¬
essen haben; in das sie oft wie an einen Verbannungsort geschickt sind, das sie
vielleicht morgen verlassen werden, und aus dem sie noch hente entfliehen würden,
wenn man ihnen anderswo eine bessere Stelle gäbe? Wenn sie Verbesserungen
versuchen, so wird es in der Hoffnung geschehen, dadurch die Blicke des Ministers,
des alleinigen Gebieters über die Beförderung, ans sich zu ziehen, und oft werden
diese Verbesserungen, die nur dazu bestimmt sind, Aufsehen zu machen, den Ver¬
fall der Finanzen des Departements herbeiführen, und mehr kosten, als sie
werth sind.

Kann in den öffentlichen Unternehmungen und Arbeiten Einheit und Zu¬
sammenhang sein, wenn die Verwaltungsbeamten in einem Zustande fortwähren¬
der Beweglichkeit sind? und was kann man ohne Einheit und Zusammenhang
Gutes und Großes thun?"

-- Wir übergehen die weitere Ausführung, und wenden uns zu der Wirkung,
welche diese Centralisation auf die Revolutionen ausübt. --

,,Zu allen Zeiten hat es Träumer gegeben, die sich damit belustigt haben, auf
dem Papiere die ganze menschliche Gesellschaft neu zu bilden, aber fast immer
entstanden und vergingen ihre unanwendbaren Ideen in der Einsamkeit, und be¬
wegten nur eine kleine Anzahl forschender Geister. Die Idee, jedes Privateigen'-
thun abzuschaffen, Alles gemeinschaftlich zu machen, als Brüder zu theilen, war
mehr als einem Philosophen, mehr als einem Redner der vergangenen Jahrhun¬
derte durch den Kopf gegangen, aber nie hatte eine große und mächtige Gesell¬
schaft zu fürchten gehabt, von Grund ans dnrch solchen Unsinn verkehrt zu werden,
welcher der Natur des Meuscheu entgegen ist, und dessen Folge das Elend und
Verderben aller sein würde. Wie kommt es, daß diese Ideen in Frankreich Aus¬
dehnung und Macht genng gewonnen haben, um das größte Unglück befürchten
zu lassen?

Seit fünfzig Jahren sind die französischen Generationen von der Idee durch¬
drungen, daß die Privatleute, die Gemeinden, die Departements die Bevor¬
mundung des Staates unumgänglich nöthig haben, daß sie unfähig sind, etwas
Gutes zu thun, wenn man ihnen nicht die Hand führt, sich zu bewegen und zu
gehen, wenn der Staat sie nicht unaufhörlich am Gängelbande hält. Ungeachtet
dieser fortwährenden Bevormundung sieht man doch noch viele Unglückliche, sieht
man sehr wenig Glück für die Massen; dann denkt man nur, das komme daher,
daß der Staat noch nicht genng thut, noch nicht genug Dinge lenkt, man macht
es ihm immer mehr zur Pflicht, Barmherzigkeit zu üben, den Arbeitern Arbeit zu
geben, man vermehrt unaufhörlich die deu Gemeinden, den Wohlthätigkeitsan¬
stalten, den Departements zu vertheilenden gemeinsamen Fonds; man will, er soll
die Landbauer im Landbau unterrichte", soll Ackerbancolonien errichten, man
gewöhnt sich, ihn als den aeus ex maelüna zu betrachten; man kommt endlich


neue zu machen sind, in dem sie weder Familie, noch Eigenthum, noch Inter¬
essen haben; in das sie oft wie an einen Verbannungsort geschickt sind, das sie
vielleicht morgen verlassen werden, und aus dem sie noch hente entfliehen würden,
wenn man ihnen anderswo eine bessere Stelle gäbe? Wenn sie Verbesserungen
versuchen, so wird es in der Hoffnung geschehen, dadurch die Blicke des Ministers,
des alleinigen Gebieters über die Beförderung, ans sich zu ziehen, und oft werden
diese Verbesserungen, die nur dazu bestimmt sind, Aufsehen zu machen, den Ver¬
fall der Finanzen des Departements herbeiführen, und mehr kosten, als sie
werth sind.

Kann in den öffentlichen Unternehmungen und Arbeiten Einheit und Zu¬
sammenhang sein, wenn die Verwaltungsbeamten in einem Zustande fortwähren¬
der Beweglichkeit sind? und was kann man ohne Einheit und Zusammenhang
Gutes und Großes thun?"

— Wir übergehen die weitere Ausführung, und wenden uns zu der Wirkung,
welche diese Centralisation auf die Revolutionen ausübt. —

,,Zu allen Zeiten hat es Träumer gegeben, die sich damit belustigt haben, auf
dem Papiere die ganze menschliche Gesellschaft neu zu bilden, aber fast immer
entstanden und vergingen ihre unanwendbaren Ideen in der Einsamkeit, und be¬
wegten nur eine kleine Anzahl forschender Geister. Die Idee, jedes Privateigen'-
thun abzuschaffen, Alles gemeinschaftlich zu machen, als Brüder zu theilen, war
mehr als einem Philosophen, mehr als einem Redner der vergangenen Jahrhun¬
derte durch den Kopf gegangen, aber nie hatte eine große und mächtige Gesell¬
schaft zu fürchten gehabt, von Grund ans dnrch solchen Unsinn verkehrt zu werden,
welcher der Natur des Meuscheu entgegen ist, und dessen Folge das Elend und
Verderben aller sein würde. Wie kommt es, daß diese Ideen in Frankreich Aus¬
dehnung und Macht genng gewonnen haben, um das größte Unglück befürchten
zu lassen?

