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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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vom souveränen Volk ein Ende mit Strecken genommen hatte, die eingebildete
Einheit ihres Deutschlands selbst auf Kosten der Rückkehr zum alten Bundestag,
selbst auf Kosten der Berufung auf die vertragsmäßige Garantie der auswärtigen
Mächte retten wollten, um nur das rebellische Preußen nicht frei zu lassen: ---
hat Camphausen vor, während und nach der Revolution mit vollkommener Kon¬
sequenz das entgegengesetzte Princip verfolgt, daß nämlich ein deutscher Staat sich
nur dadurch bilden könne, das; die unberechtigten staatlichen Existenzen dnrch die
berechtigten absorbirt werden; daß Preußens Trennung vom Bund (vou Oestreich)
und seine Hegemonie über die in seinen Nayon fallenden kleinen Staaten, die
sich im natürlichen Lauf der Dinge bald in eine friedliche Eroberung verwandeln
muß, die einzige Form ist, in der ein reales Deutschland gebildet werdeu kann;
daß Alles, was zur Stärkung, zur Befreiung, zur Centralisation Preußens bei¬
trägt, ein Schritt zu diesem Ziel ist; daß eine wirkliche Organisation des Staats
nnr dann stattfindet, wenn der Starke herrscht und der Schwache gehorcht.
In diesem Princip, dem wir vollkommen beitreten, und das wir von Anfang
der Märzbewegung an verfochten haben, ist er klarer, bewußter, cousequenter
gewesen, als irgend einer seiner liberalen Parteigenossen.

Im Uebrigen unterschied sich sein Liberalismus uicht wesentlich vou dem der Par¬
tei. Er bekämpfte mit gleicher Schärfe das alte Polizeisystem, das den Staat
mit dem Beamtenthum identificirte, und der eigentlichen Thätigkeit des Volks
selbst in Privatangelegenheiten so wenig Spielraum als irgend möglich lassen
wollte, und die moderne romantische Richtung, die an Stelle des bureaukratischen
Staats jenen kirchlich-feudalistischen aufrichten wollte, den sie in den Geschichten
des Mittelalters zu siudeu vorgab. Allem Camphausen's Stellung erhielt da¬
durch einen eigenthümlichen Charakter, daß er in vielen Beziehungen das Inter¬
esse des preußischen Staats den Sondergelüsten seiner Provinz gegenüber ver¬
trat. Denn in der rheinländischen Opposition war eine Mischung sehr verschie¬
dener Elemente enthalten. Die kirchlichen Antipathien gegen die protestantische
Regierung, die sich bald auf den Adel, wie in der Angelegenheit des Erzbischofs,
bald auf das Volk stützten, das Festhalten am Napoleonischen Recht, gegenüber
den Uebergriffen der altpreußischen Justiz -- beides conservative Momente, ver¬
banden sich mit den demokratischen Tendenzen der großen Fabrikstädte, die oft ge¬
nug einen connnunistischen Anstrich hatten, gegen das preußische Wesen über¬
haupt und gegen das Ausgehen der Rheinprovinz in dasselbe. In der Rhein-
provinz war mehr als in irgend einer andern des preußischen Staats jene Art
deS Patriotismus zu Hause, die vou der Herstellung einer deutschen Einheit
ohne Rücksicht auf den eignen Staat träumte. Das "Volt" schied sich sorgfältig
vou deu "preußischen" Beamten, dem "preußischen" Militär. Selbst in natio¬
nalökonomischer Beziehung sonderte sich das Interesse der Provinz, wenigstens
derer, die den Ton darin angaben, der Fabrikanten, von denen des Staats,


Grc"zbotett. IV. 185V. 78

vom souveränen Volk ein Ende mit Strecken genommen hatte, die eingebildete
Einheit ihres Deutschlands selbst auf Kosten der Rückkehr zum alten Bundestag,
selbst auf Kosten der Berufung auf die vertragsmäßige Garantie der auswärtigen
Mächte retten wollten, um nur das rebellische Preußen nicht frei zu lassen: —-
hat Camphausen vor, während und nach der Revolution mit vollkommener Kon¬
sequenz das entgegengesetzte Princip verfolgt, daß nämlich ein deutscher Staat sich
nur dadurch bilden könne, das; die unberechtigten staatlichen Existenzen dnrch die
berechtigten absorbirt werden; daß Preußens Trennung vom Bund (vou Oestreich)
und seine Hegemonie über die in seinen Nayon fallenden kleinen Staaten, die
sich im natürlichen Lauf der Dinge bald in eine friedliche Eroberung verwandeln
muß, die einzige Form ist, in der ein reales Deutschland gebildet werdeu kann;
daß Alles, was zur Stärkung, zur Befreiung, zur Centralisation Preußens bei¬
trägt, ein Schritt zu diesem Ziel ist; daß eine wirkliche Organisation des Staats
nnr dann stattfindet, wenn der Starke herrscht und der Schwache gehorcht.
In diesem Princip, dem wir vollkommen beitreten, und das wir von Anfang
der Märzbewegung an verfochten haben, ist er klarer, bewußter, cousequenter
gewesen, als irgend einer seiner liberalen Parteigenossen.

Im Uebrigen unterschied sich sein Liberalismus uicht wesentlich vou dem der Par¬
tei. Er bekämpfte mit gleicher Schärfe das alte Polizeisystem, das den Staat
mit dem Beamtenthum identificirte, und der eigentlichen Thätigkeit des Volks
selbst in Privatangelegenheiten so wenig Spielraum als irgend möglich lassen
wollte, und die moderne romantische Richtung, die an Stelle des bureaukratischen
Staats jenen kirchlich-feudalistischen aufrichten wollte, den sie in den Geschichten
des Mittelalters zu siudeu vorgab. Allem Camphausen's Stellung erhielt da¬
durch einen eigenthümlichen Charakter, daß er in vielen Beziehungen das Inter¬
esse des preußischen Staats den Sondergelüsten seiner Provinz gegenüber ver¬
trat. Denn in der rheinländischen Opposition war eine Mischung sehr verschie¬
dener Elemente enthalten. Die kirchlichen Antipathien gegen die protestantische
Regierung, die sich bald auf den Adel, wie in der Angelegenheit des Erzbischofs,
bald auf das Volk stützten, das Festhalten am Napoleonischen Recht, gegenüber
den Uebergriffen der altpreußischen Justiz — beides conservative Momente, ver¬
banden sich mit den demokratischen Tendenzen der großen Fabrikstädte, die oft ge¬
nug einen connnunistischen Anstrich hatten, gegen das preußische Wesen über¬
haupt und gegen das Ausgehen der Rheinprovinz in dasselbe. In der Rhein-
provinz war mehr als in irgend einer andern des preußischen Staats jene Art
deS Patriotismus zu Hause, die vou der Herstellung einer deutschen Einheit
ohne Rücksicht auf den eignen Staat träumte. Das „Volt" schied sich sorgfältig
vou deu „preußischen" Beamten, dem „preußischen" Militär. Selbst in natio¬
nalökonomischer Beziehung sonderte sich das Interesse der Provinz, wenigstens
derer, die den Ton darin angaben, der Fabrikanten, von denen des Staats,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/105>, abgerufen am 25.08.2024.