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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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sichtlicher Grund vorhanden war, bei der Ernennung des Ministers der auswär¬
tigen Angelegenheiten, so wie aus dem Programm eines so gemäßigten Mannes,
wie Beckerath, leicht schließen könnte -- so bleibt sie entweder in der Minorität,
Und schadet dann sich selbst, wie jede ungeduldige Minorität, oder sie gewinnt
die Mehrzahl, und treibt dadurch die Negierung gewaltsam in eine Bahn, deren
Ende man nicht absehen kann. Die Demokraten mögen ans eine Revolution
speculiren, wir können das nicht, denn jede Revolution hebt den preußischen
Staat auf, er kann nicht wie ein Natnrstaat durch sie regenerirt werden, und
unsere Hoffnungen kommen doch immer in letzter Instanz ans die Macht Preu¬
ßens heraus. -- Daher entschiedener Kampf gegen die einzelnen, bestimmten
Maßregeln, die man noch abwenden kann; aber vorläufig kein principieller Krieg
gegen das System, denn er entkräftet den Staat, ohne uns zum Ziel zu füh¬
ren. Wir haben gesündigt durch zu lebhaften Anschluß an eine politische Rich¬
tung, deren principiellen Gegensatz wir uns nicht ableugnen konnten; wir dürfen
nicht zum zweitenmal sündigen dnrch ein Ausspielen unserer letzten Trümpfe, ehe
wir das Spiel berechnet haben. Sonst könnte man uns mit Recht den Vorwurf
machen: das Wort war kühn, weil es die That nicht war.

-- Leider ist die Lage der Sache jetzt so, daß die Krisis voraussichtlich vor
der Eröffnung der Kammern eintreten wird. Das Volk des Kurfürstenthums
Hessen hat eine so bewunderungswürdige Haltung bewahrt, daß diese geeignet sein
kann, wenigstens einige Hoffnung für die politische Bildungsfähigkeit der Deutschen
zu geben. Aber ans die Länge kann es einen thatsächlichen Conflict nicht ver¬
meiden, und es fragt sich dann, wie Preußen in seinem Schwanken zwischen der
Abneigung gegen eine uuionöfeindliche Regierung und seinem Festhalten am mon¬
archischen Princip sich entscheiden wird. Bis jetzt ist das Gewicht ziemlich gleich
in beiden Schaalen; hüten wir uns, dnrch vorzeitiges Ankämpfen den Ausschlag
in die eine zu werfen. Denn die Gefahr ist ungeheuer, nicht allein wegen des
Elends, welches ein edles Volk betrifft, sondern anch wegen der Bahn, in welche
Preußen dadurch gezwungen wird, und aus welcher die Augriffe einer machtlosen
Opposition es später kaum zu treiben im Stande sein dürften. -- Die Hoffnungen
auf einen bessern Ausgang siud noch nicht völlig verloren, denn noch ist der Gegen¬
satz zwischen Oestreich und Preußen -- das Palladium uuserer Freiheit -- groß
genug, um ein gemeinschaftliches Wirken in der Sache der Despotismus unmöglich zu
machen; wenn aber uicht nnr die persönliche Eitelkeit der preußischen Staatsmänner
fortwährend verletzt, sondern ihnen auch die Ueberzeugung in die Hand gegeben
wird, daß die liberale Partei und das Bürgerthum, welches sie vertritt, ganz
ans demselben Standpunkt steht, wie die Demokraten, so könnte eS leicht dadurch
zu der Nothwendigkeit gedrängt werden, mit Aufopferung aller sonstigen Rücksichten
jenen unbedingten Bund gegen die Revolution abzuschließen, zu welchem es die
Kreuzpartei seit lauge zu treiben strebt.




sichtlicher Grund vorhanden war, bei der Ernennung des Ministers der auswär¬
tigen Angelegenheiten, so wie aus dem Programm eines so gemäßigten Mannes,
wie Beckerath, leicht schließen könnte — so bleibt sie entweder in der Minorität,
Und schadet dann sich selbst, wie jede ungeduldige Minorität, oder sie gewinnt
die Mehrzahl, und treibt dadurch die Negierung gewaltsam in eine Bahn, deren
Ende man nicht absehen kann. Die Demokraten mögen ans eine Revolution
speculiren, wir können das nicht, denn jede Revolution hebt den preußischen
Staat auf, er kann nicht wie ein Natnrstaat durch sie regenerirt werden, und
unsere Hoffnungen kommen doch immer in letzter Instanz ans die Macht Preu¬
ßens heraus. — Daher entschiedener Kampf gegen die einzelnen, bestimmten
Maßregeln, die man noch abwenden kann; aber vorläufig kein principieller Krieg
gegen das System, denn er entkräftet den Staat, ohne uns zum Ziel zu füh¬
ren. Wir haben gesündigt durch zu lebhaften Anschluß an eine politische Rich¬
tung, deren principiellen Gegensatz wir uns nicht ableugnen konnten; wir dürfen
nicht zum zweitenmal sündigen dnrch ein Ausspielen unserer letzten Trümpfe, ehe
wir das Spiel berechnet haben. Sonst könnte man uns mit Recht den Vorwurf
machen: das Wort war kühn, weil es die That nicht war.