Seit fünfzig Jahren sind die französischen Generationen von der Idee durch¬
drungen, daß die Privatleute, die Gemeinden, die Departements die Bevor¬
mundung des Staates unumgänglich nöthig haben, daß sie unfähig sind, etwas
Gutes zu thun, wenn man ihnen nicht die Hand führt, sich zu bewegen und zu
gehen, wenn der Staat sie nicht unaufhörlich am Gängelbande hält. Ungeachtet
dieser fortwährenden Bevormundung sieht man doch noch viele Unglückliche, sieht
man sehr wenig Glück für die Massen; dann denkt man nur, das komme daher,
daß der Staat noch nicht genng thut, noch nicht genug Dinge lenkt, man macht
es ihm immer mehr zur Pflicht, Barmherzigkeit zu üben, den Arbeitern Arbeit zu
geben, man vermehrt unaufhörlich die deu Gemeinden, den Wohlthätigkeitsan¬
stalten, den Departements zu vertheilenden gemeinsamen Fonds; man will, er soll
die Landbauer im Landbau unterrichte», soll Ackerbancolonien errichten, man
gewöhnt sich, ihn als den aeus ex maelüna zu betrachten; man kommt endlich


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[0143] neue zu machen sind, in dem sie weder Familie, noch Eigenthum, noch Inter¬ essen haben; in das sie oft wie an einen Verbannungsort geschickt sind, das sie vielleicht morgen verlassen werden, und aus dem sie noch hente entfliehen würden, wenn man ihnen anderswo eine bessere Stelle gäbe? Wenn sie Verbesserungen versuchen, so wird es in der Hoffnung geschehen, dadurch die Blicke des Ministers, des alleinigen Gebieters über die Beförderung, ans sich zu ziehen, und oft werden diese Verbesserungen, die nur dazu bestimmt sind, Aufsehen zu machen, den Ver¬ fall der Finanzen des Departements herbeiführen, und mehr kosten, als sie werth sind. Kann in den öffentlichen Unternehmungen und Arbeiten Einheit und Zu¬ sammenhang sein, wenn die Verwaltungsbeamten in einem Zustande fortwähren¬ der Beweglichkeit sind? und was kann man ohne Einheit und Zusammenhang Gutes und Großes thun?" — Wir übergehen die weitere Ausführung, und wenden uns zu der Wirkung, welche diese Centralisation auf die Revolutionen ausübt. — ,,Zu allen Zeiten hat es Träumer gegeben, die sich damit belustigt haben, auf dem Papiere die ganze menschliche Gesellschaft neu zu bilden, aber fast immer entstanden und vergingen ihre unanwendbaren Ideen in der Einsamkeit, und be¬ wegten nur eine kleine Anzahl forschender Geister. Die Idee, jedes Privateigen'- thun abzuschaffen, Alles gemeinschaftlich zu machen, als Brüder zu theilen, war mehr als einem Philosophen, mehr als einem Redner der vergangenen Jahrhun¬ derte durch den Kopf gegangen, aber nie hatte eine große und mächtige Gesell¬ schaft zu fürchten gehabt, von Grund ans dnrch solchen Unsinn verkehrt zu werden, welcher der Natur des Meuscheu entgegen ist, und dessen Folge das Elend und Verderben aller sein würde. Wie kommt es, daß diese Ideen in Frankreich Aus¬ dehnung und Macht genng gewonnen haben, um das größte Unglück befürchten zu lassen? Seit fünfzig Jahren sind die französischen Generationen von der Idee durch¬ drungen, daß die Privatleute, die Gemeinden, die Departements die Bevor¬ mundung des Staates unumgänglich nöthig haben, daß sie unfähig sind, etwas Gutes zu thun, wenn man ihnen nicht die Hand führt, sich zu bewegen und zu gehen, wenn der Staat sie nicht unaufhörlich am Gängelbande hält. Ungeachtet dieser fortwährenden Bevormundung sieht man doch noch viele Unglückliche, sieht man sehr wenig Glück für die Massen; dann denkt man nur, das komme daher, daß der Staat noch nicht genng thut, noch nicht genug Dinge lenkt, man macht es ihm immer mehr zur Pflicht, Barmherzigkeit zu üben, den Arbeitern Arbeit zu geben, man vermehrt unaufhörlich die deu Gemeinden, den Wohlthätigkeitsan¬ stalten, den Departements zu vertheilenden gemeinsamen Fonds; man will, er soll die Landbauer im Landbau unterrichte», soll Ackerbancolonien errichten, man gewöhnt sich, ihn als den aeus ex maelüna zu betrachten; man kommt endlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/143>, abgerufen am 25.08.2024.