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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Mir fallt bei diesem Refrain eine Anekdote ein, die ich mich nicht enthalten kann, zu
erzählen, obgleich sie eigentlich nicht hergehört. -- Der Director eines östreichischen Provinzial-
theaters wollte den Wilhelm Tell ausführen und versicherte der Polizeibehörde, die gegen
ein so revolutionäres und arti-östreichisches Stück ihre ernsten Bedenken hatte, er habe
es so eingerichtet, daß das Vaterland sich nicht beklagen könnte. Die Behörde wohnte
also der Probe bei, und glaubte ihren Ohren nicht trauen zu dürfen, als die sämmt¬
lichen politischen Ketzereien Schillers, eine nach der andern von den Brettern herab auf
sie einstürmten; schon wollte sie den hochverräterischen Director beim Kragen fassen,
als dieser sie mit verschmitztem Lächeln aufforderte, nur das Ende abzuwarten. Und das
Ende kam: als das Volt in den Jubelruf ausbrechen soll: Hoch lebe Tell, der Schütz
und der Erretter! brüllte das gesammte Personal: Es lebe Oestreich! Tell ist ein Ver-
räther! -- So macht sich Alles, wenn man sich nur zu arrangiren versteht. --


Was der Kaiser uns gewährt,
Wird er fruchtlos stets verschwenden,
Wenn uns die Vernunft nicht lehrt,
ES zum Guten anzuwenden. -- Oder anders ausgedrückt:
Der Schwache ist nur an Feigheit reich,
Ein elender Knecht, unter Freien;
Wir wollen ein starkes Oesterreich,
Da wird die Freiheit gedeihen.
Frisch auf, wenn es gilt; Franz Joseph ist da,
Er führt uns zum Siege, Hurrah! Hurrah! --

Darum sagt er mit Recht zu Deutschland:


Nimm deine Brüder wie sie sind. Gott Lob!
Sie können ihre Fahne stolz entfalten;
Die leiten Jahre sagen dir es, ob
Sie Männer sind, die warm zusammenhalten.
Nicht wahr, vor Freude hüpfte dir das Herz,
Als unsre Helden bei Custoza schlugen u. s. w.

Was ist das Vaterland? fragt er mit Arndt. - Der Fahneneid!


Er einigt brüderlich den Slaven,
Den Deutschen, Wälschen, den Magyar,
Ihr Heimathland ist das der Braven,
Ihr Glaube ist der Doppelaar;
Sie fragen nicht, woher sie stammen,
Zu Einem Schmelzle sie zusammen
Im heit'gar Glühn der Tapferkeit
Der Fahneneid. --

Wir könnten leicht ein zweckmäßiges Pendant aus der Erklärung Wallensteins geben,
die Schiller ihm dem Oberst Wrangel gegenüber in den Mund legt.

Einsam in dieser Reihe politischer Propheten, die nur in den Mußestunden lieben und
küssen, steht Herr Schrader. Es sind unbefangene, heitere Gedichte, die eine gesunde
Empfindung und ein verständiges Denken verrathen, was in unserer verschrobencnZeit, schon
sehr anerkennenswert!) ist. Einzelne der kleinen Lieder würden sich zur Komposition empfehlen.

Weniger unbefangen und entschiedener gegen den Zeitgeist tritt der alte berühmte
Romantiker auf, Joseph v. Eichendorff, indem er die Lieder eines jüngern Freundes ein¬
führt. Er kann die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, der politischen Poesie einige
Seitenhiebe zu geben. -- Allerdings ist uns diese sehr lästig gefallen, -- in einer Zeit,


Mir fallt bei diesem Refrain eine Anekdote ein, die ich mich nicht enthalten kann, zu
erzählen, obgleich sie eigentlich nicht hergehört. — Der Director eines östreichischen Provinzial-
theaters wollte den Wilhelm Tell ausführen und versicherte der Polizeibehörde, die gegen
ein so revolutionäres und arti-östreichisches Stück ihre ernsten Bedenken hatte, er habe
es so eingerichtet, daß das Vaterland sich nicht beklagen könnte. Die Behörde wohnte
also der Probe bei, und glaubte ihren Ohren nicht trauen zu dürfen, als die sämmt¬
lichen politischen Ketzereien Schillers, eine nach der andern von den Brettern herab auf
sie einstürmten; schon wollte sie den hochverräterischen Director beim Kragen fassen,
als dieser sie mit verschmitztem Lächeln aufforderte, nur das Ende abzuwarten. Und das
Ende kam: als das Volt in den Jubelruf ausbrechen soll: Hoch lebe Tell, der Schütz
und der Erretter! brüllte das gesammte Personal: Es lebe Oestreich! Tell ist ein Ver-
räther! — So macht sich Alles, wenn man sich nur zu arrangiren versteht. —


Was der Kaiser uns gewährt,
Wird er fruchtlos stets verschwenden,
Wenn uns die Vernunft nicht lehrt,
ES zum Guten anzuwenden. — Oder anders ausgedrückt:
Der Schwache ist nur an Feigheit reich,
Ein elender Knecht, unter Freien;
Wir wollen ein starkes Oesterreich,
Da wird die Freiheit gedeihen.
Frisch auf, wenn es gilt; Franz Joseph ist da,
Er führt uns zum Siege, Hurrah! Hurrah! —

Darum sagt er mit Recht zu Deutschland:


Nimm deine Brüder wie sie sind. Gott Lob!
Sie können ihre Fahne stolz entfalten;
Die leiten Jahre sagen dir es, ob
Sie Männer sind, die warm zusammenhalten.
Nicht wahr, vor Freude hüpfte dir das Herz,
Als unsre Helden bei Custoza schlugen u. s. w.

