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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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so weit, die Freiheit des Einzelnen, der einen schlechten Gebrauch davon machen
kann, das Privateigentum, das man sehr schlecht anwenden kann, als eine Stö¬
rung im Spiele des Räderwerkes und in jeuer Einförmigkeit zu betrachten, die
der Staat allein vorschreiben und sichern kann. Da doch einmal der Staat seine
Beamtenhecre erwählt, alle Verwaltungsgeschäfte besorgt, Tabak fabricirt und da¬
mit handelt, da er Drucker, Schiffbauer, Waffen- und Wagenfabrikant, Schneider,
Schuster, Sattler, Müller, Bäcker für die Armee und die Flotte, Eisenbahn-Post-
meister, Professor und Schulmeister, Banquier des Volks durch die Sparcassen,
Banquier der Departements, der Gemeinden und der öffentlichen Anstalten ist,
deren Gelder er empfängt und benutzt, warum sollte er nicht auch den Auftrag
erhalten, eine vollkommene Harmonie herzustellen, die ganze Gesellschaft in Gang
zu bringen? Warum sollte er nicht der einzige wahrhafte Eigenthümer sein, der
Jedem seinen Theil am Vermögen nach Recht und Billigkeit und nach seinen
Bedürfnissen zutheilt? Alles muß gemeinschaftlich sein.

In eiuer andern Ordnung der Gesellschaft, bei andern Institutionen, wären
diese Ideen vou selbst-abgestorben, weil ihre Urheber eingesehen haben würden,
daß ihre Anwendung ans unüberwindliche Hindernisse stoßen würde, weil sie nir¬
gends die Mittel gefunden haben würden, von der Träumerei zur That überzu¬
gehen. Aber bei den Gewalten dieser Centralisation gibt es keine tolle Idee, die
nicht hoffen könnte, ins Werk gesetzt zu werden, wenn ihre Jünger sich an einem
Tage des Kampfes jener Maschine bemächtigen können, die jeden Widerstand zer¬
malmt. Der Communismus, geboren aus der Centralisation, wächst durch die
Hoffnung, daß die Centralisation ihm die Bahnen bereitet, die Menschen zuge¬
richtet har, und ihm die Macht geben wird, Frankreich sein Joch aufzulegen. --

Es scheint, als ob eine so concentrirte Macht, die alle Kräfte des Staats in
Händen hält, die über eine Menge von Existenzen zu gebieten hat, die alle
schwachen und vereinzelten Individuen und alle Kraft und eigenes Leben entbeh¬
renden Theile Frankreichs beherrscht, niemals fürchten dürfte, angegriffen oder gar
gestürzt zu werdeu, und doch befindet sich seit 60 Jahren Frankreich fortwährend
im Zustande der Revolution; woher kommt das?

Die Regierung, die in Frankreich Alles macht, hat die Verantwortlichkeit für
Alles und schwankt unter dem Gewichte dieser Verantwortlichkeit. Jedes verletzte
Interesse, eiues Jeden, auch des Geringsten verwundete Eigenliebe, hält sich an
die Regierung; um der geringfügigsten Ursache willen, die bei einer regelmäßigen
Ordnung der Dinge nur die Versetzung oder Bestrafung eines Unterbeamten
wünschenswert!) erscheinen ließe, will man die Regierung stürzen. Die Classe, das
Land, die für eine Sache oft über die menschlichen Kräfte hinaus leiden, werden,
daran gewöhnt, zu deuten, daß die Regierung Alles thut und Alles kann, sie für
ihre Verluste, ihr Elend verantwortlich machen, und werden ihren Wechsel herbei¬
führen wollen. Die Regierung verfügt über eine Menge von Stellen, aber die


so weit, die Freiheit des Einzelnen, der einen schlechten Gebrauch davon machen
kann, das Privateigentum, das man sehr schlecht anwenden kann, als eine Stö¬
rung im Spiele des Räderwerkes und in jeuer Einförmigkeit zu betrachten, die
der Staat allein vorschreiben und sichern kann. Da doch einmal der Staat seine
Beamtenhecre erwählt, alle Verwaltungsgeschäfte besorgt, Tabak fabricirt und da¬
mit handelt, da er Drucker, Schiffbauer, Waffen- und Wagenfabrikant, Schneider,
Schuster, Sattler, Müller, Bäcker für die Armee und die Flotte, Eisenbahn-Post-
meister, Professor und Schulmeister, Banquier des Volks durch die Sparcassen,
Banquier der Departements, der Gemeinden und der öffentlichen Anstalten ist,
deren Gelder er empfängt und benutzt, warum sollte er nicht auch den Auftrag
erhalten, eine vollkommene Harmonie herzustellen, die ganze Gesellschaft in Gang
zu bringen? Warum sollte er nicht der einzige wahrhafte Eigenthümer sein, der
Jedem seinen Theil am Vermögen nach Recht und Billigkeit und nach seinen
Bedürfnissen zutheilt? Alles muß gemeinschaftlich sein.

In eiuer andern Ordnung der Gesellschaft, bei andern Institutionen, wären
diese Ideen vou selbst-abgestorben, weil ihre Urheber eingesehen haben würden,
daß ihre Anwendung ans unüberwindliche Hindernisse stoßen würde, weil sie nir¬
gends die Mittel gefunden haben würden, von der Träumerei zur That überzu¬
gehen. Aber bei den Gewalten dieser Centralisation gibt es keine tolle Idee, die
nicht hoffen könnte, ins Werk gesetzt zu werden, wenn ihre Jünger sich an einem
Tage des Kampfes jener Maschine bemächtigen können, die jeden Widerstand zer¬
malmt. Der Communismus, geboren aus der Centralisation, wächst durch die
Hoffnung, daß die Centralisation ihm die Bahnen bereitet, die Menschen zuge¬
richtet har, und ihm die Macht geben wird, Frankreich sein Joch aufzulegen. —

Es scheint, als ob eine so concentrirte Macht, die alle Kräfte des Staats in
Händen hält, die über eine Menge von Existenzen zu gebieten hat, die alle
schwachen und vereinzelten Individuen und alle Kraft und eigenes Leben entbeh¬
renden Theile Frankreichs beherrscht, niemals fürchten dürfte, angegriffen oder gar
gestürzt zu werdeu, und doch befindet sich seit 60 Jahren Frankreich fortwährend
im Zustande der Revolution; woher kommt das?

Die Regierung, die in Frankreich Alles macht, hat die Verantwortlichkeit für
Alles und schwankt unter dem Gewichte dieser Verantwortlichkeit. Jedes verletzte
Interesse, eiues Jeden, auch des Geringsten verwundete Eigenliebe, hält sich an
die Regierung; um der geringfügigsten Ursache willen, die bei einer regelmäßigen
Ordnung der Dinge nur die Versetzung oder Bestrafung eines Unterbeamten
wünschenswert!) erscheinen ließe, will man die Regierung stürzen. Die Classe, das
Land, die für eine Sache oft über die menschlichen Kräfte hinaus leiden, werden,
daran gewöhnt, zu deuten, daß die Regierung Alles thut und Alles kann, sie für
ihre Verluste, ihr Elend verantwortlich machen, und werden ihren Wechsel herbei¬
führen wollen. Die Regierung verfügt über eine Menge von Stellen, aber die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/144>, abgerufen am 25.08.2024.