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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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ansehnliche Stellung behaupten kann, haben die Gegner der Union sehr glücklich
hervorgehoben. -- Außerdem war der Kern des Antrags unklar. Dem An¬
schein nach ein Vertrauensvotum für das Ministerium, mit dem damals über¬
haupt von Seiten der Liberalen viel zu schön gethan wurde, sollte es zugleich ein
leises Mißtrauen, wenigstens eine Ermahnung enthalten; vou deu in der herr¬
schenden Partei enthaltenen zwei Momenten sollte dem einen gegen das andere
das Uebergewicht gegeben werden. -- Und so vereinigte allerdings der Antrag
eine ungeheure Majorität in beideu Kammern, die freilich in keiner Weise als
Partei gelten konnte.

Indessen man darf die Art, wie Camphausen auftrat, nicht zu hart angrei¬
fen. Es wäre schwer zu sagen, was damals die liberale Partei anders hätte
thun sollen. Sie litt an dem einen Fehler, daß sie noch immer wähnte, die Er¬
eignisse leiten zu können. Und Camphausen's Stellung war uoch viel günstiger,
als die der eigentlichen Gothaer: er hatte nie offen und entschieden für die An-
nahme der Frankfurter Krone gesprocheu, er hatte durch die Neutralität seiner
Haltung ausgedrückt, was sein Brilder in der zweiten Kammer offen ausgespro¬
chen: die Annahme ist gefährlich, das Ablehnen gefährlich, ich weiß nicht, wofür
ich mich entscheiden soll. -- Die Politik der Liberalen war eine sehr natürliche;
sie wollten das Ministerium überzeugen, daß sie seine eigentliche Stütze ausmach-
ten, und daß sie diese Unterstützung nur in der Voraussetzung gewährten, daß
die Regierung im Wesentlichen auf ihre Ideen einginge. -- Allein das Mimi-
sterinm, wenn auch uicht mit übertriebenen Scharfsinn ausgestattet, mußte doch
aus den Thatsachen wahrnehmen, daß seiue Kraft anderswo liege. Es wurde von
seinem Verhängniß weiter getrieben, ebenso wie die Liberalen.

Der Erfurter Reichstag zeigte das Illnsorische jenes Beschlusses. Aber die
Illusion war doch stark genug gewesen, daß ein Mann ans der alten Schule, ein
Bodelschwingh, sich davou hinreißen ließ. Auch er glaubte an eine selbstständige,
autonome Politik des neuen Preußen. Bodelschwingh und Camphausen, diesmal
mit den Gothaern ganz im Einverständnis^, glaubten durch rechtliche Formeu die
Macht der Verhältnisse überwinden zu können. Ein einfacher Naturalist, wie
Manteuffel, konnte sie eiues Bessern belehren: es war die Zeit gekommen, wo
der Starke nach dem Recht nichts mehr fragte, und das preußische Ministerium
gestand indirect zu, daß es sich uicht mehr als den Stärkern fühlte.

Es könnte nnn scheinen, als ob ich die Liberalen wegen des Beistandes
tadelte, die sie einem im Princip ihnen feindlichen Ministerium leisteten. Im
Gegentheil. Ich tadle sie nur darum, daß sie sich den Anschein gaben, als hätten
sie in der Politik noch die Initiative, daß sie sich gewaltsam in eine bewußte Illu¬
sion stürzten, die ihnen eine falsche Stellung gab.

Eine Partei ist darum nicht unmächtig, wenn sie die Initiative verliert. Aber
sie muß warten lernen. Robert Peel hat sich durch die Reformbill nicht einschüch-


ansehnliche Stellung behaupten kann, haben die Gegner der Union sehr glücklich
hervorgehoben. — Außerdem war der Kern des Antrags unklar. Dem An¬
schein nach ein Vertrauensvotum für das Ministerium, mit dem damals über¬
haupt von Seiten der Liberalen viel zu schön gethan wurde, sollte es zugleich ein
leises Mißtrauen, wenigstens eine Ermahnung enthalten; vou deu in der herr¬
schenden Partei enthaltenen zwei Momenten sollte dem einen gegen das andere
das Uebergewicht gegeben werden. — Und so vereinigte allerdings der Antrag
eine ungeheure Majorität in beideu Kammern, die freilich in keiner Weise als
Partei gelten konnte.

Indessen man darf die Art, wie Camphausen auftrat, nicht zu hart angrei¬
fen. Es wäre schwer zu sagen, was damals die liberale Partei anders hätte
thun sollen. Sie litt an dem einen Fehler, daß sie noch immer wähnte, die Er¬
eignisse leiten zu können. Und Camphausen's Stellung war uoch viel günstiger,
als die der eigentlichen Gothaer: er hatte nie offen und entschieden für die An-
nahme der Frankfurter Krone gesprocheu, er hatte durch die Neutralität seiner
Haltung ausgedrückt, was sein Brilder in der zweiten Kammer offen ausgespro¬
chen: die Annahme ist gefährlich, das Ablehnen gefährlich, ich weiß nicht, wofür
ich mich entscheiden soll. — Die Politik der Liberalen war eine sehr natürliche;
sie wollten das Ministerium überzeugen, daß sie seine eigentliche Stütze ausmach-
ten, und daß sie diese Unterstützung nur in der Voraussetzung gewährten, daß
die Regierung im Wesentlichen auf ihre Ideen einginge. — Allein das Mimi-
sterinm, wenn auch uicht mit übertriebenen Scharfsinn ausgestattet, mußte doch
aus den Thatsachen wahrnehmen, daß seiue Kraft anderswo liege. Es wurde von
seinem Verhängniß weiter getrieben, ebenso wie die Liberalen.