— Leider ist die Lage der Sache jetzt so, daß die Krisis voraussichtlich vor
der Eröffnung der Kammern eintreten wird. Das Volk des Kurfürstenthums
Hessen hat eine so bewunderungswürdige Haltung bewahrt, daß diese geeignet sein
kann, wenigstens einige Hoffnung für die politische Bildungsfähigkeit der Deutschen
zu geben. Aber ans die Länge kann es einen thatsächlichen Conflict nicht ver¬
meiden, und es fragt sich dann, wie Preußen in seinem Schwanken zwischen der
Abneigung gegen eine uuionöfeindliche Regierung und seinem Festhalten am mon¬
archischen Princip sich entscheiden wird. Bis jetzt ist das Gewicht ziemlich gleich
in beiden Schaalen; hüten wir uns, dnrch vorzeitiges Ankämpfen den Ausschlag
in die eine zu werfen. Denn die Gefahr ist ungeheuer, nicht allein wegen des
Elends, welches ein edles Volk betrifft, sondern anch wegen der Bahn, in welche
Preußen dadurch gezwungen wird, und aus welcher die Augriffe einer machtlosen
Opposition es später kaum zu treiben im Stande sein dürften. — Die Hoffnungen
auf einen bessern Ausgang siud noch nicht völlig verloren, denn noch ist der Gegen¬
satz zwischen Oestreich und Preußen — das Palladium uuserer Freiheit — groß
genug, um ein gemeinschaftliches Wirken in der Sache der Despotismus unmöglich zu
machen; wenn aber uicht nnr die persönliche Eitelkeit der preußischen Staatsmänner
fortwährend verletzt, sondern ihnen auch die Ueberzeugung in die Hand gegeben
wird, daß die liberale Partei und das Bürgerthum, welches sie vertritt, ganz
ans demselben Standpunkt steht, wie die Demokraten, so könnte eS leicht dadurch
zu der Nothwendigkeit gedrängt werden, mit Aufopferung aller sonstigen Rücksichten
jenen unbedingten Bund gegen die Revolution abzuschließen, zu welchem es die
Kreuzpartei seit lauge zu treiben strebt.




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[0118] sichtlicher Grund vorhanden war, bei der Ernennung des Ministers der auswär¬ tigen Angelegenheiten, so wie aus dem Programm eines so gemäßigten Mannes, wie Beckerath, leicht schließen könnte — so bleibt sie entweder in der Minorität, Und schadet dann sich selbst, wie jede ungeduldige Minorität, oder sie gewinnt die Mehrzahl, und treibt dadurch die Negierung gewaltsam in eine Bahn, deren Ende man nicht absehen kann. Die Demokraten mögen ans eine Revolution speculiren, wir können das nicht, denn jede Revolution hebt den preußischen Staat auf, er kann nicht wie ein Natnrstaat durch sie regenerirt werden, und unsere Hoffnungen kommen doch immer in letzter Instanz ans die Macht Preu¬ ßens heraus. — Daher entschiedener Kampf gegen die einzelnen, bestimmten Maßregeln, die man noch abwenden kann; aber vorläufig kein principieller Krieg gegen das System, denn er entkräftet den Staat, ohne uns zum Ziel zu füh¬ ren. Wir haben gesündigt durch zu lebhaften Anschluß an eine politische Rich¬ tung, deren principiellen Gegensatz wir uns nicht ableugnen konnten; wir dürfen nicht zum zweitenmal sündigen dnrch ein Ausspielen unserer letzten Trümpfe, ehe wir das Spiel berechnet haben. Sonst könnte man uns mit Recht den Vorwurf machen: das Wort war kühn, weil es die That nicht war. — Leider ist die Lage der Sache jetzt so, daß die Krisis voraussichtlich vor der Eröffnung der Kammern eintreten wird. Das Volk des Kurfürstenthums Hessen hat eine so bewunderungswürdige Haltung bewahrt, daß diese geeignet sein kann, wenigstens einige Hoffnung für die politische Bildungsfähigkeit der Deutschen zu geben. Aber ans die Länge kann es einen thatsächlichen Conflict nicht ver¬ meiden, und es fragt sich dann, wie Preußen in seinem Schwanken zwischen der Abneigung gegen eine uuionöfeindliche Regierung und seinem Festhalten am mon¬ archischen Princip sich entscheiden wird. Bis jetzt ist das Gewicht ziemlich gleich in beiden Schaalen; hüten wir uns, dnrch vorzeitiges Ankämpfen den Ausschlag in die eine zu werfen. Denn die Gefahr ist ungeheuer, nicht allein wegen des Elends, welches ein edles Volk betrifft, sondern anch wegen der Bahn, in welche Preußen dadurch gezwungen wird, und aus welcher die Augriffe einer machtlosen Opposition es später kaum zu treiben im Stande sein dürften. — Die Hoffnungen auf einen bessern Ausgang siud noch nicht völlig verloren, denn noch ist der Gegen¬ satz zwischen Oestreich und Preußen — das Palladium uuserer Freiheit — groß genug, um ein gemeinschaftliches Wirken in der Sache der Despotismus unmöglich zu machen; wenn aber uicht nnr die persönliche Eitelkeit der preußischen Staatsmänner fortwährend verletzt, sondern ihnen auch die Ueberzeugung in die Hand gegeben wird, daß die liberale Partei und das Bürgerthum, welches sie vertritt, ganz ans demselben Standpunkt steht, wie die Demokraten, so könnte eS leicht dadurch zu der Nothwendigkeit gedrängt werden, mit Aufopferung aller sonstigen Rücksichten jenen unbedingten Bund gegen die Revolution abzuschließen, zu welchem es die Kreuzpartei seit lauge zu treiben strebt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/118>, abgerufen am 24.08.2024.