Was ist das Vaterland? fragt er mit Arndt. - Der Fahneneid!


Er einigt brüderlich den Slaven,
Den Deutschen, Wälschen, den Magyar,
Ihr Heimathland ist das der Braven,
Ihr Glaube ist der Doppelaar;
Sie fragen nicht, woher sie stammen,
Zu Einem Schmelzle sie zusammen
Im heit'gar Glühn der Tapferkeit
Der Fahneneid. —

Wir könnten leicht ein zweckmäßiges Pendant aus der Erklärung Wallensteins geben,
die Schiller ihm dem Oberst Wrangel gegenüber in den Mund legt.

Einsam in dieser Reihe politischer Propheten, die nur in den Mußestunden lieben und
küssen, steht Herr Schrader. Es sind unbefangene, heitere Gedichte, die eine gesunde
Empfindung und ein verständiges Denken verrathen, was in unserer verschrobencnZeit, schon
sehr anerkennenswert!) ist. Einzelne der kleinen Lieder würden sich zur Komposition empfehlen.

Weniger unbefangen und entschiedener gegen den Zeitgeist tritt der alte berühmte
Romantiker auf, Joseph v. Eichendorff, indem er die Lieder eines jüngern Freundes ein¬
führt. Er kann die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, der politischen Poesie einige
Seitenhiebe zu geben. — Allerdings ist uns diese sehr lästig gefallen, — in einer Zeit,


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[0124] Mir fallt bei diesem Refrain eine Anekdote ein, die ich mich nicht enthalten kann, zu erzählen, obgleich sie eigentlich nicht hergehört. — Der Director eines östreichischen Provinzial- theaters wollte den Wilhelm Tell ausführen und versicherte der Polizeibehörde, die gegen ein so revolutionäres und arti-östreichisches Stück ihre ernsten Bedenken hatte, er habe es so eingerichtet, daß das Vaterland sich nicht beklagen könnte. Die Behörde wohnte also der Probe bei, und glaubte ihren Ohren nicht trauen zu dürfen, als die sämmt¬ lichen politischen Ketzereien Schillers, eine nach der andern von den Brettern herab auf sie einstürmten; schon wollte sie den hochverräterischen Director beim Kragen fassen, als dieser sie mit verschmitztem Lächeln aufforderte, nur das Ende abzuwarten. Und das Ende kam: als das Volt in den Jubelruf ausbrechen soll: Hoch lebe Tell, der Schütz und der Erretter! brüllte das gesammte Personal: Es lebe Oestreich! Tell ist ein Ver- räther! — So macht sich Alles, wenn man sich nur zu arrangiren versteht. — Was der Kaiser uns gewährt, Wird er fruchtlos stets verschwenden, Wenn uns die Vernunft nicht lehrt, ES zum Guten anzuwenden. — Oder anders ausgedrückt: Der Schwache ist nur an Feigheit reich, Ein elender Knecht, unter Freien; Wir wollen ein starkes Oesterreich, Da wird die Freiheit gedeihen. Frisch auf, wenn es gilt; Franz Joseph ist da, Er führt uns zum Siege, Hurrah! Hurrah! — Darum sagt er mit Recht zu Deutschland: Nimm deine Brüder wie sie sind. Gott Lob! Sie können ihre Fahne stolz entfalten; Die leiten Jahre sagen dir es, ob Sie Männer sind, die warm zusammenhalten. Nicht wahr, vor Freude hüpfte dir das Herz, Als unsre Helden bei Custoza schlugen u. s. w. Was ist das Vaterland? fragt er mit Arndt. - Der Fahneneid! Er einigt brüderlich den Slaven, Den Deutschen, Wälschen, den Magyar, Ihr Heimathland ist das der Braven, Ihr Glaube ist der Doppelaar; Sie fragen nicht, woher sie stammen, Zu Einem Schmelzle sie zusammen Im heit'gar Glühn der Tapferkeit Der Fahneneid. — Wir könnten leicht ein zweckmäßiges Pendant aus der Erklärung Wallensteins geben, die Schiller ihm dem Oberst Wrangel gegenüber in den Mund legt. Einsam in dieser Reihe politischer Propheten, die nur in den Mußestunden lieben und küssen, steht Herr Schrader. Es sind unbefangene, heitere Gedichte, die eine gesunde Empfindung und ein verständiges Denken verrathen, was in unserer verschrobencnZeit, schon sehr anerkennenswert!) ist. Einzelne der kleinen Lieder würden sich zur Komposition empfehlen. Weniger unbefangen und entschiedener gegen den Zeitgeist tritt der alte berühmte Romantiker auf, Joseph v. Eichendorff, indem er die Lieder eines jüngern Freundes ein¬ führt. Er kann die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, der politischen Poesie einige Seitenhiebe zu geben. — Allerdings ist uns diese sehr lästig gefallen, — in einer Zeit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/124>, abgerufen am 25.08.2024.