Der Erfurter Reichstag zeigte das Illnsorische jenes Beschlusses. Aber die
Illusion war doch stark genug gewesen, daß ein Mann ans der alten Schule, ein
Bodelschwingh, sich davou hinreißen ließ. Auch er glaubte an eine selbstständige,
autonome Politik des neuen Preußen. Bodelschwingh und Camphausen, diesmal
mit den Gothaern ganz im Einverständnis^, glaubten durch rechtliche Formeu die
Macht der Verhältnisse überwinden zu können. Ein einfacher Naturalist, wie
Manteuffel, konnte sie eiues Bessern belehren: es war die Zeit gekommen, wo
der Starke nach dem Recht nichts mehr fragte, und das preußische Ministerium
gestand indirect zu, daß es sich uicht mehr als den Stärkern fühlte.

Es könnte nnn scheinen, als ob ich die Liberalen wegen des Beistandes
tadelte, die sie einem im Princip ihnen feindlichen Ministerium leisteten. Im
Gegentheil. Ich tadle sie nur darum, daß sie sich den Anschein gaben, als hätten
sie in der Politik noch die Initiative, daß sie sich gewaltsam in eine bewußte Illu¬
sion stürzten, die ihnen eine falsche Stellung gab.

Eine Partei ist darum nicht unmächtig, wenn sie die Initiative verliert. Aber
sie muß warten lernen. Robert Peel hat sich durch die Reformbill nicht einschüch-


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[0116] ansehnliche Stellung behaupten kann, haben die Gegner der Union sehr glücklich hervorgehoben. — Außerdem war der Kern des Antrags unklar. Dem An¬ schein nach ein Vertrauensvotum für das Ministerium, mit dem damals über¬ haupt von Seiten der Liberalen viel zu schön gethan wurde, sollte es zugleich ein leises Mißtrauen, wenigstens eine Ermahnung enthalten; vou deu in der herr¬ schenden Partei enthaltenen zwei Momenten sollte dem einen gegen das andere das Uebergewicht gegeben werden. — Und so vereinigte allerdings der Antrag eine ungeheure Majorität in beideu Kammern, die freilich in keiner Weise als Partei gelten konnte. Indessen man darf die Art, wie Camphausen auftrat, nicht zu hart angrei¬ fen. Es wäre schwer zu sagen, was damals die liberale Partei anders hätte thun sollen. Sie litt an dem einen Fehler, daß sie noch immer wähnte, die Er¬ eignisse leiten zu können. Und Camphausen's Stellung war uoch viel günstiger, als die der eigentlichen Gothaer: er hatte nie offen und entschieden für die An- nahme der Frankfurter Krone gesprocheu, er hatte durch die Neutralität seiner Haltung ausgedrückt, was sein Brilder in der zweiten Kammer offen ausgespro¬ chen: die Annahme ist gefährlich, das Ablehnen gefährlich, ich weiß nicht, wofür ich mich entscheiden soll. — Die Politik der Liberalen war eine sehr natürliche; sie wollten das Ministerium überzeugen, daß sie seine eigentliche Stütze ausmach- ten, und daß sie diese Unterstützung nur in der Voraussetzung gewährten, daß die Regierung im Wesentlichen auf ihre Ideen einginge. — Allein das Mimi- sterinm, wenn auch uicht mit übertriebenen Scharfsinn ausgestattet, mußte doch aus den Thatsachen wahrnehmen, daß seiue Kraft anderswo liege. Es wurde von seinem Verhängniß weiter getrieben, ebenso wie die Liberalen. Der Erfurter Reichstag zeigte das Illnsorische jenes Beschlusses. Aber die Illusion war doch stark genug gewesen, daß ein Mann ans der alten Schule, ein Bodelschwingh, sich davou hinreißen ließ. Auch er glaubte an eine selbstständige, autonome Politik des neuen Preußen. Bodelschwingh und Camphausen, diesmal mit den Gothaern ganz im Einverständnis^, glaubten durch rechtliche Formeu die Macht der Verhältnisse überwinden zu können. Ein einfacher Naturalist, wie Manteuffel, konnte sie eiues Bessern belehren: es war die Zeit gekommen, wo der Starke nach dem Recht nichts mehr fragte, und das preußische Ministerium gestand indirect zu, daß es sich uicht mehr als den Stärkern fühlte. Es könnte nnn scheinen, als ob ich die Liberalen wegen des Beistandes tadelte, die sie einem im Princip ihnen feindlichen Ministerium leisteten. Im Gegentheil. Ich tadle sie nur darum, daß sie sich den Anschein gaben, als hätten sie in der Politik noch die Initiative, daß sie sich gewaltsam in eine bewußte Illu¬ sion stürzten, die ihnen eine falsche Stellung gab. Eine Partei ist darum nicht unmächtig, wenn sie die Initiative verliert. Aber sie muß warten lernen. Robert Peel hat sich durch die Reformbill nicht einschüch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/116>, abgerufen am 25.08.2024.