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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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tern lassen; er reorganisirte im Stillen seine Partei und war in einigen Jahren
start genug, das Nuder des Staats von Neuem in die Hand zu nehmen. Es
soll uns das eine Lehre sein. Bei uns ist die numerische Stärke der Partei im
Parlament zwar nicht ein unbedingtes Kriterium für ihre thatsächliche Bedeutung;
uoch hat das parlamentarische Leben nicht so feste Wurzeln, geschlagen, daß
wir in ihm ein sicheres Thermometer hätten für unsere Politik. Aber es wäre
eine falsche Rechnung, wenn man darum die Staatsgewalt der blos physischen
Kraft beilegte. Auch unsere, der Tendenz nach absolutistische Regierung hält
sich nur durch den Beistand der Masse. In der Masse ist das Angedenken an
die materiellen Verluste der Revolutionszeit noch so groß, daß der conserva-
tive Fanatismus noch im Steigen ist; aber in Kurzem muß eine natürliche
Reaction eintreten. Unsere Freunde sollen nicht vergessen, daß der einzig richtige
Grundsatz eiuer politischen Partei ist: ich warte auf meine Zeit.

Es ist in dem gegenwärtigen Augenblicke um so nothwendiger, daran zu
erinnern, da die Stimmung in den leitenden Organen der Partei von der Art
ist, als gelte es einen rücksichtslosen Kampf, als gebe es in dem Bestehenden
nichts mehr zu verlieren. -- Diese pessimistische Stimmung, die den politischen
Kindern des Jahres 18-58 wohl anstand, ist unser uicht würdig. -- Es ist aller¬
dings noch sehr viel zu erhalten, uoch sehr viel zu verlieren, und wir sollen uns
ernstlich besinnen, ehe wir die Schiffe abbrennen.

Für den Augenblick ist doch nicht viel zu thun. Die zögernde Politik der
Regierung ist jetzt ein nothwendiges Resultat der Verhältnisse. Außerdem
wäre es ein eitles Vorhaben, sie jetzt stürzen zu wollen. -- Eine Partei soll
aber uur dann eine principielle, d. h. unbedingte, rücksichtslose Opposition machen,
wenn sie im Stande ist, selber die Regierung zu übernehmen.

Sollten wir darum unthätig sein? Nichts weniger! Uns bleibt,eine sehr
wichtige Aufgabe. Wir siud durch die Februar-Verfassung, so schlecht sie ist, in
die günstige Lage versetzt, conservativ sein zu tonnen. Denn jede Verfassung
gewährt wenigstens zweierlei: sie zwingt die Regierung zur Publicität, und hin¬
dert sie, wenigstens für die Dauer, willkürliche Gesetze zu geben; und sie gibt
der liberalen Partei Gelegenheit, sich zu organisiren. -- Für Preußen ist es
aber noch ungleich wichtiger, denn mit der Verwirklichung derselben ist zugleich
die Numo'gliche'eit des Bundestags verknüpft, ist zugleich die Grundlage gegeben,
auf der die Union sich aufbauen läßt. -- Niemand wird aber leugnen, daß trotz
aller Eidschwüre die preußische Verfassung uoch in einer Krisis ist. -- Die Op¬
position hat die Fähigkeit und die Pflicht, die allzu tollen Maßregeln der Regie¬
rung,. z. B. in dem Preßgesetz, zu hintertreiben; sie soll dahin trachten, dnrch
gesetzliche Formen die Wiederkehr ähnlicher Willkiu lieh teilen zu verhüten; geht
sie aber weiter, und macht eine Opposition, wie die würtembergischen Kammern
-- was man z. B. ans dem leidenschaftlichen Auftreten ihrer Organe, wo kein


tern lassen; er reorganisirte im Stillen seine Partei und war in einigen Jahren
start genug, das Nuder des Staats von Neuem in die Hand zu nehmen. Es
soll uns das eine Lehre sein. Bei uns ist die numerische Stärke der Partei im
Parlament zwar nicht ein unbedingtes Kriterium für ihre thatsächliche Bedeutung;
uoch hat das parlamentarische Leben nicht so feste Wurzeln, geschlagen, daß
wir in ihm ein sicheres Thermometer hätten für unsere Politik. Aber es wäre
eine falsche Rechnung, wenn man darum die Staatsgewalt der blos physischen
Kraft beilegte. Auch unsere, der Tendenz nach absolutistische Regierung hält
sich nur durch den Beistand der Masse. In der Masse ist das Angedenken an
die materiellen Verluste der Revolutionszeit noch so groß, daß der conserva-
tive Fanatismus noch im Steigen ist; aber in Kurzem muß eine natürliche
Reaction eintreten. Unsere Freunde sollen nicht vergessen, daß der einzig richtige
Grundsatz eiuer politischen Partei ist: ich warte auf meine Zeit.

Es ist in dem gegenwärtigen Augenblicke um so nothwendiger, daran zu
erinnern, da die Stimmung in den leitenden Organen der Partei von der Art
ist, als gelte es einen rücksichtslosen Kampf, als gebe es in dem Bestehenden
nichts mehr zu verlieren. — Diese pessimistische Stimmung, die den politischen
Kindern des Jahres 18-58 wohl anstand, ist unser uicht würdig. — Es ist aller¬
dings noch sehr viel zu erhalten, uoch sehr viel zu verlieren, und wir sollen uns
ernstlich besinnen, ehe wir die Schiffe abbrennen.

Für den Augenblick ist doch nicht viel zu thun. Die zögernde Politik der
Regierung ist jetzt ein nothwendiges Resultat der Verhältnisse. Außerdem
wäre es ein eitles Vorhaben, sie jetzt stürzen zu wollen. — Eine Partei soll
aber uur dann eine principielle, d. h. unbedingte, rücksichtslose Opposition machen,
wenn sie im Stande ist, selber die Regierung zu übernehmen.

Sollten wir darum unthätig sein? Nichts weniger! Uns bleibt,eine sehr
wichtige Aufgabe. Wir siud durch die Februar-Verfassung, so schlecht sie ist, in
die günstige Lage versetzt, conservativ sein zu tonnen. Denn jede Verfassung
gewährt wenigstens zweierlei: sie zwingt die Regierung zur Publicität, und hin¬
dert sie, wenigstens für die Dauer, willkürliche Gesetze zu geben; und sie gibt
der liberalen Partei Gelegenheit, sich zu organisiren. — Für Preußen ist es
aber noch ungleich wichtiger, denn mit der Verwirklichung derselben ist zugleich
die Numo'gliche'eit des Bundestags verknüpft, ist zugleich die Grundlage gegeben,
auf der die Union sich aufbauen läßt. — Niemand wird aber leugnen, daß trotz
aller Eidschwüre die preußische Verfassung uoch in einer Krisis ist. — Die Op¬
position hat die Fähigkeit und die Pflicht, die allzu tollen Maßregeln der Regie¬
rung,. z. B. in dem Preßgesetz, zu hintertreiben; sie soll dahin trachten, dnrch
gesetzliche Formen die Wiederkehr ähnlicher Willkiu lieh teilen zu verhüten; geht
sie aber weiter, und macht eine Opposition, wie die würtembergischen Kammern
— was man z. B. ans dem leidenschaftlichen Auftreten ihrer Organe, wo kein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/117>, abgerufen am 25.08.2024.